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Dem Verbrennungsmotor geht es an den Kragen

Klaus Ulrich mit Agenturen
19. November 2020

Die Autohersteller dürfen sich über weitere Milliarden staatlicher Unterstützung freuen. Es gilt, die Corona-Krise zu überstehen und den Wandel der Branche voranzutreiben. Was droht dem Verbrennungsmotor?

Mexiko BMW neues Werk in  San Luis Potosi
Bild: Reuters/J. Gonzalez

Immer schärfere Umweltauflagen der EU treiben den Autobossen die Sorgenfalten auf die Stirn. Gunnar Herrmann, Chef von Ford Deutschland, übte harte Kritik. Das neue Klimaziel bedeute, dass man künftig zu 65 Prozent E-Autos bauen müsse. "Das ist kein Technologiewandel, sondern ein Technologiebruch. Der Verbrennungsmotor wird bewusst ins Aus gestellt", so Herrmann.

Mit der nächsten Abgasnorm Euro 7, die ab 2025 gelten wird, sollen laut einem heiß diskutierten Medienbericht die Stickoxidwerte drastisch gesenkt und die Messmethoden verschärft werden. "Mit der Einführung der geplanten EU-7-Norm wird die EU-Kommission Autos mit Verbrennungsmotor de facto verbieten", sagte die Chefin des Verbandes der deutschen Autoindustrie (VDA),  Hildegard Müller, in einem Interview.

Chef-Autolobbyistin Hildegard MüllerBild: picture-alliance/dpa/R. Vennenbernd

De-Facto-Verbot von Verbrennungsmotoren

"Die Kommission will vorschreiben, dass künftig ein Fahrzeug in jeder Fahrsituation quasi emissionsfrei bleiben muss - sei es mit Anhänger am Berg oder im langsamen Stadtverkehr. Das ist technisch unmöglich und das wissen auch alle", kritisierte Müller die verschärften Rahmenbedingungen für die sogenannten RDE-Messungen, die unter realen Fahrbedingungen und nicht im Labor erfolgen.

Die VDA-Chefin forderte Schadensbegrenzung von der deutschen Präsidentin der EU-Kommission: "Wir alle erwarten, dass sich Ursula von der Leyen dieses nicht machbaren Vorschlages aus ihrer Kommission annimmt."

Ab 2030 nur noch E-Autos 

Doch auch von anderer Seite steigt der Druck. Der britische Premierminister Boris Johnson will von 2030 an den Verkauf von Dieselwagen und Benzinern verbieten. Der Verkauf von Hybrid-Modellen soll bis 2035 erlaubt bleiben.

Aus Sicht von Branchenexperten wird der Wandel der Autobranche dadurch zusätzlich beschleunigt. Denn mit dem Verbot schwenke ein großer Markt auf Elektromobilität um - "und das ist wiederum ein Signal an den Kontinent und an die Hersteller", sagt Autoexperte Stefan Bratzel. "Wenn so ein großer Markt relativ schnell eine Wende einläutet, dann kann das einen Dominoeffekt auslösen."

Briten-Premier Boris Johnson treibt Elektromobilität voranBild: Leon Neal/AFP

Ähnlich äußerte sich Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer. Das Ende des Verbrennungsmotors im Pkw werde Stück für Stück kommen, sagte er. "Von daher sollten wir auch in Deutschland alles dafür tun, so schnell wie möglich die Anpassung und Umstellung auf das Elektroauto voranzubringen. Es bringt nichts, auf einem totgerittenen Gaul in die Zukunft gehen zu wollen."

Der britische Herstellerverband SMMT sprach angesichts der Regierungspläne von einer Herkulesaufgabe und mahnte zusätzliche Hilfen an: "Um den Markt vollständig zu elektrifizieren und die Produktionsbasis und Arbeitsplätze zusichern, benötigen wir mehr als ein willkürliches Datum."

Deadlines auch in anderen Ländern

Mit dem neuen Zieldatum 2030 für Elektroautos setzt sich Großbritannien verglichen mit anderen Ländern an die Spitze. Frankreich will den Verkauf von Verbrennungsmotoren noch bis zum Jahr 2040 erlauben. Die norwegische Regierung nennt 2025, ein Verbot von Verbrennern ist aber unwahrscheinlich. Die Vereinigten Staaten haben keinen Ausstiegsplan, wohl aber der Bundesstaat Kalifornien. Der demokratische Gouverneur Gavin Newsom hat im September per Dekret verfügt, dass in Kalifornien von 2035 an keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr verkauft werden dürfen.

Protest beim Autogipfel am 8. September 2020 vor dem Kanzleramt in BerlinBild: picture-alliance/dpa/A. Riedl

In Großbritannien sollen nach Plänen des Premiers 1,3 Milliarden Pfund staatlicher Beihilfen in die Lade-Infrastruktur fließen und knapp 600 Millionen in Kauf-Anreize für umweltfreundliche Fahrzeuge. Die Pläne sind Teil eines Gesamtpakets, mit dem Regierungschef Johnson bis 2030 zwölf Milliarden Pfund (etwa 13,4 Milliarden Euro) in grüne Projekte investieren will.

Bundesregierung beschließt Milliardenpaket

Die Bundesregierung wiederum will die deutschen Autohersteller in der Klima- und Corona-Krise mit zusätzlichen drei Milliarden Euro stützen und so den Wandel zur Elektromobilität fördern. Das ist das Ergebnis eines digitalen Autogipfels am vergangenen Dienstag, an dem neben Bundeskanzlerin Angela Merkel weitere Vertreter aus Politik, Unternehmen und Gewerkschaften teilnahmen.

Jeweils eine Milliarde Euro sind demnach für drei Kernpunkte vorgesehen: Erhöhte Kaufanreize für Elektroautos sollen bis Ende 2025 verlängert werden. Ein Abwrackprogramm soll einen Austausch alter Lkw gegen sauberere Laster fördern. Zudem soll ein "Zukunftsfonds Automobilindustrie" den Wandel des zentralen Industriezweigs längerfristig unterstützen.

Unternehmen und Gewerkschaften zufrieden

Autobranche und IG Metall begrüßten die Zusagen. Die Verlängerung der "Innovationsprämie" für E-Autos und andere Instrumente seien eine Hilfe für Klimaschutz und Wirtschaftskraft, erklärte VDA-Präsidentin Hildegard Müller, nach der Videokonferenz. "Wir bringen jede Woche 12.000 neue E-Autos auf die Straßen in Deutschland." Deshalb brauche man nun auch viele E-Ladesäulen.

Die Abgaspläne der EU spielten beim Autogipfel wohl keine Rolle und konnten so die gute Stimmung nicht trüben.

Angela Merkel spricht beim Produktionsstart des Elektroautos ID.3 von VolkswagenBild: Reuters/M. Rietschel

Metall-Gewerkschaftschef Jörg Hofmann sagte, zur konjunkturellen Stützung sei das Austauschprogramm für schwere Nutzfahrzeuge positiv zu bewerten. Die angespannte Beschäftigungslage, besonders bei vielen Zulieferern, mache eine schnelle Umsetzung der Maßnahmen nötig.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte, mit bereits zugesagten zwei Milliarden Euro aus dem Konjunkturpaket stelle der Bund nun insgesamt mehr als fünf Milliarden Euro bereit, um die Überwindung der Konjunkturkrise, aber auch die Anpassung an den ökologischen und digitalen Wandel zu erleichtern.

Doch es gab auch Kritik. So sieht Greenpeace-Experte Tobias Austrup Deutschland "zum letzten gallischen Dorf für Diesel und Benziner" werden.

Deutschlands Vorreiterrolle

Dabei boomen Autos mit elektrifizierten Antrieben in Europa - und Deutschland nimmt dabei sogar eine Vorreiterrolle ein.

Im Oktober hatte jeder neunte Neuwagen in den größten fünf Märkten in Europa (Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien) einen elektrifizierten Antrieb. Der Marktanteil erreichte mit 11,5 Prozent einen Rekordwert. In Deutschland war im Oktober sogar jeder sechste neu zugelassene Pkw entweder ein Elektroauto oder ein Plug-in-Hybrid.

Bei den reinen Elektroautos explodierte die Nachfrage in Deutschland regelrecht: Die Bundesrepublik verzeichnete mit einem Plus von 365 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat die europaweit höchste Zuwachsrate. Beim Marktanteil reiner Elektro-Autos erreichte Deutschland im Oktober mit 8,4 Prozent einen europaweiten Spitzenwert. Bei Plug-in-Hybriden war der Marktanteil von 9,1 Prozent ebenfalls spitze.

Nobelmarke Rolls Royce - bereits seit dem Jahr 2000 Teil des BMW-KonzernsBild: picture alliance/dpa/J. Brady

Steuerliche Anreize für Dienstwagen

Peter Fuß, Autoexperte und Partner der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY sieht hier vor allem die Wirkung staatliche Anreize. "Gerade für Dienstwagenfahrer in Deutschland sind Plug-in-Hybride und Elektroautos dank der günstigeren 0,5-Prozent beziehungsweise 0,25-Prozent-Regelung bei der Lohnversteuerung des geldwerten Vorteils hochinteressant - was den Markterfolg hierzulande zu einem großen Teil erklären dürfte." Dienstwagen mit Verbrennungsmotoren müssen dagegen monatlich mit 1,00 Prozent des Neuwertes von den Fahrern versteuert werden.

Mittlerweile haben sich allen deutschen Autobauer auf den Elektro-Trend eingestellt, wobei der Volkswagen-Konzern standesgemäß als weltweit größter Hersteller mit ausgefeilten E-Auto-Konzepten vorauseilt.

BMW verlagert Motorenproduktion

Am Mittwoch gab BMW bekannt, den Bau von Benzin- und Dieselmotoren im Stammwerk München einzustellen. Auf der freiwerdenden Fläche wird eine neue, auf Elektroautos ausgerichtete Fahrzeugmontage entstehen. Sie soll 2026 in Betrieb gehen und 400 Millionen Euro kosten, sagte Produktionsvorstand Milan Nedeljkovic.

Die bisher in München hergestellten Verbrennungsmotoren mit vier, sechs, acht und zwölf Zylindern sollen künftig in den Motorenwerken Steyr in Österreich und Hams Hall in England gebaut werden. Die Verlagerung erfolge schrittweise bis spätestens 2024. Beide Standorte seien heute bis ans Limit ausgelastet und könnten ihre Kapazität so auch beim Hochlauf der E-Mobilität weiter gut auslasten.

Bei der Entscheidung für Hams Hall ließ man sich auch nicht abhalten, obwohl ein harter Brexit bevorsteht und die britische Regierung gerade erst den Verkauf von Diesel- und Benzinautos vom Jahr 20230 ab verboten hat. Der BMW-Manager erklärte dies mit dem Bau der Konzern-zugehörigen Rolls-Royce-Modelle in England. "Wir werden die Verbrennungsmotoren noch viele Jahre brauchen", sagte Nedeljkovic.

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