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Politik

"Deniz Yücel ist eine Geisel der Politik"

Hülya Schenk
4. April 2017

Deniz Yücel ist seit 50 Tagen in türkischer Einzelhaft. Der Journalist mit deutschem und türkischem Pass ist eine politische Geisel Erdogans, sagt Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen im DW-Interview.

Deutschland Demo für die Freilassung von Welt-Korrespondent Deniz Yücel
Bild: Reuters/A. Schmidt

DW: Journalisten in der Türkei arbeiten unter schwierigen Umständen. Mehr als 150 von ihnen sind im Gefängnis. Ihre Organisation beobachtet das. Wie ist die Lage in der Türkei im Vergleich zu anderen Ländern?

Christian Mihr: Die Situation für unabhängige Journalisten in der Türkei - und die Pressefreiheit insgesamt - war auch schon vor dem gescheiterten Putschversuch sehr schwierig. Wir beobachten eine deutliche Verschlechterung seit den Wahlen vor zwei Jahren. Aber seit dem gescheiterten Putschversuch ist die Türkei leider in die Top-Liga der autokratischen Regime aufgestiegen, da sie mittlerweile neben Ägypten und China die meisten Journalisten weltweit inhaftiert hält. Wir beobachten eine rapide Verschlechterung in Rekordzeit, die in der Art und Weise ihresgleichen sucht.

Unter welchen Umständen arbeiten ausländische Korrespondenten in der Türkei? Sind sie freier als ihre türkischen Kollegen?

Grundsätzlich kann man das schon sagen. Es gab aber immer Repressionen gegen Auslandskorrespondenten. Wir hatten Probleme, dass Auslandskorrespondenten Schwierigkeiten mit der Akkreditierung hatten. Wir hatten Fälle, dass Auslandskorrespondenten kurzfristig inhaftiert wurden. Allerdings waren sie dann in der Regel für eine Nacht inhaftiert und wurden dann des Landes verwiesen. Wir haben mit der Inhaftierung von Deniz Yücel insofern eine neue Eskalationsstufe beobachtet, dass ein fester Auslandskorrespondent mittlerweile denselben Vorwürfen ausgesetzt ist, wie die einheimischen Kollegen. Allerdings unterscheidet sich sein Fall dann doch wieder von denen anderer Auslandskorrespondenten, weil er neben der türkischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, die ihn jetzt auch nicht mehr geschützt hat, wie das viele - wahrscheinlich auch er selbst und auch der Springer-Verlag - und auch wir bei "Reporter ohne Grenzen" gehofft haben.

Christian Mihr: Yücel ist zum Symbol gewordenBild: DW

Welche Neuigkeiten wissen Sie über Deniz Yücel?

Über seinen Fall ist ja relativ viel bekannt. Wir wissen, dass er in Einzelhaft sitzt. Wir wissen, dass die Haftbedingungen für ihn schlechter sind als für andere politische Gefangene in der Türkei. Und ich denke, das hat auch politische Gründe. Das ist zumindest die Vermutung die naheliegt. Er ist im Moment ein Faustpfand. Er ist eine Geisel der internationalen Politik geworden, bzw. er ist unter die Räder der internationalen Politik geraten. Seine Haftbedingungen sind vermutlich deswegen auch schlechter als die von anderen. Wir stehen im Kontakt mit seinem Anwalt.

Welche Rolle spielt Deniz Yücel in den Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland?

Deniz Yücel ist fast schon ein Symbol. Einerseits hilft er, auf die Situation von vielen anderen Journalisten den Blick zu lenken, die in der Türkei inhaftiert sind. Es ist natürlich traurig, dass es manchmal solcher symbolischer Fälle bedarf, damit wir in Westeuropa genauer hinschauen. Gleichzeitig hat er auch das Pech - und das ist wirklich eine Tragik -, dass er in dieser Phase vor dem Referendum in die Fänge des Regimes geraten ist, dass er eine Geisel der internationalen Politik ist. Er ist eine Geisel von Erdoğan, denn es ist eine politische Inhaftierung und es sind politische Vorwürfe.

Journalisten in Krisengebieten genießen kaum Schutz. Was unternehmen journalistische Organisationen wie Reporter ohne Grenzen, um den Schutz zu verbessern?

Es geht zunächst um ganz konkrete Hilfe, wenn Journalisten in einer Notsituation und schutzbedürftig sind. Da helfen Organisationen wie "Reporter ohne Grenzen", indem wir versuchen Nothilfe zu leisten, indem wir Anwälte organisieren und finanzieren, wenn sie kurzfristig inhaftiert sind. Wir organisieren auch medizinische Unterstützung, wenn Journalisten erkrankt oder verletzt sind. Wenn Journalisten das Land bzw. ein Kriegsgebiet verlassen müssen, helfen wir ihnen beim Gang ins Exil und begleiten sie beim Asylverfahren. Das sind die unmittelbaren Reaktionen.

Was wir aber, genauso wie viele andere Organisation, auch leisten, ist Vorbeugung, indem wir Journalisten, bevor sie in Kriegs- und Krisengebiete gehen, über Sicherheitsaspekte aufklären. Dazu gehört auch die sichere Kommunikation im Internet. In der Türkei beobachten wir eine massive Kommunikationsüberwachung, die sehr umfassend ist und die anders als in anderen Ländern nicht nur sogenannte Metadaten abgreift und überwacht, sondern auch Kommunikationsinhalte in einem stärkeren Maße überwacht, als das in anderen Ländern der Fall ist.

Christian Mihr ist Geschäftsführer von "Reporter ohne Grenzen".

Das Interview führte Hülya Schenk.