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Politik

Den Brexit "endlich durchziehen"

Sarah Bradbury ie
24. Dezember 2018

Die Meisten in der südöstlichen Hafenstadt Ramsgate stimmten für den Brexit. Gut zwei Jahre später liegt immer noch Vieles rund um den EU-Austritt im Argen. Wie sehen die Bewohner das? Eine Reportage von Sarah Bradbury.

Großbritannien Brexit-Hochburg Ramsgate
Bild: DW/S. Bradbury

Dunkle Wolken hängen am Himmel über Ramsgate, doch an einigen Stellen öffnet sich die Wolkendecke und gibt den Blick auf ein Stück klaren Himmel frei an diesem kühlen Morgen in dem Städtchen im östlichen Kent. Straßenverkäufer bauen ihre Stände auf, an denen sie Schuhe, Blumen, Obst oder Deko-Kram feilbieten. Auf der Hauptstraße öffnen Vintage-Läden und Plattenläden neben One-Pound-Shops und Friseuren ihre Türen. Auch Pubs und Fish-and-Chips-Buden finden sich auf der durch und durch britischen Straße, die zum eng mit Booten belegten Hafen führt. 

Vor zweieinhalb Jahren haben die Bewohner von Ramsgate, das ungefähr 120 Kilometer von London entfernt liegt, mit großer Mehrheit für den Brexit gestimmt. Im Wahlkreis Thanet, zu dem die Stadt gehört, votierten 64 Prozent der Menschen für den Austritt aus der Europäischen Union. Dabei nahmen 73 Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung teil - eine der höchsten Beteiligungen im ganzen Land.

Im Hafen von Ramsgate war früher mehr losBild: DW/S. Bradbury

Wie geht es also den Menschen in der Brexit-Hochburg angesichts des politischen Chaos in Großbritannien heute? Denn der geplante Austritt aus der EU ist noch immer alles andere als in trockenen Tüchern. Das Unterhaus könnte im Januar mehrheitlich gegen Theresa Mays mühsam mit der EU ausgehandeltes Austritts-Abkommen stimmen was dann geschehen würde, weiß niemand genau.

Einwanderung und Abstiegsängste

In Ramsgate findet man trotzdem schnell Leute, die zu ihrer Entscheidung von 2016 stehen und nach wie vor die EU verlassen wollen. Auch die Gründe sind immer noch dieselben, die in der damaligen "Vote-Leave"-Kampagne propagiert wurden: Migration, Jobs und Grenzkontrollen. "Es kommen zu viele illegale Einwanderer, die übernehmen alles. Warum sollten Migranten in Großbritannien Wohnungen und staatliche Unterstützung erhalten?", fragt etwa der Rentner Les Shewery.

Les Shewery will immer noch raus aus der Europäischen Union Bild: DW/S. Bradbury

Auch der Frust über die als korrupt empfundenen EU-Institutionen und einen zu geringen Einfluss der Briten bei EU-Gesetzen kocht bei manchen immer noch hoch. "Die EU hat über 44.000 Gesetze, das geht von Bananen bis zum Verbot, Flüsse auszugraben, um Fluten zu verhindern. Es ist einfach verrückt. Leute, die nicht von uns gewählt wurden, bestimmen darüber, was wir zu tun haben", empört sich Paul Dolton, ein 52-jähriger ehemaliger Soldat.

Die Wirtschaft in der Region um Ramsgate hat in den letzten Jahrzehnten ziemlich gelitten, Sparmaßnahmen haben das soziale Gefüge zerrüttet. Im Hafen, der früher das blühende Wirtschaftszentrum der Stadt war, passiert mittlerweile nicht mehr viel. Die Fischerei bringt nur noch wenig Erträge, Jobs sind rar und schlecht bezahlt, bezahlbare Wohnungen sind schwer zu finden. Während benachbarte Küstenstädte wie Margate es geschafft haben, junge kreative Menschen anzuziehen, die vor den horrenden Mieten in London fliehen, hat Ramsgate keine solche Erneuerung erfahren. Die Bewohner fühlen sich abgehängt.

Enttäuscht vom Stand der Dinge

Doch es ist stark vereinfacht, wenn man behauptet, alle Brexit-Befürworter aus abgehängten Regionen wollten die EU aus denselben Gründen verlassen. Chris Bygrave arbeitet bei der britischen Bahn, er findet zum Beispiel, das Thema Migration sei im Vorfeld des Brexit-Votums ziemlich übertrieben dargestellt und politisch missbraucht worden. "Ich habe für den Austritt gestimmt, weil ich die von der EU eingeführten Gesetze bescheuert finde. Und erst die unglaublichen Kosten, die uns entstanden sind. Aber dass alle Ausländer uns die Jobs wegnehmen, wie der Idiotentrupp um Nigel Farage das behauptet hat, ist Unsinn."

Wie viele andere hatte Bygrave 2016 "einfach genug". Vom aktuellen Stand der Dinge ist er nun aber so enttäuscht, dass er sogar anmerkt, Großbritannien könne vielleicht doch besser in der EU bleiben. Auf eine Kleinstadt wie Ramsgate, so glaubt der 51-Jährige, würde der Brexit wohl sowieso wenig Auswirkungen haben - die sozialen und wirtschaftlichen Probleme seien tiefer als nur auf der EU-Ebene gelagert. "Schauen Sie sich um, hier sind die Leute arm, der EU-Austritt wird ihr Leben nicht groß verändern. Für Leute, die Geld haben, da macht er einen Unterschied. Aber nicht hier. Man kann den Menschen ja nicht noch mehr wegnehmen und noch mehr Leistungen kürzen, dann würden sie verhungern. Sie gehen schon zur Tafel, ihre Jobs reichen nicht, um die Miete zu zahlen. Man kann sie also mit nichts weiter bedrohen."

Chris Bygrave: Vielleicht bliebe Großbritannien doch besser in der EUBild: DW/S. Bradbury

Viele in Ramsgate sind der Meinung, dass seit dem Brexit-Votum Vieles falsch gehandhabt wurde. Dennoch sagt auch Tracy, eine 53-jährige Marktfrau, die ihren vollen Namen lieber nicht nennen möchte: "Ich würde immer noch sagen, wir sollten raus aus der EU. Aber wir müssen das endlich durchziehen. Auf kurze Sicht werden wir einen Preis bezahlen, aber langfristig werden sich die Wogen glätten und die Leute werden klarkommen."

"Das Beste daraus machen"

Lucy Molks hat zusammen mit ihrem Vater einen Plattenladen in Ramsgate. Für sie ist der Brexit "eine Art Rückschritt", doch die 30-Jährige weiß, dass die meisten in der Region anderer Meinung sind. "Es gibt hier viele UKIP-Unterstützer, das haben wir gemerkt, als Nigel Farage herkam. Das ist eine Generation, die altmodisch eingestellt ist und in ihrer kleinen Welt lebt , sagt mein Vater immer. Ich denke, im Prinzip haben sie Angst vor Veränderung."

Was Brexit-Gegner und Brexit-Befürworter bei all ihren Differenzen eint, ist ihre Ungeduld gegenüber der Politik, die endlich vorankommen soll, damit das Leben weitergehen kann. Der 24-jährige Ben Toner schlägt erklärt: "Es wäre wohl am besten, jetzt einfach Theresa Mays Deal anzunehmen. Sonst würde man die Demokratie untergraben. Auch wenn ich das Ergebnis der Verhandlungen mit der EU nicht toll finde: Wir haben für den Austritt gestimmt und können keinen Rückzieher mehr machen. Uns bleibt nur übrig, jetzt das Beste aus dieser schwierigen Situation zu machen."

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