Obwohl die chinesische Regierung gedroht hatte einzugreifen, sind in Hongkong wieder Zehntausende Anhänger der Demokratiebewegung auf die Straße gegangen. Es kam vereinzelt zu Reibereien zwischen Polizei und Aktivisten.
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Wieder Proteste in Hongkong
01:53
Trotz heftigen Regens waren laut Schätzungen rund 50.000 Menschen zu einem friedlichen Protestmarsch gekommen und für Sonntag werden noch mehr Menschen erwartet. Die Organisatoren der Demokratiebewegung wollen Hunderttausende auf die Straßen der chinesischen Sonderverwaltungszone bringen.
Die Kritik richtete sich anfangs gegen die prochinesische Stadtregierung unter Regierungschefin Carrie Lam, inzwischen aber auch gegen Peking direkt. Aus der Menge wurden an diesem Samstag auch Rufe nach Unabhängigkeit laut.
Vor allem junge Leute hatten sich an dem kilometerlangen Marsch beteiligt. Viele waren schwarz gekleidet und trugen Atemschutzmasken - zum Schutz gegen Tränengas, aber auch, um nicht erkannt zu werden. In der Menge marschierten allerdings auch Familien mit Kinderwagen mit. Wieder waren auch Fahnen der USA und Taiwans zu sehen, was für China eine besondere Provokation ist.
Die 40-jährige Musiklehrerin Yu, die sich gemeinsam mit anderen Lehrern erstmals an der Kundgebung beteiligte, sagte, sie wolle die Proteste der jungen Leute unterstützen, auch wenn sie nicht mit allen Aktionen einverstanden sei. "Ich bewundere sie für ihren Mut und ihre Sorge um Hongkong - sie sind definitiv entschlossener als unsere Regierung", so Yu.
Aus Furcht vor Krawallen blieben viele Geschäfte entlang der Route geschlossen. Der Marsch verlief jedoch friedlich. Anschließend zogen mehrere Hundert maskierte Demonstranten vor ein Polizeirevier. Von einer Überführung wurden Mülltonnen auf die Polizei geworfen. Die Situation eskalierte aber nicht. In einem Park versammelten sich auch Tausende Gegendemonstranten. Dort wurde die chinesische Flagge geschwungen und die Nationalhymne gesungen.
Gegen die Aufweichung des Prinzips "ein Land, zwei Systeme"
Die Proteste in der Wirtschaftsmetropole Hongkong halten seit zehn Wochen an. In jüngster Zeit schlugen sie verstärkt in Gewalt um. Die Demonstranten werfen der Hongkonger Regierung eine zu große Nähe zur kommunistischen Führung in Peking vor. Die frühere britische Kronkolonie ist seit 1997 eine chinesische Sonderverwaltungszone, in der die Einwohner größere persönliche Freiheiten genießen als in der Volksrepublik. Die Demonstranten erklärten, sie kämpften gegen die Aufweichung des Prinzips "ein Land, zwei Systeme", das seit der Autonomie 1997 erklärtermaßen gelte.
Aus einem Protest gegen einen umstrittenen Gesetzentwurf wurde ein Volksaufstand gegen die Zentralregierung. Die Lage in Hongkong war in den vergangenen Wochen unruhig. Ein Rückblick in Bildern.
Bild: Reuters/T. Siu
Umstrittener Gesetzentwurf
Im April brachte die Hongkonger Stadtverwaltung einen umstrittenen Gesetzesentwurf ins Parlament ein. Festgenommene Tatverdächtige in Hongkong sollen nach dem Entwurf ans Festlandchina ausgeliefert werden dürfen. Kritiker sehen Hongkongs Autonomie in Gefahr. Am 9.Juni fand die erste große Demonstration statt, an der schätzungsweise über eine Million Menschen teilnahm.
Bild: picture-alliance/AP PHoto/V. Yu
Parlament vertagte Lesung
Am 12. Juni wurde die zweite Lesung des Gesetzentwurfs kurzfristig abgesagt, weil Demonstranten das Parlamentsgebäude umzingelt hatten. Mit Tränengas und Gummigeschossen räumte die Polizei das Gelände. Regierungschefin Carrie Lam verurteilte den "Aufruhr". Dieser Tatbestand ist in Hongkong strafbar. Später zog Lam den Gesetzesentwurf zurück.
Bild: Reuters/T. Siu
Plenarsaal im Parlament gestürmt
Doch dieser Schritt konnte den Unmut nicht besänftigen. Demonstranten fordern die Einstellung des Gesetzgebungsverfahrens, keine Strafverfolgung wegen "Aufruhr" sowie den Rücktritt der Regierungschefin. Am 1. Juli, dem 22. Jahrestag der Rückgabe Hongkongs an China, stürmten die Demonstranten den Plenarsaal im Parlament und beschmierten das Wappen von Hongkong (Bild).
Bild: Getty Images/AFP/V. Prakash
Demonstranten fordern Peking heraus
Die chinesische Zentralregierung wird als Drahtzieher hinter dem Gesetzesvorhaben vermutet. Kritiker glauben, dass Peking den demokratischen Prozess in Hongkong absichtlich verhindert wie die Direktwahlen des Stadtverwalters und sämtlicher Parlamentssitze. Am 21.Juli wurde das Verbindungsbüro der Zentralregierung attackiert und Chinas Staatswappen beschmiert.
Bild: picture-alliance/AP Photo/B. Yip
Prochinesische Schlägertruppe
Später am gleichen Tag attackierte eine große Schlägertruppe in einer U-Bahn-Station Teilnehmer der Demonstration, die nach Hause fahren wollten. Die Polizei traf sehr spät ein, so dass der Eindruck entstand, die Polizei möchte gar nicht eingreifen. Augenzeugen berichteten, Polizisten hätten lediglich "zugesehen". Später wächst auch Unzufriedenheit gegenüber den Ordnungshütern in Hongkong.
Bild: Reuters/Stand News/Social Media
Bewegung zivilen Ungehorsams
Die Protestler in Hongkong haben den Geist des indischen Widerstandskämpfers Mahatma Gandhi neu entdeckt und starteten die sogenannte Kampagne der Nichtkooperation. So wurde in Morgenstunden am 30.Juli der öffentliche Verkehr teilweise lahmgelegt, da viele Menschen die Türbereiche in den U-Bahnen nicht frei machten.
Bild: Reuters/T. Siu
Katz-und-Maus-Spiel
Um die Polizei nicht schnell auf den Plan zu rufen, entwickelten die Demonstranten in den sozialen Netzwerken eine Flashmobtaktik. Anonyme und überraschende Versammlungen fanden an mehreren Orten zeitgleich statt. Die Menschen blockierten am ersten Augustwochenende wichtige Verkehrsstraßen sowie einen der drei Unterseetunnel.
Bild: Reuters/K. Kyung-Hoon
Generalstreik
Am 5. August kam es in Hongkong zum Generalstreik. Das öffentliche Leben in der südchinesischen Metropole lag lahm. Zuvor hatten sich auch die Beamten versammelt und kritisch über ihren Dienstherrn, Verwaltungschefin Carrie Lam, geäußert. Lam selbst will nicht zurücktreten und bekräftigt ihre Unterstützung durch die Zentralregierung.
Bild: picture-alliance/AP Photo/V. Thian
Hongkonger Flughafen stellte Betrieb ein
Zwei Tage hintereinander musste der Hongkonger Flughafen aufgrund Massendemonstration im Terminalgebäude den Flugbetrieb am 12. und 13. August teilweise einstellen. 300.000 Passagiere waren gestrandet. Experten bezifferten die Schäden auf zwei Milliarden Euro. Nach einem Gerichtsbeschluss darf im Terminal weiter demonstriert werden, allerdings nur in den ausgewiesenen Flächen.
Bild: REUTERS
Peking schickt Truppen an die Grenze
Zwar darf die Verwaltungschefin Lam bei größeren Unruhe die Zentralregierung um Einsatz chinesischer Soldaten bitten. Aber sie hat mehrfach bekräftigt, dass sie dies nicht tun würde. Um die Demonstranten abzuschrecken, schickt Peking gepanzerte Fahrzeuge an die Grenze zu Hongkong und veröffentlicht Videos von Militärübungen, die zeigen, wie bewaffnete Soldaten gegen Demonstranten vorgehen.
Bild: Reuters/T. Peter
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"Wir spüren, dass die Spannungen größer werden und der Stresslevel steigt", sagte der 22-jährige Pun der Nachrichtenagentur Reuters während einer Blockadeaktion am Flughafen Anfang der Woche. Er wisse, dass Gewalt nicht mit Gewalt bekämpft werden könne, "aber manchmal sind Aggressionen notwendig, um die Aufmerksamkeit der Regierung und anderer zu bekommen". Er habe Steine geworfen und sei von Schlagstöcken der Polizei getroffen worden. "Wir alle gewöhnen uns langsam daran."
Die Proteste in Hongkong erreichen nun auch andere Länder - wenn auch von anderer Seite. In der australischen Stadt Sydney demonstrierten einige hundert Chinesen für die Haltung der Hongkonger Regierung und das Vorgehen der Polizei. Sie zogen durch die Stadt, sangen "ein China", schwenkten die chinesische Flagge und forderten ein "Ende der Unruhen und der Gewalt in Hongkong".