EU darf Feindseligkeit der USA nicht hinnehmen
25. Juli 2018Deutsche Welle: Wenn es um die Handelsbeziehungen zwischen den USA und der EU geht, ist oft von einem Handelsstreit die Rede. Ist das schon ein Krieg - oder wie würden Sie das beschreiben?
Maria Demertzis: Ich glaube nicht, dass wir heute schon einen Handelskrieg haben. Dafür ist der Ausdruck doch zu hart. Wir haben erlebt, dass Präsident Trump einige feindselige Maßnahmen ergriffen hat, die sich gegen den freien Handel richten. Das ist natürlich nicht wünschenswert, weder für die EU noch für die Amerikaner, obwohl Trump darauf besteht, dass es eine gute Sache sei. Aber es ist noch kein voll entfalteter Krieg. Wenn die EU Vergeltung üben sollte, könnte es jedoch leicht zu einer Eskalation kommen.
Wo verläuft da die Grenze? Was ist die rote Linie für einen "Handelskrieg"?
Es gibt da keine klare Definition. Man kann es aber an den Zahlen ablesen. Sobald Sie einen drastischen Rückgang des Handelsvolumens zwischen den beiden Seiten feststellen, können Sie mit Sicherheit davon ausgehen, dass ein Handelskrieg herrscht. Bislang sind die Zahlen nicht zurückgegangen, aber natürlich dauert es einige Zeit, bis sich die Wirkung zeigt.
Was kann die Europäische Union jetzt noch machen, um einen Handelsstreit abzuwenden?
Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die die EU machen kann und ja auch macht. Zu allererst nutzt sie die Möglichkeiten im multilateralen Handelssystem. Sie hält sich an die Regeln des Welthandelssystems, hat die USA vor dem Gericht der Welthandelsorganisation (WTO) verklagt. Das ist der erste und einfachste Schritt, der völlig in Einklang mit den Regeln steht. Das ist sehr wichtig, weil die EU das internationale Regelwerk für sehr wertvoll hält und erhalten will. Der zweite Schritt ist schon deutlicher: Da geht es darum, auf die Maßnahmen der Amerikaner in proportionaler Weise zu reagieren. Das ist nötig, um Trump und den Amerikanern zu zeigen, dass die EU feindselige Akte der USA, die die Wirtschaft schädigen können, nicht einfach hinnimmt. Die EU will das nicht unbedingt, aber sie ist gezwungen, es zu tun.
Außerdem redet die EU weiter mit Trump. Darum fährt EU-Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker jetzt ins Weiße Haus, um zu erklären, wie die Wirtschaft geschädigt wird, und dass dies vermieden werden muss. Er wird versuchen zu deeskalieren, aber gleichzeitig mögliche Gegenmaßnahmen gegen die Zölle vorbereiten. Es ist sehr wichtig, gleichzeitig Handelsabkommen mit anderen Teilen der Welt weiter voranzutreiben. Wir haben den Deal mit Japan letzte Woche erlebt. Die EU spricht mit Australien, Neuseeland, dem Mercosur-Verbund in Lateinamerika. Die EU engagiert sich und das ist sehr gut.
Jean-Claude Juncker fährt nach Washington und soll kein Angebot im Gepäck haben, weil er auch kein Mandat der EU-Mitgliedsstaaten hat, jetzt irgendetwas zu verhandeln. Stattdessen will er auch über unkonventionelle Lösungen und neue Ideen sprechen, um den Handelsstreit beizulegen. Was könnte das sein?
Ich meine, der Besuch in Washington ist Teil einer größer angelegten Strategie. Wir müssen verstehen, dass niemand gewinnt, wenn Handelsstreitigkeiten eskalieren. Das wird die Juncker-Delegation versuchen, der Regierung in Washington klarzumachen, wenn man sich Auge in Auge gegenübersitzt. Ich bin sicher, dass es viele Amerikaner gibt, gerade unter den Republikanern, die die Vorteile des freien Handels erkennen. Die EU wird in der Handelspolitik ausschließlich von der EU-Kommission vertreten. Das ist das Mandat, das Jean-Claude Juncker hat. Das sollte er bis an seine Grenzen ausreizen.
Lassen Sie mich noch einmal nach unkonventionellen Lösungen fragen. Ein Vorschlag lautet, man könne die auf Eis gelegten Verhandlungen zu TTIP, also einem umfassenden Handelsabkommen zwischen den USA und der EU, wieder aufnehmen. Ist das ein Weg?
Ich bin nicht sicher, ob es diese unkonventionellen Lösungen überhaupt geben kann. Es gibt eine klare Strategie der EU, nämlich sich international zu engagieren und sich an Regeln zu halten. Die sollte man jetzt durchziehen. Offen gesagt, glaube ich nicht, dass Verhandlungen mit Trump irgendetwas bringen würden. Wichtig ist, die internationalen bestehenden Regeln einzuhalten und das Offensichtliche herauszustellen, nämlich dass Handelskriege sehr viel Schaden für alle anrichten.
Sie heben stark auf die Welthandelsorganisation (WTO) ab. Aber die Verfahren vor der WTO sind sehr langwierig. Kann es sein, dass es eigentlich zu spät ist, bis die WTO irgendwann zu einem Beschluss kommt?
Es ist richtig, dass die Welthandelsorganisation nicht perfekt arbeitet. Die EU erkennt ja auch einige Kritikpunkte der USA und ihr Verlangen nach einer Reform der WTO als vernünftig an - nach den Erfahrungen mit anderen Handelskonflikten. Deshalb könnten jetzt beide Seiten zumindest versuchen, an einer Reform zu arbeiten, und zwar in der von Trump gewünschten Richtung. Das wäre eine gute Sache. Die Länge der Verfahren vor der WTO dürfen aber nicht dazu führen, dass wir das ganze System aufgeben.
Maria Demertzis ist stellvertretende Leiterin der Brüsseler Denkfabrik "Bruegel". Die griechische Ökonomin hat in der EU-Kommission, der niederländischen Zentralbank und der Harvard Kennedy School for Government in den USA gearbeitet.
Das Gespräch führte Bianca Ferrari, Studio Brüssel