1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Demokratie braucht Streit-Kultur

Petra Lambeck23. September 2013

Deutschland hat gewählt, das Ergebnis schien erwartbar und erstaunte doch. Aber was sagt es eigentlich über das politische Engagement der Deutschen? Ein solches gibt es nicht mehr, meint so mancher Kulturschaffende.

Wahlsiegerin Angela Merkel dominiert die Titelseiten von deutschen Tageszeitungen einen Tag nach der Bundestagswahl (Foto: Maja Hitij/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Jubel bei der CDU, Frust bei der FDP, Ratlosigkeit bei so manchem Wähler. "Das ist eine seltsame Konstellation", meint der Schriftsteller Moritz Rinke, der den Wahlabend auf einer Wahlabendparty in Berlin erlebte. "Da gibt es offensichtlich eine Mehrheit in diesem Land, die links der Mitte steht, wenn man das Spektrum von SPD, Linken und Grünen jetzt mal so bezeichnen kann. Demgegenüber steht ein großer konservativer Sieg, der als solcher aber gar nicht zu begreifen ist, weil Angela Merkel ja nicht problemlos wird regieren können." Und überhaupt sei es erstaunlich, dass fast eine absolute Mehrheit zustande gekommen sei, mit Wahlkampfinhalten, die eigentlich nichts beinhalteten. "Das ist entweder eine Sensation oder ein sehr trauriges Resultat unserer ja fast schon post-politischen Kultur. Das war eigentlich das erste, was ich dachte", so Rinke im Gespräch mit der Deutschen Welle am Montag (23.09.2013).

Sind die Deutschen zu gemütlich?

Moritz Rinke: "eine seltsame Konstellation"Bild: picture-alliance/dpa

Politik ist kompliziert - und manchmal vielleicht auch zu kompliziert. So erklärt sich Rinke, dass beispielsweise das Thema Europa seiner Ansicht nach im Wahlkampf keine große Rolle gespielt hat. Für ihn eines der wichtigsten Themen, auf das sich die Opposition aber nicht eingelassen hätte. "Ich habe den Eindruck, dass unsere Politiker meinen, dem Volk so etwas nicht mehr zumuten zu können. Dass es eben auch mal komplizierter werden kann." Stattdessen würde der Wahlkampf immer inhaltsloser und schablonenhafter. "Es gab keine wirtschaftspolitische Konzeption der SPD, kein politisches Gegengewicht zu Merkels Europapolitik", so Rinke. Und damit eben auch keinen Diskussionsstoff.

Unzufrieden mit dem Auftreten von SPD und Grünen ist auch der Schriftsteller Feridun Zaimoglu. Er ärgere sich besonders über das Verhalten von Peer Steinbrück (SPD) und Jürgen Trittin (Bündnis 90/ Die Grünen), sagte er der Deutschen Welle. Seiner Meinung nach hätten beide direkt nach der Niederlage zurücktreten müssen. "Da zu sitzen und einfach zu sagen, wir haben unser Ziel nicht erreicht. Das geht einfach nicht." Stattdessen müssten SPD und Grüne auf die Straße gehen, sich umhören, die Leute ansprechen. "Eine gute Sache kann ich der Wahl abgewinnen: nämlich, dass SPD und Grüne eine richtig saftige Lektion bekommen haben." Ansonsten mache ihn das Wahlergebnis aber nicht sehr glücklich. Die Deutschen hätten seiner Meinung nach Sicherheit gewählt. Sicherheit im dem Sinne, dass es einfach so weitergehen soll wie bisher.

Ein Diskurs muss her

Auch Klaus Staeck, Leiter der Akademie der Künste, kritisiert die politische Lustlosigkeit in der Gesellschaft. Seiner Ansicht nach entspricht der Wahlsieg von Angela Merkel der deutschen Mentalität. "Die Leute haben in ihrer Mehrheit ein großes Sicherheitsbedürfnis, und das ist bei Frau Merkel gut aufgehoben, weil sie politischen Auseinandersetzungen aus dem Weg geht", so Staeck im Interview mit der Deutschen Welle. Das käme bei vielen gut an, denn ein Großteil der Deutschen sei sehr bequem geworden. "Wir haben eine unpolitische Situation erreicht, in der alles, was nach Auseinandersetzung auch nur riecht, von vielen Leuten als störend empfunden wird", kritisiert Staeck.

Klaus Staeck: "Medien nehmen Aufgabe nicht wahr"Bild: dapd

In der Verantwortung sieht er dabei auch die Journalisten, die ihre Aufgabe, Gegensätze zu transportieren, nicht mehr wahrnähmen. "Die Medien klären nicht mehr auf", so Staeck. Und damit sei die Demokratie in Gefahr. "Das beunruhigt mich am allermeisten, dieses breiige Entpolitische in fast allen Gebieten. Dem muss man versuchen zu begegnen." Bei einer Wahl müssten politische Entscheidungen getroffen werden und das könne nicht auf einem Bauch- oder Sympathiegefühl beruhen.

Liberale Tradition in Deutschland

Ganz zufrieden mit dem Ausgang der Wahl ist hingegen der Musiker Henri Schmidt von der Band "Die Prinzen". "Ich kann damit sehr gut leben", sagte er im Gespräch mit der DW. "Natürlich gibt es Dinge, die man kritisieren kann, aber ich glaube, es ist für Deutschland jetzt nicht das Schlimmste, wenn Merkel noch mal vier Jahre Kanzlerin ist." Überrascht hat ihn, dass die FDP den Einzug in den Bundestag nicht geschafft hat. "Wir hatten gestern ein Konzert, das um 18 Uhr losging, sodass wir die ersten Prognosen und Hochrechnungen verpasst haben. Um 20 Uhr war das Konzert zu Ende und da haben wir erst mal gestaunt alle miteinander." Dabei habe sich auch Schadenfreude breit gemacht, denn von der FDP halte er nicht viel.

Anders sieht das der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Rüdiger Safranski. Er findet es "schade", wie er sagt, dass die FDP "so ganz abgerauscht" ist. Die Tradition des Liberalismus müsse bewahrt werden, auch wenn sie bei der FDP nicht immer in guten Händen gewesen sei. "Ich hoffe, dass es eine Renaissance des Liberalismus geben wird", so Safranski.

Ralph Giordano: "Glück mit unserer Demokratie"Bild: picture-alliance/dpa

Blickwechsel

Bei aller Diskussion, wie politisch die Deutschen nun sind oder sein sollten - es lässt sich alles relativieren, sagt der Schriftsteller Ralph Giordano. "Es findet ja, obwohl Frau Merkel weiter regiert, ein Machtwechsel statt. Es ändert sich etwas in der Parteienlandschaft. Und wie ändert sich das? Unblutig, ruhig, demokratisch. Man schaue sich mal in der Welt um, was ein Machtwechsel woanders bedeutet. Wir haben verdammt noch mal Glück mit unserer Demokratie."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen