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Degrowth - statt stetiges Wachstumsstreben

Karin Jäger2. September 2014

Mehr Leistung. Mehr Konsum, mehr Wachstum. "Das geht so nicht weiter", sagen Anhänger der „Degrowth“-Bewegung. In Leipzig diskutieren sie über einen Umbau der Wirtschaft, um Allen ein erträgliches Leben zu ermöglichen.

Degrowth-Konferenz
Bild: DW/K. Jäger

Wolfgang Schäuble hat sich für die 4. Degrowth-Konferenz in Leipzig (2.-6.9.2014) nicht angekündigt. Immerhin schrieb der Bundesfinanzminister 2011 in seinem Gastbeitrag der Zeitschrift 'Christ und Welt': "So sehr wir uns für die Beseitigung des Hungers überall in der Welt einsetzen müssen, so sehr sollten wir uns andererseits in unseren eigenen westlichen Ländern für eine Begrenzung des Wirtschaftswachstums einsetzen."

Seit längerem verzeichnet die deutsche Wirtschaft ein mäßiges Wachstum von cirka 1,5 Prozent. Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) rechnet von 2030 bis 2060 sogar mit einer jährlichen Stagnation.

Immer mehr Wachstum? Bundesfinanzminister Schäuble ist skeptischBild: picture-alliance/dpa

"Historisch betrachtet ist die Idee einer kontinuierlich wachsenden Volkswirtschaft erst um die 300 Jahre alt", sagt Maja Göpel. "Es gibt also keinen natürlichen oder universellen Grund, dass Volkswirtschaften wachsen müssen, damit sie stabil bleiben, sondern es kommt darauf an, wie Menschen ihr Produzieren und Konsumieren organisiert haben", fügt die Politökonomin des Wuppertal Institus für Umwelt, Klima, Energie hinzu.

Göpel ist eine von mindestens 3000 Teilnehmern der Degrowth-Konferenz in Leipzig, die Brücken bauen wollen zwischen theoretischen Ansätzen und praktischer Umsetzung für ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit. Auch Christiane Kliemann ist dabei.

Die Erkenntnis, sich von gesellschaftlichen Zwängen zu befreien

Die 46-Jährige hatte eine sichere und gut bezahlte Arbeit. Sie fühlte sich nicht einmal ausgebrannt wie viele Beschäftigte. Aber sie war nicht mehr vom Sinn ihres Tuns überzeugt: "Einerseits hatte ich keine Zeit mehr für mich. Andererseits bekam ich beim Welt-Klimasekretariat E-Mails von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die uns kritisierten. Und ich dachte: Die haben Recht." Aber in ihrer Position sei sie weisungsgebunden gewesen, konnte nicht handeln wie sie wollte. Lange Zeit dachte die Arabistin und Journalistin, die internationalen Klimaverhandlungen seien die beste Art, eine Lösung zu finden. Die einzelnen Staaten müssten kooperieren, um schließlich die Erderwärmung aufzuhalten. "Ich merkte dann aber, dass die in den Verhandlungen entstandenen Lösungen Teil des Problems sind." Jeder feilsche, um seine wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen. "Um den Klimawandel aufzuhalten brauchen wir aber ein ganz anderes Wirtschaftssystem. Das System krankt an der Wachstumsfixierung", glaubt Kliemann.

Christiane Kliemann ist Verfechterin der ReduktionBild: DW/K. Jäger

Die Mär von Energieeinsparungen

Man versuche zwar, der Weltöffentlichkeit zu suggerieren, mit grünen Umwelttechnologien weiter zu machen, aber was nütze es, wenn die Kühlschränke energieeffizient sind, sich die Verbraucher aber immer größere anschafften, um mehr Kühlware zu lagern.

Mit Autos verhält es sich genauso. Die aktuellsten Modelle verbrauchen zwar weniger Benzin wie gleichstarke ältere Varianten und produzieren weniger Umwelt schädigende Treibhausgase, trotzdem steigt der CO2-Ausstoß weltweit. Ursachen: Es werden immer mehr Kraftfahrzeuge zugelassen, mehr Kilometer werden zurückgelegt, gleichzeitig werden immer mehr PKW mit größerem Hubraum und PS gekauft. So gilt es als chic, in der Großstadt einen geländegängigen Allrad (SUV) zu fahren. Durch solche Rebound-Effekte könne von Energie-Effizienz keine Rede mehr sein, sagt Kliemann, wenn durch vermehrter Konsum und Nutzung die Einsparungen durch das Angebot an effizienteren Technologien zunichte gemacht würden.

Die große Herausforderung für die meisten Volkswirtschaften liege darin, dass die Notwendigkeit zu immer mehr ökonomischem Wachstum tief in den Strukturen eingebaut sei, sagt Maja Göpel. Sie verweist auf zinsbasiertes Geld, was das Profitmotiv und die künstliche Verschuldung weiter antreibt oder Wettbewerbspolitik, die allein auf mehr Produktivität und Produktion im engen Sinne finanzieller Buchhaltung ausgerichtet ist und damit Arbeitslosigkeit vorantreibt, wenn nicht immer noch mehr produziert und abgesetzt werden kann. Die als Deutschlands wirtschaftliches "Erfolgsmodell“ gepriesene Strategie wird bei Nachfrageeinbruch auf dem Weltmarkt allerdings höchst verwundbar. Diese Strukturen führen in ihrem Zusammenspiel zu einem strukturellen Wachstumszwang, der immer weniger der Befriedigung der Bedürfnisse von Menschen dient.

Zucchini - Eigenanbau von Christiane KliemannBild: DW/K. Jäger

Eben diese Erkenntnisse und die Zweifel am System versuchte Kliemann während einer Auszeit auszuräumen. Während des Sabbatical-Jahres reifte die Entscheidung zu kündigen: "Wenn ich schon so viel arbeite, dann soll es etwas Sinnvolles sein", argumentiert die vierfache, alleinerziehende Mutter.

Degrowth sei die Lösung, glaubt Christiane Kliemann. Degrowth heißt übersetzt Reduktion, Postwachstum, Wachstumswende oder auch Entwachstum.
"Die Systemzwänge machen es das alternative Leben allerdings schwer", sagt Kliemann, "besonders, wenn man Kinder hat." Die vergleichen sich mit dem, was Gleichaltrige an Kleidung tragen, welches Handy sie haben oder was die sich leisten können.

Andererseits sind die Grenzen der pychologischen Belastbarkeit längst erreicht. Der volkswirtschaftliche Schaden durch Burnout machte laut Gesundheitsbericht der Bundesregierung 2012 zehn Prozent aller Ausfalltage aus.

Maja Göpel arbeitet an nachhaltigen Strategien für WirtschaftspolitikBild: privat

Das alternative Leben nach ehtischen Prinzipien

Persönlich hat Christiane Kliemann mit der Reduktion begonnen. Sie arbeitet als freie Journalistin, kann sich seither ihre Zeit besser einteilen. Sie kauft regionale Produkte, im Garten versucht sie ihr eigenes Gemüse anzubauen, ist aufs Fahrrad umgestiegen. Das Auto, hat sie sich vorgenommen, will sie baldmöglichst abschaffen. Sie fliegt nicht mehr, reist mit dem Zug, und Urlaub "muss nicht unbedingt sein, wenn man jeden Tag genießen kann an dem Ort, an dem man gern lebt." In absehbarer Zeit will sie aus ihrem Haus in ein Ökodorf umziehen: "Ich träume von einem einfachen Zimmer. Und einem erfüllten Leben in einer Gemeinschaft, in der jeder seine Aufgabe hat." Das sei für sie Wohlstand.

Neue Definition für Wohlstand

Auch Politökonomin Maja Göpel vertritt die Ansicht, Wohlstand nicht mehr nach konsum- und leistungsorientierten Maßstäben auszurichten, sondern nach gesellschaftlichen Werten wie Zeit, Ruhe, Wohlbefinden. "Um Schulden und reine Finanzialisierung der wirtschaftlichen Ergebnisse bereinigt, wachsen reiche Länder kaum mehr", so Göpel. Auch zeigten psychologische Studien deutlich, dass ab einem bestimmten Maß an materiellem Wohlstand die empfundene Lebensqualität nicht mehr mitwachse, sondern sogar abnehme.

Modelle für nachhaltige Produktion und Konsum

Sozialkontakte tragen ebenfalls zum Wohlbefinden bei. So werde es immer mehr Geschäftsmodelle geben, sagt Göpel, die dem Gemeinwohl dienten, wie Benefit Corps, Cooperativen, Blue Economy. Und auch die Fragestellungen der Menschen würden sich ändern: "Wo sind die unbefriedigten Bedürfnisse, was steht Lebensqualität im Weg – inklusive Stress und zu starke Leistungsorientierung sowie Zeitmangel? oder: Wo liegen die Potentiale, wo wird verschwendet beziehungsweise gegeneinander ausgespielt?"

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