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Politik

"Deng verschaffte der KPCh neue Legitimität"

Hans Spross
18. Dezember 2018

Deng Xiaoping gilt als Architekt des Aufstiegs Chinas zur wirtschaftlichen Supermacht. Am 18. Dezember vor 40 Jahren zementierte er seine Machtstellung. Der Sinologe Felix Wemheuer erläutert den historischen Kontext.

China Deng Xiaoping
Bild: picture-alliance/dpa/UPI

DW: Das 3. Plenum des 11. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas im Dezember 1978 wird als bedeutende Zäsur in der Geschichte der VR China gesehen. Hier wurde offiziell die epochale Wandlung der Politik von Maos Klassenkampf zur wirtschaftlichen Entwicklung angekündigt. Gleichzeitig zementierte Deng Xiaoping (Artikelfoto, 1977) seine Machtstellung, indem er seine reformorientierten Verbündeten in die entscheidenden Machtpositionen brachte, obwohl Maos Nachfolger Hua Guofeng noch bis 1981 offiziell Parteivorsitzender blieb. War der Bruch mit der Vergangenheit, also mit dem Maoismus und der Zeit der Kulturevolution, tatsächlich so radikal, oder gab es auch Kontinuitäten?

Die gab es durchaus. Einmal kann man das sehr gut auf dem Gebiet der Außenpolitik sehen. Es heißt ja, dass Deng Xiaoping und die neue Führung China an den Westen angenähert haben. Das begann aber schon unter Mao Zedong. China wurde global aufgewertet, indem es 1971 im UN-Sicherheitsrat den ständigen Sitz der Republik China, also Taiwans, übernahm und dadurch auch Vetorecht erhielt. Das setzte sich mit dem Besuch von US-Präsident Richard Nixon 1972 fort, als sich die USA und China unter antisowjetischem Vorzeichen annähern und damit China zum strategischen Partner der USA wird.

Ähnliches kann man auch auf dem Gebiet des Handels sehen. Schon von 1961 an treibt China mehr Handel mit den kapitalistischen Ländern als mit dem Ostblock und der Sowjetunion, mit welcher sich die Beziehungen rapide verschlechtern.

Mao und seine dritte Ehefrau Jiang Qing in frühen Jahren. Sie war später das prominenteste Mitglied der ebenso fanatischen wie verhassten "Viererbande". Deng Xiaoping war ihr erbitterter Feind.Bild: picture-alliance/CPA Media Co. Ltd/Pictures From History

Welche Kontinuitäten gab es in der Innenpolitik?

Auf dem Gebiet der Innenpolitik ist es ähnlich. Die Hochphase der Kulturrevolution war 1966-67 mit den Massenbewegungen. Aber da wurde Mao das Chaos schon zu groß. Von 1968 an leitet er die Demobilisierung der Kulturrevolution ein. Die meisten der gestürzten alten Kader kommen auch dann schon Ende 1969 beziehungsweise Anfang der 70er Jahre zurück, unter anderem auch Deng Xiaoping. Der wird 1973 nach seiner siebenjährigen Verbannung in die Provinz rehabilitiert. Als Mao stirbt 1976, ist ein großer Teil der alten Garde von Partei und Armee schon wieder zurückgekehrt.

Dengs geschickte Instrumentalisierung des Maoismus 

Deng hat die Kulturrevolution und den Maoismus überwunden. Aber es gab keine "De-Maoisierung" analog zur früheren Entstalinisierung wie in der UdSSR ...

Das hat Deng sehr geschickt gemacht. Er  hat die sogenannten "Mao-Zedong-Ideen" zum kollektiven Gut der Kommunistischen Partei erklärt. Dazu gehört aber nicht unbedingt alles, was Mao je gesagt hat. Und damit ist es bis heute der Partei vorbehalten, in jeder Situation neu zu definieren, was eigentlich die "Mao-Zedong-Ideen" sind. Und damit konnte man sich von vielen konkreten Ideen Maos verabschieden, zum Beispiel, dass im Sozialismus der Klassenkampf weitergehen muss.

Man muss sich klarmachen, dass damals die Opfer der Kulturrevolution und die alten Kader, die zum Teil durch die Straßen getrieben worden sind, an die Macht gekommen sind. Obwohl diese Leute zum Teil ihre Zeit in Schweineställen und Gefängnissen verbracht haben, entscheiden sie sich nicht für eine De-Maoisierung sondern sagen: "Wir halten an Mao fest. Er war ein großer Revolutionär und hat einige Fehler gemacht, wie zum Beispiel die Kulturrevolution zu starten". Es schien anscheinend wichtiger zu sein, Mao Zedong als die große Legitimationsfigur, den Staatsgründer und Parteigründer, zu erhalten, als ihn zu verurteilen.

Sinologe Felix Wemheuer: Deng stand nicht nur für den beispiellosen Wirtschaftsaufschwung Chinas, sondern auch für die leidvolle Ein-Kind-PolitikBild: privat

Wie sehen Sie Dengs Rolle beim Aufstieg Chinas zur wirtschaftlichen und zunehmend auch politischen Großmacht?

Natürlich sind die letzten 40 Jahre Chinas eine große Erfolgsgeschichte, wenn man betrachtet, dass China 1949 eines der ärmsten Länder der Welt war und heute eine wirtschaftliche Supermacht ist. Dazu hat Deng Xiaoping sicherlich einen wichtigen Beitrag geleistet. Aber man muss auch sagen, dass dieser chinesische Weg immer mit sehr großen Opfern verbunden war, sowohl in der Bevölkerung als auch, was die Umwelt angeht.

Leitidee des "Wiederaufstiegs Chinas" 

Dieses Ziel, den Westen einzuholen und zu überholen und China wieder zu einer Weltmacht zu machen, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Kommunistischen Partei von Mao Zedong bis zum amtierenden KP-Generalsekretär Xi Jinping. So hat Mao beispielsweise 1958 in der berühmten "Stahlkampagne" die Parole ausgegeben: "England überholen und die USA einholen".

Aus Sicht der Kommunistischen Partei besteht Dengs Verdienst vor allem darin, dass es nach der Kulturrevolution unter seiner Führung gelungen ist, der Partei neue Quellen der Legitimation zu erschließen. Das ist natürlich einmal durch das Wirtschaftswachstum und die Steigerung des Lebensstandards erreicht worden, beides Folge der Entfesselung der Privatinitiative, zunächst auf dem Land. Zum anderen dadurch, dass man die Kulturrevolution zumindest teilweise aufgearbeitet hat. Von 1976 bis Mitte der 80er Jahre wurden Millionen von Opfern der Kulturrevolution rehabilitiert und auch einige Täter bestraft, so dass es die Partei geschafft hat, sich neu aufzustellen.

Eine weitere Errungenschaft, die mit Deng verbunden wird, ist die Wiederaufwertung von Wissenschaft und Forschung. Er hat ja laut seinen eigenen Aussagen schon vor 1978 immer wieder in Reden und Interviews, auch mit westlichen Medien, die Rückständigkeit und ideologischen Scheuklappen des chinesischen Systems unter Mao angeprangert.

Das stimmt, hatte aber nicht nur positive Auswirkungen. Denn aus einer sehr kritischen Haltung zum Expertentum während der Kulturrevolution ist dann fast ein Aberglaube an die Wissenschaft geworden. Ein Beispiel ist die Ein-Kind-Politik. In der Mao-Ära gab es in den 70er Jahren eine relativ moderate Geburtenplanung, vor allem durch das Mittel später Heirat. Aber dann lässt sich die Führung um Deng von Raketenwissenschaftlern überzeugen, dass China auf jeden Fall die Ein-Kind-Politik durchführen müsse, weil sonst die Modernisierung scheitere. Das ist ein Beispiel für sehr fatale Auswirkungen davon, dass Politiker auf Wissenschaftler gehört haben und dann eines der radikalsten "Social-Engineering-Programme" durchgeführt haben.

Vieles wurde in der Reform-Ära liberalisiert. Aber auf dem Gebiet der Geburtenplanung waren die 80er Jahre mit die drakonischsten und brutalsten, als man Millionen von Zwangssterilisationen und Massenabtreibungen durchgeführt hat. Auch damit ist der Name Deng Xiaoping verbunden.

Zwei Mitstreiter von Deng Xiaoping, die in den 80er Jahren an der Parteispitze - anders als Deng - auch für politische Öffnung standen: Hu Yaobang (l) und Zhao Ziyang. Bild: AFP/Getty Images

Inwieweit hatte die von Deng angestoßene Reform-Ära auch eine politische Dimension?

Das Machtmonopol der Partei aufzugeben, stand zwar nie zur Debatte. Aber es gab zum Beispiel Forderungen, Betriebsräte in den Unternehmen einzuführen, es gab einige Wahlen von Bürgermeistern, man ist mit Experimenten in Richtung Demokratisierung wesentlich weiter gegangen als heute. 1979/80 gab es den sogenannten Pekinger Frühling mit einer Demokratiebewegung, die sich an der "Mauer der Demokratie" in der Pekinger Stadtmitte mit ihren Wandzeitungen getroffen hat.

Das war ein übriggebliebenes Element der Kulturrevolution. Dort trafen sich Leute, die mit dem System unzufrieden waren, von ehemaligen enttäuschten Rotgardisten bis zu Arbeitern oder Veteranen des Vietnamkriegs von 1979. Die haben dort ihren Unmut zum Ausdruck gebracht, auch Kritik an Deng und der Parteibürokratie. Das ging dann Deng zu weit und er ist deswegen dagegen vorgegangen. In der neuen Verfassung von 1981 kam dann das Recht des Volkes, Wandzeitungen anzuschlagen, nicht mehr vor.

Trotzdem gab es auch in der Partei bis 1989 immer noch Kräfte, die stärker in Richtung Demokratisierung gehen wollten. Diese Debatten enden dann mit dem Massaker am Platz des Himmlischen Friedens und werden in den 90er Jahren auch nicht mehr aufgenommen. Insofern sind 1979  und in den 80er Jahre  nicht nur die Grundlagen für die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte gelegt worden, sondern es war auch eine Zeit, wo durchaus über mehr Demokratie offen diskutiert wurde, aber dieses Projekt ist abgebrochen worden.

Dengs Erbe: Angesichts der Aufholjagd Chinas im Technologiebereich wird es dem Westen inzwischen mulmigBild: Getty Images/AFP

Wie steht die Führung unter Xi Jinping zum 40. Jahrestag der Reform- und Öffnungspolitik? Und inwiefern ist Xi Jinpings Politik eine Fortführung beziehungsweise eine Abweichung vom Weg Deng Xiaopings?

Xi hat die Parole von der "neuen Epoche" der Reform und Öffnungspolitik ausgegeben, was natürlich einerseits Fortsetzung betont, aber ein bisschen auch Abgrenzung. Für Deng Xiaoping war nach der Kulturrevolution immer klar: Es muss in der Kommunistischen Partei eine kollektive Führung geben, es darf nicht wieder diesen starken Führer oder Diktator geben. Dieses Prinzip hat Xi mit der Verfassungsänderung, der Streichung der maximal zwei Amtszeiten für den Staatspräsidenten, aufgegeben.

Stärkung der Partei in allen Bereichen als Abkehr von Dengs Weg 

Es gibt auch andere Bereiche, wo eine deutliche Abkehr von Deng zu erkennen ist. Zum Beispiel hat sich die Führung um Deng in den 80er Jahren sehr bemüht, Regierung und Partei stärker voneinander zu trennen. Deng hatte gefordert, dass sich die Leiter der Parteizellen in Wirtschaftsbetrieben nur um das Große und Ganze kümmern,  aber nicht in die alltägliche Betriebsführung einmischen sollen. Unter Xi gibt es genau die gegenteilige Entwicklung, dass Staat und Partei wieder stärker verschmelzen.

Es wird betont, dass die Leiter der Parteizellen in allen Fragen die Führung übernehmen sollen. Während es in vielen Privatbetrieben schon lange Parteizellen gibt, werden nun auch ausländische Konzerne in China dazu aufgefordert, diese Institutionen zu etablieren. Außerdem wurde im Zuge der Revision der Verfassung 2018 die Führungsrolle der Kommunistischen Partei gestärkt.

Felix Wemheuer ist Professor für Moderne China-Studien am Ostasiatischen Seminar der Universität zu Köln und Autor mehrerer Monographien zur VR China, u.a. über Mao Zedong und über Hungersnöte unter Mao und Stalin.

 

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