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Politik

Den Haag wartet auf den "Eisigen"

29. Mai 2017

Der serbische Ex-Geheimdienstchef Jovica Stanisic, genannt "der Eisige", und sein Vize Franko Simatovic kommen in Den Haag erneut für Kriegsverbrechen vor Gericht. Bis zum 30. Mai müssen sie sich in Den Haag einfinden.

Niderlande Haager Tribunal Prozess gegen Jovica Stanisic und Franko Simatovic
Jovica Stanisic (l.) und Franko Simatovic im Mai 2013 vor dem Haager TribunalBild: picture-alliance/AP Photo/M. Beekman

Am 1. April 1992 überfielen Mitglieder der paramilitärischen Einheit "Serbische Freiwilligengarde", auch "Tigrovi" (Die Tiger) genannt, die kleine ostbosnische Stadt Bijeljina nahe der Grenze zu Serbien. Ihr Anführer war Zeljko Raznatovic, bekannt unter dem Namen "Arkan". Gut bewaffnet und trainiert, mit tatkräftiger logistischer Unterstützung der damaligen jugoslawischen Armee, übernahmen die Freischärler sehr schnell die Kontrolle über die Stadt. Tage des Horrors folgten für die muslimischen Zivilisten in der Stadt: Morde, Vergewaltigungen und Plünderungen waren an der Tagesordnung.

Gegründet, finanziert und bewaffnet wurde die mörderische Truppe, die kurze Zeit später auch in anderen Orten Bosniens entlang der Grenze zu Serbien wütete und bald zu den gefürchteten paramilitärischen Einheiten der Serben im Bosnien-Krieg gehörte, von zwei Herren im Anzug, die in Belgrad ihre Büros hatten, und die jetzt zum zweiten Mal dafür vor Gericht kommen. Im ersten Prozess waren beide freigesprochen worden.

Milosevics 'rechte Hand'

Jovica Stanisic, genannt "der Eisige", war zu dieser Zeit Serbiens Geheimdienstchef, Franko Simatovic war sein Stellvertreter. Sie waren direkt dem damaligen Machthaber Slobodan Milosevic unterstellt; Stanisic galt als einer der engsten Mitarbeiter von Milosevic während der Kriegsjahre. In Belgrad war das ein offenes Geheimnis: er galt als allmächtig, ohne seinen Wissen passierte nichts im Land. Alles Wichtige besprach er mit Milosevic direkt, ohne Schriftverkehr, ohne Zeugen, in einem schalldichten Zimmer.

Im engsten Führungskreis: Jovica Stanisic (m.) mit Slobodan Milosevic (l.) und seinen Sohn Marko (r.)Bild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Auch deswegen galt er als einer der wichtigsten Angeklagten vor dem UN-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag, als er sich im Juni 2003 freiwillig stellte. Davor war bekannt geworden, dass gegen ihn und seinen Stellvertreter eine Anklage wegen der Befehlsverantwortung für die in Kroatien und Bosnien-Herzegowina begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorbereitet wurde. In seiner Heimat und in den Nachbarländern überraschte seine Verhaftung kaum jemanden.

Aus Mangel an Beweisen

Umso größer war die Überraschung, als zehn Jahre und über 100 Belastungszeugen später der damalige Vorsitzende Richter Alphons Orie die beiden Angeklagten freisprach. In der Urteilsbegründung sagte er, dass trotz der Tatsache, dass Stanisic und Simatovic das Training der serbischen Spezialeinheiten organisiert, finanziert und geleitet haben, ihre Unterstützung nur von allgemeiner Natur war und nicht direkt mit den Kriegsverbrechen in Verbindung gebracht werden können.

Bezahlt, unterstützt und geduldet vom Geheimdienst: Zeljko Raznatovic ("Arkan")Bild: picture-alliance/dpa/Drago Vejnovic

"Es besteht zwar die Möglichkeit, dass die Maßnahmen von Stanisic und Simatovic auf die Schaffung und Aufrechterhaltung der serbischen Kontrolle über große Teile von Kroatien und Bosnien-Herzegowina abzielten", sagte der niederländische Richter Orie. Es sei aber "nicht möglich, daraus zu folgern, dass die Angeklagten das Ziel des angeblichen gemeinsamen kriminellen Unternehmens, die nichtserbische Zivilbevölkerung gewaltsam zu entfernen, geteilt haben."

Mit dem Linienflugzeug nach Hause

Dabei ging es nicht nur um Arkans "Tiger"; beide Geheimdienstler haben auch andere paramilitärische Spezialeinheiten, wie etwa die "Roten Barette" und die "Skorpione" mitbegründet, finanziert und ihnen in den Kriegsgebieten alle Freiheiten für den Terror gegen die nichtserbische Zivilbevölkerung gegeben. Damit wurde die serbische Politik der sogenannten "ethnischen Säuberung" tatkräftig unterstützt und vorangetrieben - was im Völkermord von Srebrenica im Juli 1995 gipfelte.

Die Anklage hatte für beide lebenslange Haft gefordert, da sie für Morde und die Deportation von Zehntausenden Muslimen und Kroaten in Bosnien-Herzegowina und Kroatien von 1991 bis 1995 verantwortlich gewesen seien. Auf Geheiß des Gerichts wurden aber beide Angeklagten im Juni 2013 freigelassen und flogen mit dem Linienflugzeug nach Belgrad zurück.

Alles auf Anfang

Der damalige Chefankläger des Haager Tribunals, der belgische Jurist Serge Brammertz, wollte das Urteil aber nicht hinnehmen, da "das Gericht die vorgetragenen Beweise nicht ausreichend gewürdigt hat", und kündigte Berufung an. Seine Argumentation: Auch wenn es keine unmittelbaren Beweise für eine direkte Befehlskette von den beiden Angeklagten bis zu den eigentlichen Tätern gäbe, bestehe kein Zweifel, dass sie gewusst hätten, was die serbischen Paramilitärs in Kroatien und Bosnien taten. Diese seien dafür bewusst aufgestellt, ausgestattet und eingesetzt worden. Daher, so Brammertz, seien beide im Sinne der Befehlsverantwortung zu verurteilen.

In Bijeljina wurden etwa 1000 Muslime ermordetBild: Emir Musli

Die fünf Richter des Berufungsgerichts folgten diese Argumentation und hoben das Urteil im Dezember 2015 auf. Sie ordneten einen neuen Prozess an, der am 13. Juni beginnen soll. Die beiden Angeklagten, die als freie Männer in Belgrad leben, wurden aufgefordert, sich bis zum 30. Mai im Gefängnis im den Haager Stadtteil Scheveningen zu melden - andernfalls würden sie mit einem internationalen Haftbefehl gesucht.

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