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Film

Dem Zarenfilm "Matilda" droht ein Verbot in Russland

8. Februar 2017

Ein russischer Film über Zar Nikolaus II. riskiert, verboten zu werden. Angeblich beleidigt er die "religiösen Gefühle der Gläubigen". Kritiker fürchten einen weiteren Angriff der Kirche auf das öffentliche Leben.

Deutschland Film "Matilda" von Alexei Utschitel
Bild: Valeriy Sewastjanow

Matilda Maria Felixowna Kschessinskaja war eine Schönheit. Eine Grazie. Und eine echte Verführerin. Die Primaballerina des weltberühmten Sankt Petersburger Mariinski-Theaters tanzte sich nicht nur in die Herzen ihres Theaterpublikums, sondern auch ins Herz des russischen Zaren Nikolaus II. Eine heiße Affäre entstand, die dem russischen Herrscher den Kopf verdrehte und über die jetzt, mehr als 100 Jahre später, ganz Russland erfahren sollte.

Das war der Plan des russischen Regisseurs Aleksej Utschitel. Ein Plan, der aber von einer gewissen "religiösen Öffentlichkeit Russlands" durchkreuzt werden könnte. Und von einer kremltreuen Staatsdienerin, der Duma-Abgeordneten Natalja Poklonskaja, die bereits zum zweiten Mal die Staatsanwaltschaft auf den Plan ruft.

1. Vorwurf: Majestätsbeleidigung

Poklonskaja und der russisch-orthodoxe Verband "Der christliche Staat - das heilige Russland" sind empört, dass der Film erotische Szenen mit Nikolaus II. enthält. Gesehen haben sie den Film allerdings nicht, weil er erst im Oktober in die Kinos kommen soll.

Der letzte russische Zar, den die Bolschewiki 1918 zusammen mit seiner Familie grausam ermordeten, wurde durch die russisch-orthodoxe Kirche heilig gesprochen. Ein Heiliger darf von niemandem außer seiner Ehefrau angefasst werden, ist wohl die Logik, nicht einmal vor der Ehe und wahrscheinlich schon gar nicht von einer Tänzerin. Eine Majestätsbeleidigung, dazu auch noch verkörpert von einem Deutschen. Den russischen Zaren spielt der deutsche Schauspieler Lars Eidinger.

2. Vorwurf: Beleidigung der religiösen Gefühle

Mit ihrer ersten Anfrage bei der Staatsanwaltschaft ist Poklonskaja bereits gescheitert. Die Justiz fand im Trailer des Films keine Anhaltspunkte für sein Verbot. Nun will es die Duma-Abgeordnete, die übrigens noch vor Kurzem selbst Oberstaatsanwältin auf der durch Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim war, nochmals wissen. In Russland steht die "Beleidigung der religiösen Gefühle" unter Strafe.

Stein des Anstoßes: Erotische Szenen im ZarenfilmBild: Rock Film

"Der christliche Staat - das heilige Russland" droht den Kinos, die "Matilda" zeigen wollen, mit Brandstiftung und Tumulten: "Jedes Filmplakat und jeder Werbezettel mit der Information über 'Matilda' wird als ein Versuch interpretiert, die Heiligen der russisch-orthodoxen Kirche zu erniedrigen und als Provokation zum 'russischen Maidan' anzustiften." Beim Letzteren ist die Maidan-Revolution in der Ukraine gemeint. Die Autoren des Drohbriefs brüsten sich im Netz damit, mehr als 100 Kino-Direktoren privat angeschrieben zu haben. Sie wollen damit die "Gesetzlosigkeit" und den "Wahnsinn" bekämpfen.

Russisches Kulturministerium hat "Matilda" gefördert

Der "Matilda"-Regisseur Aleksej Utschitel sieht hinter den ominösen christlichen Moralwächtern Extremisten am Werk. Sein Sprecher Andrej Schischkanow will gegen den Verband rechtlich vorgehen und hofft dabei auf Unterstützung des Staats. Im DW-Gespräch versichert er, dass sowohl Poklonskaja als auch die wirklich breite russische Öffentlichkeit sich bald selbst von der "hohen künstlerischen Qualität des Films überzeugen kann, der übrigens durch das Russische Kulturministerium gefördert wurde".

Der Kreml verurteilte unterdessen die Drohungen gegen Utschitel und seinen Film. Solche Handlungen seien völlig unzulässig, sagte Sprecher Dmitri Peskow am Mittwoch (8.2.) in Moskau.   

In einem Offenen Brief beklagen inzwischen fünfzig renommierte russische Regisseure die schleichende Zensur in Russland, die schon in der Sowjetzeit Jahrzehnte lang ganze Künstlerexistenzen zerstört und die Kunstentwicklung behindert habe: "Wir wollen in einem weltlichen demokratischen Land leben, in dem die Zensur nicht nur in der Verfassung verboten ist, sondern auch im wirklichen Leben."

"Wer tief glaubt, wird nicht in diesen Film gehen"

Einer der Unterzeichner ist der russische Filmemacher Witalij Manski, Regisseur des preisgekrönten Dokumentarfilms über Nordkorea "Im Strahl der Sonne". Im Gespräch mit der Deutschen Welle kritisiert er, dass die Kirche die Gelegenheit nutze, ihren Willen den Menschen aufzuzwingen: "Ich erinnere mich an Zeiten, in denen man von der Uni verjagt wurde, weil man in die Kirche ging. Ich fürchte, bald wird man bei uns von der Uni verjagt, wenn man nicht in die Kirche geht."

Ein Deutscher spielt den Zar: Lars Eidinger als Nikolaus II.Bild: Rock Film

Manski verurteilt die russisch-orthodoxe Kirche dafür, dass sie sich von den Drohbriefen der selbsternannten Glaubenschützer nicht distanziere. Er sieht im Trailer zum Film eine deutliche Warnung an die Strenggläubigen: "Wenn jemand wirklich tief glaubt, wird er in diesen Film erst gar nicht gehen. Es geht ja hier nicht um ein Geschichtsbuch, sondern um ein rein kommerzielles Produkt, eine Filmgeschichte, die außerhalb der Kirche spielt und jetzt außerhalb der Kirche verboten werden soll. Im nächsten Schritt wird die Kirche mir wohl diktieren, was ich in meinen eigenen vier Wänden machen darf. Und später dann in meinem Kopf."

Kirche bittet, die Gefühle der Gläubigen zu respektieren

Der Pressesprecher der russisch-orthodoxen Kirche, Wachtang Kipschidze, versucht die Diskussion zu entschärfen. "Wir müssen den Film erst einmal abwarten, bevor wir ihn beurteilen können", sagt er gegenüber der DW. "Natürlich muss man die künstlerische Freiheit des Regisseurs respektieren. Gleichzeitig aber muss man auch Rücksicht auf die Gefühle der Menschen nehmen, die sich verletzt fühlen." In den USA gehe man schließlich freier mit Themen wie Holocaust um, als in Europa, versichert Kipschidze.

Politische Anführerin des Protests: Duma-Abgeordnete Natalja PoklonskajaBild: picture-alliance/dpa/N. Kolesnikova

Zu der Initiative der Abgeordneten Poklonskaja, "Matilda" zu verbieten, will der Kirchenmann nichts sagen. "Die Kirche kommentiert die Aktivitäten einzelner Abgeordneten nicht und mischt sich nicht in deren politischen Kampf ein." Grundsätzlich wäre es aber "besser, wenn der Regisseur auf die Gläubigen zugeht und damit mehr Verständigung erreicht wird".

Verhärtete Fronten

Davon fehlt aber bislang jede Spur. Im Gegenteil, die Fronten verhärten sich. Poklonskaja lässt nicht locker. Regisseur Aleksej Utschitel will die Verfasser der Drohbriefe zur Verantwortung ziehen. Ihn erinnere die Aktion an "das echte Banditentum der chaotischen 1990er-Jahre".

Seine Film-Kollegen, die jetzt den Gegenprotest starten, begreifen den Angriff der Kirche als "moralischen Zensor" als weiteren Angriff auf das gesellschaftliche Leben in Russland. Ein Leben, in dem ganze Theaterinszenierungen von den Spielplänen verschwinden, wie Wagners "Tannhäuser" in der Oper von Nowosibirsk. In dem ganze Ausstellungen schließen müssen, wie die des Avangarde-Bildhauers Vadim Sidur. Und in dem nicht einmal die Eremitage von Sankt Petersburg vor "Beleidigten" und "Erzürnten" sicher ist, weil sie neben den alten Schinken moderne Werke des Belgiers Jan Fabre zu zeigen wagt.

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