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Kultur als Waffe

Judith Raupp
3. März 2018

Im Ostkongo wächst eine Generation kritischer Künstler heran. Traditionelle Rumba und Herzschmerz genügen ihnen nicht. Wie der Online-Kanal Zik plus die Welt verändern will.

Kongo Goma Online-Kanal Zik plus
Bild: Judith Raupp

Yves Kalwira lächelt. Der Musikmoderator ist zufrieden, weil der Stromgenerator und die Tonanlage funktionieren, was nicht immer der Fall ist. Aber an diesem Abend klappt alles. Sein Gast, der Sänger Majic Pinokio, kann die letzten Töne vor der Live-Sendung mit seiner Band proben. Die 70 jungen Zuschauer fiebern der Show des Onlinesenders Zik plus entgegen. Frieden und Vorfreude schwingen durch die Freiluftbar in Goma.

Das ist eine kleine Sensation. Seit Jahrzehnten kämpfen diverse Rebellengruppen und Regierungssoldaten im Ostkongo um Land und Bodenschätze. Die Region steht eher für Gewalt, Armut und Willkür als für Kultur. Yves Kalwira will das ändern. Er hat Zik plus vor zwei Jahren gegründet. Es ist der erste Online-Kulturkanal in der Region. Die Sendungen laufen auf Youtube und in zwei lokalen Fernsehsendern in Goma.

Hoffnung für die Jugend

Kalwira ist überzeugt, dass Künstler jungen Menschen Hoffnung geben können. Er fordert von der jungen Generation, dass sie für ihr Recht auf ein Leben in Würde und Wohlstand einsteht. Und er sieht dabei die Musiker in der Pflicht. "Sie sind Idole. Wenn sie die Bevölkerung aufrufen, etwas Gutes zu tun, folgen die Menschen. Kultur kann eine wirksame Waffe für den Wandel sein", ist Kalwira überzeugt.

Zik-Gründer Yves Kalwira beim Technik-AufbauBild: Judith Raupp

Es ist allerdings ein mühsamer Weg bis dahin. Kalwira liegen viele Steine im Weg. Er muss zum Beispiel ins benachbarte Ruanda reisen, wenn er die Videos von Zik plus im Internet veröffentlichen will. Denn im Kongo ist das Netz zu schwach. Manchmal kappt es die Regierung auch einfach, weil sie zu viel Protest in den sozialen Medien fürchtet. Kalwira muss außerdem für jede Show Kamera, Scheinwerfer und Tonanlage mieten. Jedes Mal kostet ihn das mehr als 160 Euro.

Soldaten als Diebe

Dabei hat er selbst kaum Geld. Er lebt mehr schlecht als recht von kleinen Honoraren, wenn er Hochzeitsfeiern moderiert oder Kampagnen für Menschenrechtsorganisationen leitet. Und das wenige, das er hat, wird ihm öfter geklaut. Schlecht bezahlte Polizisten und Soldaten haben ihn schon mehrmals ausgeraubt.

Letztens haben Soldaten seinen Techniker auf dem Heimweg nach einer Sendung überfallen. Computer, Aufnahmen, Geld: alles war weg. Der Schaden betrug über 3200 Euro. Zudem fühlte sich das Team von Zik plus ganz unten. Fast hätten sie aufgegeben.

Die Menschen im Ostkongo machen ständig solche schlechten Erfahrungen. Deshalb lieben sie kritische Künstler wie Magic Pinokio. An diesem Abend singt er seinen neuen Titel "Salaud".

Gerade bei jungen Kongolesen sind die Live-Sendungen von Zik sehr beliebtBild: Judith Raupp

Die Zuschauer sind begeistert, auch wenn der Ton schlecht ist. Höflich übersetzt heißt Salaud "Drecksack". Keine Frage, wer damit gemeint ist: Es sind jene Machthaber in afrikanischen Ländern, die das Land auf Kosten der Bevölkerung ausbeuten.

Dass die Künstler im Ostkongo zunehmend kritische Texte singen, hält Musikmoderator Kalwira beinahe für ein Naturgesetz. "Wenn Du ständig Ungerechtigkeit erlebst, dann werden Deine Texte wie von selbst kritisch", glaubt er. Kalwira selbst hat schon diverse Sprechgesänge aufgenommen. Diese Slams erzählen zum Beispiel von Holzhütten ohne Strom und Wasser, oder von Krieg und Gewalt. Kalwira musste selbst als Kind 200 Kilometer zu Fuß fliehen, als in seiner Heimat wieder einmal ein Krieg ausbrach.

Rumba nur für Reiche

So ist es kaum verwunderlich, dass in Goma eine Gegenkultur zur Rumba heranwächst, zu jener Musik, die weltweit als Markenzeichen des Kongo gilt. Rumba-Stars singen meist über Liebe und Herzschmerz. Ihre Heimat ist die Hauptstadt Kinshasa. Sie liegt 1600 Kilometer vom Elend in Goma entfernt. Im Osten bevorzugen die Künstler dagegen Rap, Beat, R&B oder Weltmusik. Sie verehren Alpha Blondie, Bob Marley, aber auch Widerstandskämpfer wie Patrice Lumumba oder Che Guevara.

Als Kalwira noch in der Grundschule war, haben ihm seine Mitschüler den Spitznamen Che Guevara gegeben. Bis heute regt sich der 27-Jährige auf, wenn Menschen ignorieren, dass es anderen schlecht geht. Deshalb sieht auch Kalwira die Rumba-Szene kritisch: "Das ist die Musik der Reichen, die sich für nichts interessieren, außer dass sie ihr Bier trinken und Liebeslieder hören können."

Kalwira (rechts) während der Moderation einer Sendung von Zik plusBild: Judith Raupp

Auch Exil-Kongolesen kritisieren die großen Rumba-Stars. Sie werfen ihnen zu große Nähe zum Regime von Präsident Joseph Kabila, zumindest aber Gleichgültigkeit vor. In Paris haben sie im vergangenen Jahr die Auftritte der Rumba-Stars Héritier Watanabe und Fally Ipupa verhindert. Sie drohten, Saal und Einrichtung zu demolieren. Daraufhin verbot die Präfektur die Konzerte.

Abhauen, ein besseres Leben in Europa suchen, das kommt für Kalwira und die Protest-Künstler im Ostkongo allerdings nicht in Frage. Sie halten die Flucht für einen Fehler. Junge Menschen in Afrika sollten zu Hause an ihrer Zukunft bauen, sind sie überzeugt.

Darauf besteht auch der Sänger Magic Pinokio in der Show von Zik plus. "Africaine" heißt einer der Titel. "Vereintes Afrika, mein Traum", singt der Musiker in die Nachtluft.

Danach fallen sich Moderator, Sänger und Zuschauer in die Arme. Für einen Abend sind sie die moralischen Sieger. Davon müssen sie zehren.

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