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PolitikAsien

Europa-Abgeordnete in Taiwan: Ein Testfall

Barbara Wesel
5. November 2021

Der Besuch der ersten offiziellen EU-Parlamentsdelegation in Taiwan gilt als politisches Zeichen - die Abgeordneten loben die Demokratie auf der Insel und versprechen mehr Unterstützung Europas gegen Drohungen aus China.

EP-Delegationsleiter Raphael Glucksmann mit Präsidentin  Tsai Ing-wen
EP-Delegationsleiter Raphael Glucksmann mit Präsidentin Tsai Ing-wenBild: Taiwan Presidential Office/AP Photo/picture alliance

Diplomatisch gesehen war dieser Besuch ein heikles Unternehmen und seine Bedeutung lag mehr darin, dass er überhaupt stattfand, als reale Ergebnisse hervorzubringen. Im Oktober hatte das Europaparlament in einer nicht bindenden Resolution die EU aufgerufen, die Beziehungen zu Taiwan zu intensivieren. Jetzt beendete eine siebenköpfige Delegation ihre erste Reise in das international nicht anerkannte Land. "Wir teilen die Werte von Freiheit und menschlicher Würde. Ihr seid nicht allein", erklärte der französische Abgeordnete Raphael Glucksmann als Leiter der Gruppe in einer Pressekonferenz nach Ende des Besuchs in Taipeh.

Demokratie gegen Einmischung von Außen verteidigen

"Wir atmen hier die Luft der Demokratie", sagte Glucksmann und erklärte den offiziellen Auftrag der Delegation: "Was tut Taiwan und wie gelingt es, Chinas feindliche (Einmischung) zu bekämpfen?" Die Antwort der taiwanesischen Regierung darauf heiße "mehr Demokratie statt weniger". Die ganze Gesellschaft werde in den Kampf gegen Desinformation eingebunden, davon könne Europa viel lernen. Entscheidend sei zum Beispiel, das Vertrauen der Bevölkerung in die Behörden zu stärken.

Aktivisten demonstrieren 2015 für die Unabhängigkeit Taiwans Bild: David Chang/epa/dpa/picture alliance

Die Mitglieder der Reisegruppe gehören zu einem Sonderkomitee des Europaparlaments zum Thema "Fremde Einmischung in demokratische Prozesse", das sich mit dem Kampf gegen Desinformation und Fake News durch andere Staaten befasst. Der frühere litauische Premier und heutige MEP Andrius Kubilius betonte die Parallelen zur Lage in Taiwan: "Wir kennen diese Art von Druck, wir leben neben einem autokratischen Russland." In Litauen wisse man, "wie man sich gegen russische Einmischung verteidigen muss". Europa solle mit Taiwan ein informelles Forum etablieren, um sich über die besten Wege zur Verteidigung der Demokratie auszutauschen. 

EU-Mitglied Litauen hat als erstes Land im Sommer eine Vertretung in Taipeh eingerichtet, die de facto als Botschaft gilt. Der kleine baltische Staat hat darüber hinaus zum Ärger Chinas einige hunderttausend Dosen Impfstoff an Taiwan gespendet. Daraufhin rief Peking seinen Botschafter aus Vilnius zurück und wies den litauischen Botschafter in China aus. Das diplomatische Scharmützel ist ein Hinweis darauf, wie ernst die chinesische Regierung die Kontaktaufnahme mit Taiwan nimmt.

Delegationsleiter Glucksmann (l.) bei Taiwans Premier Tsu Tseng-chang (r.)Bild: Executive Yuan/AP Photo/picture alliance

MEP Petras Austrevicius, ebenso aus Litauen, fügte hinzu, die Desinformationskampagnen feindlicher Nachbarländer seien wie "eine Pandemie", mit der das politische Denken und die Entscheidungsfindung in demokratischen Ländern geschwächt werden sollten. Demokratien weltweit müssten sich verbünden, um die "Bedrohungen gegen uns zu verstehen" und zu stoppen.

Reise vor chinesischer Drohkulisse

Die EP-Delegation traf während ihrer dreitägigen Reise auch mit Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen und Premier Tsu Tseng-chang zusammen, was den offiziellen Charakter des Besuchs bekräftigte. Er fand vor einer Kulisse anhaltender chinesischer Drohungen statt: Ein Regierungssprecher in Peking hatte zuvor gewarnt, die Reise würde "die Souveränität und territoriale Integrität" Chinas unterminieren. China betrachtet Taiwan als Teil seines Staatsgebietes.

Was zu erwartende Reaktionen aus Peking angeht, so es gibt einen Präzedenzfall. Im März hatte die chinesischen Regierung Sanktionen gegen fünf Abgeordnete sowie den Menschenrechtsausschuss des EU-Parlaments verhängt, nachdem die EU-Mitgliedsländer chinesische Offizielle wegen der massenhaften Einkerkerung von Uighuren auf ihre Sanktionslisten setzten. 

Der Besuch von Taiwans Außenminister Wu in der Slowakei stieß auf heftige Kritik aus PekingBild: Vladimir Simicek/AFP

Auch eine Europareise des taiwanesischen Außenministers Joseph Wu im Oktober führte zu zornigen Reaktionen aus Peking, das seine Gastgeber der Beihilfe zur "Sezession" beschuldigte. Während größere EU-Länder Kontakte zu hochrangigen Vertretern aus Taiwan aus Angst vor Racheaktionen Chinas eher meiden, war Wu in der tschechischen Republik und in der Slowakei offiziell empfangen worden. Sein anschließender Besuch in Brüssel dagegen wurde als "unpolitisch" oder privat bezeichnet, weil er dort keine EU-Offiziellen traf.

Trotzdem reagierte die chinesische Mission bei der EU mit einer deutlichen Stellungnahme: Peking lehne "den offiziellen Austausch mit der Region Taiwan und Ländern, die diplomatische Beziehungen zu China unterhalten, in jeder Form und Weise ab". Demgegenüber hatte ein EU-Sprecher erklärt: "Wir pflegen Kontakte mit Taiwan, auch wenn es keine diplomatische Anerkennung gibt."

Die Versuche einiger EU-Länder und Institutionen, diese Kontakte zu intensivieren, finden vor dem Hintergrund verstärkter politischer und militärischer Drohungen Chinas statt. Zuletzt hatte Peking mehrfach Dutzende von Kampfjets in den Luftraum von Taiwan geschickt. Daraufhin bezeichneten die Vereinigten Staaten ihre Unterstützung für Taiwan als "felsenfest". 

EU darf sich nicht abschrecken lassen

Raphael Glucksmann gab sich kämpferisch auf die Frage nach Angst vor Sanktionen oder weiterem Druck aus China. "Es ist keine Provokation, nach Taiwan zu fahren, es sollte normal sein. Jedes Mal wenn wir zeigen, dass wir uns um Taiwan kümmern, wird die Chance für einen Konflikt mit Peking geringer. Isolation feuert den Konflikt an." Integration dagegen sei das beste Mittel gegen Sicherheitsbedenken. Je mehr Signale in Richtung Taiwan die EU sende, desto weiter rücke man von einer Kriegssituation ab.

Studenten in Taiwan werden auf eine mögliche chinesische Invasion vorbereitetBild: DW

Der französische Sozialist betonte auch die Stärke Europas: "Wir sind der größte Handelsblock der Welt, wir sollten keine Angst haben." Die EU wolle niemanden provozieren, müsse sich aber nicht vor Briefen (aus Peking) oder Einschüchterung fürchten. Und Glucksmann wehrte Fragen nach persönlichen Folgen ab: "Ich werde schon (von China) sanktioniert." 

Der konservative griechische Abgeordnete Georgios Kyrtsos machte dagegen noch einmal das spezifische Anliegen der EP-Delegation deutlich. "Wir sind nicht anti-China, aber pro-Taiwan. Wir sehen das Land mit großem Interesse, es steht an vorderster Front der digitalen Transition und ist von großem strategischen Interesse." Auch könne Europa von Taiwan viel lernen, zum Beispiel was dem Kampf gegen Fake News in Sachen Corona angeht.

Allerdings warnte Kyrtsos vor zu hohen Erwartungen: "Wir kommen nicht mit harter Macht in diese Region, unsere Stärke ist wirtschaftliche und kulturelle "Soft Power". Und die Marinepräsenz der EU sei eher symbolischer Natur: "Sie wird die Probleme harter militärischer Macht nicht lösen."

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