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Politik

Demonstranten in Thailand trotzen Verbot 

Julian Küng Thailand
15. Oktober 2020

Trotz Notfalldekret lässt die Protestbewegung in Bangkok nicht nach und beharrt auf ihren politischen Forderungen. Sie schaut dabei auch nach Deutschland in der Hoffnung auf Unterstützung.

Thailand Bangkok Proteste
Bild: Chalinee Thirasupa/Reuters

Es hätte der endgültige Warnschuss in Richtung der Protestbewegung sein sollen. Thailands Premier verhängte Donnerstagmorgen in Bangkok den Ausnahmezustand. Das Notfalldekret verbietet Versammlungen von mehr als vier Personen. Wer Nachrichten oder Onlinemeldungen veröffentlicht, die "Angst erzeugen oder Falschinformationen enthalten, welche zu Missverständnissen führen und dadurch die nationale Sicherheit oder den Frieden gefährden", macht sich strafbar. 

Die Demokratiebewegung kümmert das überraschend wenig. Nur wenige Stunden nach Verkündung der "Notstandslage" bevölkern rund 10.000 Regierungsgegner die Straßenkreuzung Ratchaprasong"Befreit unsere Freunde!" hallt es durch die beliebte Einkaufsmeile der Innenstadt. Sie fordern die Freilassung ihrer Mitstreiter, die frühmorgens auf dem Protestgelände vor dem Regierungssitz verhaftet wurden. Führende Köpfe der Protestbewegung sitzen seit der Bekanntgabe des Notstandes hinter Gittern. Die Maßnahmen seien "notwendig", um die ausufernden Straßenproteste zu beenden und "Frieden und Ordnung" aufrechtzuerhalten, erklärt die Regierung.  

Monarchie im Brennpunkt 

Am Tag zuvor hatte ein Autokonvoi mit der königlichen Familie eine Gruppe von Demonstranten durchkreuzt, welche der Königin und ihrem Sohn den Rebellengruß zeigten. Aktivist Ekachai Hongkangwan stellt den Vorfall gegenüber der DW so dar: "Wir riefen den Sicherheitskräften Parolen entgegen, als plötzlich die königliche Limousine auftauchte. Wir waren völlig perplex, denn die offizielle Route war ganz anders angekündigt." In der Vergangenheit durften sich Bürger höchstens auf den Knien dem royalen Autokonvoi annähern.

Der Gesichtsausdruck von Thailands Königin Suthida als der königliche Rolls Royce die Reihen der Demonstranten passiertBild: Jorge Silva/Reuters

Die einst tabuisierte Infragestellung der thailändischen Monarchie versetzt viele ältere Menschen in Unruhe, denen beigebracht wurde, die Traditionen zu achten und das Militär und die Monarchie zu respektieren. "Liberales Denken hat sich in Thailand noch nicht durchgesetzt. Zur gleichen Zeit ist die Indoktrination noch ziemlich stark. Viele erwachsene Thais fühlen sich unwohl, wenn es so direkt um das Königshaus geht", erklärt der in Thailand lebende Politologe Michael Nelson. Hinzu kommt, dass in Thailand von klein auf gelehrt wird, Obrigkeiten zu respektieren und Kritik an höhergestellten Personen zu unterlassen. Der "Pu Noi", wie jüngere Menschen genannt werden, hat dem "Pu Yai", dem Erwachsenen, zu gehorchen und nicht zu widersprechen. 

Rebellierende Jugend stellt Systemfrage 

Ein tief verwurzeltes Wertesystem, das die jungen Demonstranten, meist nicht älter als 25 Jahre und sozialisiert mit freiem Zugriff auf Informationen im Internet, ablehnen. Sie treten nicht nur gegen eine militärnahe Regierung an, die sich 2014 an die Macht putschte und nun den Raum für eine kritische Bürgerbeteiligung weiter einschränkt, sondern auch gegen ein Bollwerk aus tief verankerten Traditionen und sozialen Hierarchien.

Das Bild zeigt die Polarisierung der thailändischen Gesellschaft: In dunkler Kleidung die Demonstranten, die gegen Regierung und für Reformen der Monarchie auf die Straße gehen. In Gelb die Anhänger der Monarchie, die nicht selten dafür bezahlt werden, auf die Straße zu gehenBild: Athit Perawongmetha/Reuters

Der Konflikt spielt sich offenbar zunehmend auch in den Schulen ab. Laut einer Umfrage der Medienfakultät der Silpakorn-Universität soll es in Thailand in den Monaten August und September 115 Fälle von teilweise tätlichen Übergriffen sowie Schikanen von Lehrpersonen gegen rebellierende Schüler gegeben haben. Weitere Erhebungen zu dem Thema seien in Arbeit, heißt es von der Fakultät. 

Schützenhilfe aus Deutschland 

Unterstützung von südostasiatischen Ländern, welche teilweise selbst kein Schlaglicht auf ihre eigenen autoritären Verhältnisse wünschen und im Rahmen des Verbands Südostasiatischer Nationen (ASEAN) Einmischungen in die Angelegenheiten anderer Staaten ablehnen, können die Demokratieaktivisten kaum erwarten.

Stattdessen stoßen die Protestrufe in Deutschland auf manch offenes Ohr. Der Abgeordnete der Grünen im Bundestag, Frithjof Schmidt, wollte von Außenminister Heiko Maas vergangene Woche wissen, ob die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Thailand wieder eingefroren werden, falls sich die Situation in Thailand nicht verbessere. Es sei "eine Option, in der EU darauf hinzuwirken", die Verhandlungen wieder auszusetzen, antwortete Maas. Deutschland hat derzeit den Ratsvorsitz der Europäischen Union inne. "Wir planen derzeit weitere parlamentarische Initiativen zur Situation in Thailand und dem Umgang der Bundesregierung damit", teilt Frithjof Schmidts Mitarbeiterin Laura Brehme der DW mit. Zur Freude der Demokratiebewegung in Thailand. "Wir sind sehr dankbar für die Unterstützung aus Deutschland", sagt ein Student, während hinter ihm eine schwarz-rot-goldene Flagge weht. 

Demonstranten zeigen vor dem Demokratiedenkmal den Drei-Finger-Gruß, der zur Geste des Protests wurdeBild: Chalinee Thirasupa/Reuters

Ausländische Strippenzieher vermutet 

Für die Gegenseite ist die "Einmischung" aus dem Westen aber auch eine Bestätigung bestehender Ressentiments. Viele der Ultraroyalisten sind nämlich überzeugt, dass die unerfahrenen "Kinder" gar nicht in der Lage seien, aus eigenem Antrieb die herrschenden Verhältnisse derart in Frage zu stellen. Die wilden Vermutungen reichen von Gehirnwäsche durch Social Media über die Finanzierung durch einen Lenker im Hintergrund, vorzugsweise Oppositionspolitiker Thanathorn Juangroongruangkit, bis hin zu fremden Mächten aus dem Westen. Als vergangenen Monat ein altes gemeinsames Foto des US-Botschafters in Bangkok zusammen mit Studentenführer Parit Chiwarak auftauchte, machten die Royalisten so lange Druck, bis die US-Botschaft schriftlich erklären musste, dass "die Regierung der Vereinigten Staaten keinerlei Proteste in Thailand finanziert oder unterstützt."

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