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Politik

"Ohne UN wäre die Lage viel dramatischer"

Georges Ibrahim Tounkara dk
28. November 2019

Im Ostkongo protestieren Menschen mit Gewalt gegen die UN-Mission. Im DW-Interview spricht Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege über die Proteste, mögliche Lösungen und neue Ansätze, Frauen und Kinder zu schützen.

Bonn Interview mit Denis Mukwege
Bild: DW/Dirke Köpp

DW: Im Osten der Demokratischen Republik Kongo ist die Lage seit Tagen besonders angespannt: In Beni und anderen Städten gibt es gewalttätige Demonstrationen gegen die UN-Mission im Kongo, die MONUSCO. Es gibt Tote und Verletzte, die Menschen werfen den Vereinten Nationen vor, sie nicht ausreichend vor Angriffen von Milizen zu schützen. Wie ist Ihre Reaktion auf diese Proteste, auf die Wut der Menschen?

Denis Mukwege: Es ist sehr traurig, und ich kann nicht auf diese Frage antworten, ohne der Bevölkerung von Beni mein Mitempfinden auszudrücken. Die Menschen in Beni sind seit mehr als fünf Jahren Grausamkeiten (vor allem der ugandischen Miliz ADF, Anm. d. Red.) ausgesetzt. Man kann ihre Wut daher verstehen. Aber ich denke auch, dass es keine Lösung ist, die MONUSCO zu attackieren. Meiner Meinung nach muss man vielmehr verhandeln, miteinander sprechen, um eine gute Lösung zu finden. Aus Gewalt entsteht nur neue Gewalt. Selbst wenn es der MONUSCO bislang nicht gelungen ist, die Krise zu beenden: Ohne die Anwesenheit der Blauhelme wäre die Lage noch viel dramatischer! Das müssen die Menschen anerkennen.

Meine Botschaft an die Menschen ist, dass man nachdenken muss, wie man andere Lösungen findet. Eine Idee wäre, das Kapitel 7 der UN-Charta anzuwenden. (Darunter fällt etwa ein robustes Mandat der UN-Truppen, die dann Waffen zur Selbstverteidigung, zur Verteidigung der Mission und von Zivilisten einsetzen dürfen, Anm. d. Red.) In Ituri hat man so (2003 im Konflikt zwischen Hema und Lendu, Anm. d. Red.) mit der Operation Artemis und der französischen Armee schnell und effizient reagiert und damit einen Genozid verhindert. Statt also die MONUSCO anzugreifen, müsste man nach alternativen Möglichkeiten suchen.

Aber wie kann man es verstehen, dass es in dieser Gegend des Kongo trotz der Anwesenheit von mehr als 15.000 Blauhelm-Soldaten und Tausenden Soldaten der kongolesischen Armee ständig Angriffe auf die Zivilbevölkerung gibt?

Genau daher sage ich ja, dass man nach anderen Lösungen suchen muss! Man kann nicht zehn Jahre lang dieselben Rezepte benutzen, wenn sie das Problem nicht lösen. Meiner Meinung nach ist es ein Fall für Kapitel 7. Und wenn man den so umsetzt, wie es in Ituri der Fall war, dann wird es meiner Überzeugung nach auch eine Lösung geben. Dass die Bevölkerung heute die Streitkräfte der Vereinten Nationen gewaltsam angreift, ist in jedem Fall nicht Teil der Lösung. Aber wer ist verantwortlich? Das große Problem des Landes ist, dass alle immer einen Sündenbock finden wollen. Dabei sind die eigentlichen Verantwortlichen doch bekannt. Ich denke, wir brauchen im Kongo eine adäquate Justiz, ein Gericht, das klärt, wer was tut.

Ausschreitungen in Beni im Osten der Demokratischen Republik KongoBild: DW/J. Kanyunyu

Wer sind denn in Ihren Augen die Hauptverantwortlichen?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die Vereinten Nationen stellen der Regierung (von Ex-Präsident Joseph Kabila, Anm. d. Red.) Mittel zur Verfügung, um die bewaffneten Gruppen unschädlich zu machen. Und die Regierung hintertreibt diese Bemühungen und setzt für die Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen Generäle ein, die mit Sanktionen belegt sind. Dann weiß man doch, wer für die Grausamkeiten im Osten des Kongo verantwortlich ist. Und wenn man das Problem nicht als solches angeht, wird man weiter Sündenböcke suchen. Das kann uns nicht recht sein. Denn die ganze Zeit werden unsere Mitmenschen im Ostkongo mit brutaler Gewalt getötet. Die Fotos, die (von diesen Gewalttaten, Anm. d. Red.) in den sozialen Medien kursieren, sind einfach unerträglich. Und meiner Meinung nach sollte eine Regierung, die sich weigert, bewaffnete Gruppen unschädlich zu machen, auch dafür verantwortlich gemacht werden.

Sie engagieren sich vor allem gegen sexuelle Gewalt an Frauen. Was hat sich in der Demokratischen Republik Kongo verändert, seit im Januar der neue Präsident Felix Tshisekedi an die Macht gekommen ist?

Ich möchte mich dazu noch nicht äußern. Ich finde, es ist noch zu früh, und ich möchte nicht spekulieren. Man sollte die Fakten beurteilen. Heute, bei all der Gewalt, die es gibt, und wenn Menschen mit der Machete umgebracht werden, kann man nicht sagen, dass Frauen geschützt werden. Es gibt diese Bilder von Frauen, die man auf unmenschlichste Weise getötet hat. Das können wir nicht hinnehmen. Solange es diese Konflikte gibt, die wir kennen, bei denen wir aber nicht wirklich verstehen, wer da eigentlich gegen wen kämpft, sind es leider die Frauen und die Kinder, die zwischen die Fronten geraten. Wenn es noch bewaffnete Gruppen gibt, die sich an der Zivilbevölkerung vergreifen und vor allem an Frauen und Kindern, dann hat sich die Lage der Frauen nicht verbessert.

Was hat sich verändert, seit Sie im vergangenen Jahr den Friedensnobelpreis erhalten haben?

Da wiederum vieles! Das hat zum Beispiel nach sich gezogen, dass sexuelle Gewalt in Konflikten mehr Aufmerksamkeit bekommt: Man spricht heute mehr darüber als vorher. Es hat auch dazu geführt, dass ich Co-Vorsitzender eines Beratungsgremiums für die G7-Staaten zum Thema Geschlechtergerechtigkeit wurde. Männer haben oft das Gefühl, bestimmte Rechte über Frauen zu haben. Ich glaube, es hilft, wenn sie zu Gleichheit und einer positiven Männlichkeit erzogen werden, dazu, den Frauen das Recht auf reproduktive Gesundheit, auf Bildung für alle zuzugestehen. Das sollte in allen Ländern gängige Praxis sein.

Gemeinsam mit der deutschen Bundesregierung haben wir mit der Resolution 2467 den Generalsekretär der Vereinten Nationen auch zum ersten Mal aufgefordert, konkrete Vorschläge zu machen, wie man mit Kindern umgeht, die bei einer Vergewaltigung entstehen. Diese Kinder sind oft auf sich allein gestellt, ohne Identität, ohne Abstammung, und manchmal sind die Mütter gezwungen, sie zu verlassen. Diese Kinder haben niemanden darum gebeten, geboren zu werden. Wir haben Verantwortung für sie!

Der kongolesische Frauenarzt Dr. Denis Mukwege hat in der Provinzshauptstadt Bukavu das Parzi-Krankenhaus gegründet. Der Mediziner wurde 2018 für seinen Einsatz für vergewaltigte Frauen mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet - gemeinsam mit der jesidischen Aktivistin Nadia Murad.

Das Interview führte Georges Ibrahim Tounkara.

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