Alexandra Ndolo: "Du gehörst zu uns"
10. April 2023Alexandra Ndolo hat aktuell viel um die Ohren. Gerade erst ist die Degenfechterin von einem Weltcup in China zurückgekehrt, doch viel Zeit zum Ausruhen hat sie nicht, denn in wenigen Tagen reist Ndolo weiter nach Kenia - es ist eine besondere Reise für die 36-Jährige. "Kenia ist das Land meines Vaters und die Hälfte meiner Familie lebt dort", erklärt die Fechterin. Doch dieses Mal ist die Reise nach Nairobi mehr als ein Familienbesuch. Ndolo hat wichtige Termine mit dem kenianischen Fechtverband, den sie selbst vor einigen Jahren mit aufgebaut hat.
Seitdem ist sie immer wieder vor Ort in dem ostafrikanischen Land. Oft hat sie Fecht-Equipment im Gepäck, denn in Deutschland sammelt sie Sachspenden, um den Fechtsport in Kenia zu unterstützen und bekannter zu machen. Und ihre Arbeit zahlt sich aus. Die Anerkennung wächst. Mittlerweile sind erste Fechtschulen in Nairobi entstanden, einige Sportlerinnen und Sportler haben Stipendien bekommen und machen nun eine Trainerausbildung in Südafrika. "Ich bin sehr stolz auf das, was ich in Kenia bisher schon aufgebaut habe", sagt Ndolo und freut sich sichtlich.
Zudem ist Kenia seit 2020 auch offiziell Teil des Weltfechtverbandes. "Bei der WM in Kairo im vergangenen Jahr war mit Isaac Wanyoike der erste kenianische Athlet am Start. Das hat dazu geführt, dass auch die kenianische Flagge bei so einem großen Event in der Halle hing", erinnert sich Ndolo im DW-Interview. "Das war sehr emotional für mich."
Ndolo: "Da hatte ich einen richtigen Kloß im Hals"
Für die Degenfechterin wird die Weltmeisterschaft in Kairo auch sportlich zum bisherigen Höhepunkt ihrer Karriere: Ndolo wird Vize-Weltmeisterin. Für die Tochter einer polnischen Mutter und eines Kenianers ist es nach dem Gewinn der Bronzemedaille im Einzel 2019 sowie dem Gewinn der Silbermedaille bei den Europameisterschaften zwei Jahre zuvor der größte Titel ihrer Karriere.
Wenige Wochen nach ihrem Erfolg reist sie nach Kenia und wird gefeiert. "Dort haben sich die Menschen total für mich gefreut und gesagt: 'Du gehörst zu uns.'" Zurück in Deutschland trifft sie dann eine wegweisende Entscheidung. Sie kehrt dem deutschen Fechtverband den Rücken und geht künftig für Kenia, das Land ihres Vaters, auf die Plange. Die Entscheidung sei ihr nicht leicht gefallen, aber sie könne durch ihren Wechsel "in Kenia sehr viel bewirken, und diese Gedanken haben dann den letzten Ausschlag gegeben", so Ndolo.
Richtig realisiert hat sie ihre Entscheidung aber erst später, als sie bei einem Weltcup im estländischen Tallinn im November des vergangenen Jahres erstmals unter kenianischer Flagge antritt. "Ich hatte mich vorher mit meinem Sportpsychologen - dachte ich - gut darauf eingestellt", erinnert sich Ndolo. "Ich war alleine vor Ort, hatte das erste Mal den kenianischen Fechtanzug an, hatte die kenianische Flagge in der Halle gesehen und dachte: 'Ok, das ist alles ein bisschen viel.'"
Beim ersten Gefecht wird Ndolo dann erstmals als kenianische Athletin vom Hallensprecher anmoderiert. Als sie das hört, wird die sonst sehr fokussierte Fechterin emotional. "Da hatte ich einen richtigen Kloß im Hals", sagt sie. "Alles was mit Kenia zusammenhängt, ist jetzt emotional aufgeladen." Sie sei selbst etwas verwundert darüber, dass sie so reagiert hat, gibt die Degenfechterin zu.
Ndolo will Fecht-Basis in Kenia stärken
Doch neben den gefühlsmäßigen hat Ndolos Wechsel auch finanzielle Auswirkungen. Alle Reisen zu den Weltcups organisiert die 36-Jährige nun selbst. "Natürlich bin ich ein Risiko eingegangen, weil ich aus der deutschen Sportförderungen rausgefallen bin, und ich bin auch keine Sport-Fördersoldatin mehr", erklärt die Degenfechterin.
Doch Ndolo geht es um mehr als die eigene finanzielle Sicherheit. Sie will vor allem die Fecht-Basis in Kenia stärken. "Es ist oft so, dass die besten Athletinnen und Athleten gefördert werden, auch von privatwirtschaftlicher Seite. Aber für den Nachwuchs ist nicht so viel übrig. Und jeder weiß, dass das nicht nachhaltig ist", erklärt Ndolo und ergänzt: "Deswegen möchte ich ein System erschaffen, das dafür sorgt, dass wir mit sehr vielen Kindern arbeiten und diese fördern können."
Fechten in Kenia - eine "stabile Sache"
Ndolo hat sich für die Zukunft hohe Ziele gesteckt. Aus sportlicher Sicht jedoch steht nun erstmal die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Paris 2024 auf dem Plan. Was zuvor für Deutschland nicht geklappt hat, soll nun für ihren neuen Verband endlich Wirklichkeit werden. "Es wäre sehr besonders, weil es eine wahnsinnige Symbolkraft hätte", sagt Ndolo und erklärt: "Subsahara-Afrika hatte schon ein paar Teilnehmerinnen bei Olympischen Spielen, doch die waren nicht sehr erfolgreich."
Und genau das möchte die Vize-Weltmeisterin mit ihrer möglichen Teilnahme nun ändern und den Blick auf den afrikanischen Fechtsport in ein positiveres Licht rücken. Ndolo möchte Vorbild sein für andere Fechterinnen und Fechter. "Ich möchte, dass sich junge Menschen zutrauen und sagen: 'Hier ist ein Sport, auf den habe ich Bock und du hast es auch geschafft. Dann traue ich mir das auch zu.'" Und deswegen, sagt die Degenfechterin, wäre eine Teilnahme für Kenia bei Olympia eine besondere Geschichte.
"Ich weiß nicht, ob ich sonst Frieden mit meiner Karriere schließen kann, wenn ich nicht bei den Spielen war." Zudem, und da ist sich Ndolo sicher, wolle sie nicht die letzte kenianische Athletin sein, die bei Olympia für Aufsehen sorgt. "Wenn in 30 Jahren gesagt würde, dass Fechten in Kenia eine 'stabile Sache' sei, dann wäre das richtig gut."
In einer früheren Version hieß es in einer Bildunterschrift, Ndolo habe die Silbermedaille bei der WM in Tallin (Estland) gewonnen. Die WM fand jedoch in Kairo (Ägypten) statt. In Tallin trat Ndolo erstmals für Kenia an. Die Redaktion bittet, die Verwechslung zu entschuldigen.