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Politik

Deniz Yücel: Erdogan ließ mich foltern

Helena Kaschel
10. Mai 2019

Deniz Yücel, ehemaliger Türkei-Korrespondent der "Welt", wurde während seiner Haft in der Türkei nach eigenen Angaben gefoltert. Für die Misshandlungen macht er den türkischen Staatspräsidenten persönlich verantwortlich.

Berlin Journalist Deniz Yücel zur Vernehmung vor Amtsgericht
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Mehr als ein Jahr nach seiner Entlassung aus türkischer Haft hat Deniz Yücel erstmals erklärt, während seiner Inhaftierung im Gefängnis Silivri nahe Istanbul gefoltert worden zu sein. Der ehemalige Türkei-Korrespondent der Tageszeitung "Die Welt" wurde im Rahmen seines türkischen Prozesses vor dem Berliner Amtsgericht Tiergarten angehört. Dort sprach er über körperliche und psychische Gewalt, die ihm während seiner knapp einjährigen Untersuchungshaft widerfahren sei. Er verlas seine Verteidigungsschrift in türkischer Sprache. Im Vorfeld hatte er gegenüber der DW erklärt, er wolle verhindern, dass "bei der Übersetzung absichtlich Fehler gemacht werden können". Die DW veröffentlicht seine Verteidigungsrede exklusiv im türkischen Original und in der Übersetzung ins Deutsche.

Von Ende Februar 2017 an war Yücel im Hochsicherheitsgefängnis Silivri in Untersuchungshaft. Knapp ein Jahr später hatte die Staatsanwaltschaft eine Anklageschrift gegen den Journalisten vorgelegt. Danach verfügte ein Gericht seine Freilassung, so dass Yücel nach Deutschland zurückkehren konnte. In der Türkei drohen dem 45-Jährigen bis zu 18 Jahre Gefängnis. Der Prozess gegen ihn begann im Juni 2018 in seiner Abwesenheit. Nach der Verfügung des zuständigen türkischen Gerichts darf Yücel seine Aussage auch in Deutschland tätigen.

"Welt"-Journalist Deniz Yücel auf dem Weg zur Vernehmung vor dem AmtsgerichtBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

"Sprich oder ich reiße dir die Zunge raus"

Vor dem Berliner Gericht gab Yücel an, in Silivri "drei Tage lang gefoltert" worden zu sein. So habe eine Gruppe von zunächst sechs namentlich genannten Gefängniswärtern ihn wiederholt beschimpft und bedroht, ihn etwa als "Vaterlandsverräter" und "deutschen Agenten" bezeichnet und ihn immer wieder aufgefordert, mit gesenktem Kopf zu laufen und den Mülleimer zu begrüßen. Einmal sei die Gruppe ohne die für Routinerazzien übliche Anwesenheit von Polizisten in seine Zelle eingedrungen und habe ihn unter anderem gezwungen, Zeitungsausschnitte wegzuwerfen und ihn abermals beschimpft.

Neben verbalen Demütigungen war Yücel nach eigenen Angaben auch körperlicher Gewalt ausgesetzt, darunter Tritten und Schlägen gegen Füße, Brust, Rücken und Hinterkopf - immer an Orten, an denen keine Kameras installiert gewesen seien. In einer Bibliothek habe ein Aufseher ihn zweimal hart ins Gesicht geschlagen und dann über seine Wange gestreichelt, während ein anderer Mann aus der Gruppe gefragt habe: "Was zahlen dir die Deutschen dafür, dass du dein Vaterland verrätst? Sprich oder ich reiße dir die Zunge raus." Neben den Drohungen hätten die Aufseher auch sexuelle Gewaltphantasien geäußert.

Das Silivri Gefängnis nahe Istanbul, in dem Deniz Yücel über ein Jahr lang inhaftiert warBild: Reuters/O. Orsal

Dass es sich bei den Misshandlungen um Folter handelte, steht für Yücel außer Frage. Die körperliche Misshandlung sei zwar nicht vergleichbar mit dem "Leid, das Menschen in diesem Land in etlichen Folteranstalten zugefügt wurde". Denn das "Maß der Gewalttätigkeit war nicht allzu hoch, weniger darauf ausgerichtet, mir körperliche Schmerzen zuzufügen als darauf, mich zu erniedrigen und einzuschüchtern", so der Journalist. "Womöglich wollte man mich auch zu einer Reaktion provozieren. Doch auch so war dies ein Fall von Folter." Diese werde auch durch eine psychologische Dimension bestimmt. "Dazu gehört auch, dass sie in organisierter Form angewandt wird. Dass sie darauf abzielt, die Würde des Misshandelten systematisch zu verletzen. Dass die körperliche und seelische Unversehrtheit, letztlich die Sicherheit des Gefangenen allein in der Gewalt seiner Peiniger liegt."

Yücel: Folter auf Anweisung Erdogans

Für die psychische und physische Gewalt macht Yücel den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan persönlich verantwortlich. Die Folter sei "womöglich auf direkte Veranlassung des türkischen Staatspräsidenten oder dessen engster Umgebung, auf jeden Fall aber infolge der Hetzkampagne, die er begonnen hatte und unter seiner Verantwortung" geschehen. Erdogan hatte Yücel in einer Rede als "PKK-Vertreter" und "deutschen Agenten", später auch als "Terroristen" bezeichnet. Niemand anderes, so argumentierte Yücel in seiner Verteidigungsrede, hätte es in dem damaligen politischen Klima gewagt, "die Initiative zu einer solchen Sonderbehandlung zu ergreifen".

Deniz Yücel und seine Ehefrau Dilek nach seiner Entlassung - ein Bild, das berühmt wurdeBild: Twitter/Veysel Ok

Mit der Folter sollte, so vermutet Yücel, die damalige Krise der Beziehungen mit Deutschland weiter verschärft werden. Aus diesem Grund habe er sich dazu entschlossen, die Misshandlungen zunächst nicht öffentlich zu machen. Nachdem Yücel und seine Anwälte Vertreter der Bundesregierung und einen türkischen Politiker als Vermittler eingeschaltet hätten, habe die Folter aufgehört, sagte Yücel.

Verteidigungsschrift als Anklage

Neben der mutmaßlichen Folter erhob Yücel weitere Vorwürfe gegen die türkische Justiz und Regierung, darunter schlechte Haftbedingungen sowohl in den ersten Tagen nach seiner Festnahme als auch in der späteren Isolationshaft. Die türkischen Staatsanwaltschaft beschuldigte er, versucht zu haben, ihm "irgendwelche Straftaten anzudichten", anstatt ihn zum Vorwurf im Zusammenhang mit von einer Hackergruppe geleakten E-Mail-Konten von Erdogans Schwiegersohn Berat Albayrak zu befragen. Zudem habe das Gericht Widersprüche seiner Anwälte gegen die Fortsetzung der Untersuchungshaft nicht gelesen.

Seit 2015 hatte Yücel für die Zeitung "Welt" aus der Türkei berichtet und sich in einigen seiner Artikel kritisch über den Kurdenkonflikt und den Putschversuch im Juli 2016 geäußert. Seine Inhaftierung führte zu einer schweren Krise in den deutsch-türkischen Beziehungen. Der nächste Verhandlungstag gegen den Journalisten ist für den 16. Juli in Istanbul angesetzt.

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