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Demo in Kiew: Keine Verträge mit Russland!

Roman Goncharenko15. Dezember 2013

Hunderttausende Menschen gingen in der ukrainischen Hauptstadt am Sonntag auf die Straße. Sie warnten den Präsidenten Viktor Janukowitsch davor, Verträge mit Russland zu unterzeichnen. Eine Reportage aus Kiew.

Michailo Korol, Demonstration gegen die Regierung in Kiew am 15.12.2013 (Foto: DW)
Bild: DW/L. Grischko

Es ist 11.35 Uhr. Michailo Korol geht Richtung Präsidentenamt auf der Bankowa-Straße in Kiew. Weit kommt er nicht. Rund 300 Meter vor dem Haupteingang haben Sondereinheiten der Polizei die Straße mit Metallplatten abgesperrt. Hundert Meter weiter steht eine zweite Reihe aus Polizisten. Und wiederum hinter ihnen versperren Stoßstange an Stoßstange geparkte Busse den Eingang. Der Amtssitz des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch und das ganze Regierungsviertel gleichen an diesem Sonntag (15.12.2013) einer belagerten Festung.

Der Grund ist eine weitere Demonstration seiner Gegner auf dem Maidan Nesaleschnosti, dem Unabhängigkeitsplatz. Es ist bereits die vierte Sonntagskundgebung, seit Janukowitsch am 21. November überraschend die Vorbereitung der Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union ausgesetzt hatte. Wieder sind hunderttausende Menschen gekommen.

Präsidentengegner aus der Westukraine

Manche wie Michailo Korol haben einen langen Weg auf sich genommen. Der Geschäftsmann ist aus dem rund 600 Kilometer westlich gelegenen Iwano-Frankiwsk nach Kiew gereist. "Meine Freunde und ich haben einen Bus gemietet und sind für einen Tag gekommen", erzählt er der Deutschen Welle. "Wir wollen, dass Janukowitsch und seine Regierung zurücktreten".

Viele der Regierungsgegner, die seit Wochen in Kiew demonstrieren, kommen aus dem Westen der Ukraine. Die Mehrheit dort will eine Annäherung des Landes an Europa. Und auch dort gibt es Protestaktionen. Bei sich zu Hause unterstützt der Endvierziger die Aktivisten. "Wir versorgen sie mit Essen", sagt Korol. Er besitzt in Iwano-Frankiwsk ein Cafe und eine Bäckerei.

US-Senator John McCain verspricht den Demonstranten seine SolidaritätBild: Reuters

Generation Unabhängigkeit

Am Mittag füllt sich der Unabhängigkeitsplatz in Kiew mit Menschen. Zehntausende stehen Schulter an Schulter. Man braucht fast eine Stunde, um den rund 200 Meter breiten Platz zu überqueren. In den vergangenen Tagen sind an Nebenstraßen Barrikaden entstanden. Demonstranten suchen dahinter Schutz vor der Polizei. Die Bollwerke erschweren jedoch den Zugang zum Maidan.

Die Veranstalter haben die Sonntagskundgebung "Witsche" genannt. Das ist ein altukrainisches Wort. Damit wurden früher Volksversammlungen bezeichnet, bei denen es um wichtige, schicksalhafte Entscheidungen ging.

"Genau darum geht es heute", sagt Switlana, eine Studentin aus Kiew. Sie ist zusammen mit drei Freunden zur Kundgebung auf dem Maidan gekommen. Switlana trägt auf dem Kopf einen Blumenkranz, das ist ein Teil der Volkstracht bei ukrainischen Frauen. Auf ihre Wange hat sich die Studentin die blau-gelbe ukrainische Fahne geschminkt. "Wir wollen, dass die Ukraine der Europäischen Union und nicht Russland näher kommt", sagt sie. Switlana und ihre Freunde sind Anfang 20. Es ist eine Generation, die in der unabhängigen Ukraine geboren und aufgewachsen ist.

Blumenkränze: Teil der Volkstracht und ein Symbol für die AktivistenBild: DW/L. Grischko

Warnung vor Moskau-Besuch

Die Kundgebung soll eine mögliche Annäherung der Ukraine an Russland verhindern. Eine Erklärung, die Politiker und Aktivisten auf der Bühne verlesen, warnt den Präsidenten, "keine Verträge mit Russland zu unterzeichnen, die den Weg der Ukraine nach Europa stoppen würden".

Janukowitsch reist am Dienstag (17.12.2013) nach Moskau, um sich mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin zu treffen. Geplant ist nach offiziellen Angaben die Unterzeichnung mehrerer Wirtschaftsverträge. Die Regierung in Kiew bestreitet jedoch, dass es bei diesem Treffen um einen Beitritt zur Zollunion ehemaliger Sowjetrepubliken geht.

Für Dienstagabend haben die Regierungskritiker eine neue Kundgebung in Kiew angekündigt, um ein Zeichen gegen eine mögliche Annäherung der Ukraine an Russland zu setzen. "Wir sind ein europäisches Volk und wollen nach Europa." Diesen Satz sagen viele Redner auf der Bühne.

Auszeichnung für Ruslana

Die Sängerin und Eurovisions-Siegerin Ruslana betont, dass die EU für die Ukraine eine Beitrittsperspektive eröffnen solle. "Es gibt Forderungen, die Visumspflicht für die Ukrainer abzuschaffen", erklärt sie: "Ich möchte ohne Visum nach Europa reisen."

Ruslana bekommt auf der Bühne eine Auszeichnung "für Mut". Sie engagiert sich als Moderatorin jede Nacht auf dem Maidan. Als die Polizei den Platz in den vergangenen Tagen räumen wollte, appellierte Ruslana an die Menschen in Kiew, sofort in die Innenstadt zu fahren. Tausende folgten ihrem Ruf.

Auch Oppositionspolitiker wie der Boxweltmeister Vitali Klitschko beschwören den Weg nach Europa. Sie fordern außerdem Neuwahlen und die Freilassung politischer Gefangener, darunter der inhaftierten ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. "Wir werden nicht aufgeben", schwört Klitschko. Als es zu Unruhen am Rande der Kundgebung kommt, ruft Klitschko: "Gibt es Provokateure? Ich schaue gleich nach." Es gibt Gelächter und Applaus.

Die Teilnehmer des "Anti-Maidan" - Anhänger des Präsidenten JanukowitschBild: DW/L. Grischko

Unterstützung bekommen die Demonstranten von zwei US-Senatoren. Der Demokrat Chris Murphy und der Republikaner John McCain treten neben ukrainischen Oppositionspolitikern auf die Bühne. "Die Vereinigten Staaten stehen in dieser Zeit zur Ukraine", sagt McCain. Er appelliert an ukrainische Polizisten, keine Gewalt gegen Demonstranten anzuwenden.

Düstere Musik auf dem "Anti-Maidan"

Dass es dazu kommt, ist durchaus möglich. Im abgesperrten Regierungsviertel demonstrieren an diesem Sonntag zehntausende Anhänger des Präsidenten. Die meisten kommen aus dem Osten und dem Süden der Ukraine. Dort, im Industriegürtel, hat Janukowitsch seine Hochburgen. Die Stimmung auf dem "Anti-Maidan" ist anders als noch vor wenigen Tagen. Aus den Lautsprechern tönt düstere Musik.

"Hoffentlich bleibt es friedlich", sagt Mikhailo Korol aus Iwano-Frankiwsk. Er will demnächst wieder nach Kiew kommen.

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