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Pflicht für Corona-Warn-Apps?

19. Januar 2021

Die Zahl der Corona-Infektionen in Europa bleibt hoch - trotz diverser Lockdowns. Eine Freiburger Denkfabrik schlägt deshalb eine EU-weite Pflicht für Corona-Warn-Apps vor. Daran gibt es nicht nur Datenschutzbedenken.

Corona-Warn-App - erhöhtes Risiko
Corona-Warn-App - erhöhtes RisikoBild: Zacharie Scheurer/dpa/picture alliance

Zahnloser Tiger oder doch wirksames Mittel zur Corona-Bekämpfung? Die Diskussion um die Corona-Warn-App könnte angesichts der bevorstehenden Verschärfung des Lockdowns in Deutschland wieder an Fahrt gewinnen. Das Centrum für Europäische Politik (cep) sieht die Potenziale der digitalen Kontaktnachverfolgung zur Pandemiebekämpfung noch lange nicht ausgeschöpft.

Die Freiburger Denkfabrik mit Büros in Berlin, Paris und Rom macht einen Vorschlag, der so manchen europäischen Datenschutzaktivisten die Zornesröte ins Gesicht treiben dürfte: Der Einsatz von Kontaktnachverfolgung-Apps solle EU-weit zur Pflicht gemacht werden. "Die positiven Effekte sind höher zu bewerten als verhältnismäßig geringe Eingriffe in den Datenschutz und die Privatsphäre des Einzelnen", heißt es in der Pressemitteilung zu einem 21-seitigen cep-Papier. Zumal die meisten in Europa eingesetzten Apps personenbezogene Daten nicht erfassten.

Freiwillige App reicht nicht aus

Begründet wird der vorgeschlagene digitale Zwang im Kern damit, dass sich die Pandemie umso leichter eindämmen lasse, je breiter Kontaktnachverfolgungs-Apps genutzt würden. Um die Ausbreitung des Virus signifikant zu reduzieren, müssten erfahrungsgemäß mindestens 60 Prozent der EU-weiten Bevölkerung solche Apps nutzen, argumentiert die Denkfabrik. Bislang haben nach ihren Angaben 23 EU-Mitgliedstaaten Kontaktnachverfolgung-Apps eingeführt, die von etwa 50 Millionen Europäern heruntergeladen wurden. Je nach EU-Mitgliedstaat lägen die Downloads zwischen weniger als 10 und bis zu 50 Prozent der Bevölkerung, wobei Irland und Finnland am oberen Ende der Skala stünden.

Kann eine App wirklich helfen, die Pandemie einzudämmen?

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In Deutschland liegt die Nutzung demnach bei etwa 30 Prozent der Bevölkerung. Meinungsumfragen zeigten, dass die App von 44 Prozent der deutschen Bevölkerung abgelehnt werde. Von den Nutzern gäben nur 60 Prozent positive Testergebnisse selbst ein, schreiben die cep-Experten in ihrer Studie. In Anbetracht dieser Zahlen sei es unwahrscheinlich, dass die App auf freiwilliger Basis ausreichend effektiv sei. Patrick Stockebrandt, einer der drei Autoren der Analyse, fordert deshalb: "Die Mitgliedstaaten müssen das Nutzungsniveau von Corona-Warn-Apps erhöhen. Eine Möglichkeit ist die Einführung einer Nutzungspflicht." Das EU-Recht solle so geändert werden, "dass die Mitgliedstaaten eine solche Pflicht während einer Pandemie einführen können."

cep-Experte Patrick StockebrandtBild: cep

Sehr hohe Hürden beim Datenschutz

Die Nutzungszahlen von cep belegen damit auch, dass die deutsche Corona-Warn-App seit ihrer Einführung kein uneingeschränktes Erfolgsmodell ist. Einige Deutsche fürchten, dass sie mehr Daten nutzt als zur Corona-Bekämpfung nötig sind. Andere wiederum kritisieren, sie sei zu spät gekommen, ungenügend weiterentwickelt worden und einfach nicht effektiv genug.

Auch Politiker machen Stimmung - wie Markus Söder. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef, der im Kampf gegen die Pandemie gerne den Ton vorgibt, sagte in einem Zeitungsinterview: "Die App ist leider bisher ein zahnloser Tiger. Sie hat kaum eine warnende Wirkung." In einer Talkshow des Ersten Deutschen Fernsehens legt er nach: Das Ganze "scheitert im Grunde genommen an einer sehr hohen Hürde des Datenschutzes." Die Zweifel, die an der Wirksamkeit der App gesät werden, gehen zu Lasten ihrer Akzeptanz.

Am 16. Juli 2020 wird die Warn-App vorgestellt - von Bundesinnenminister Horst Seehofer, dem Chef des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, und Bundesgesundheitsminister Jens SpahnBild: Getty Images/C. Bilan

Im Kern geht es um die Frage, welche möglichst minimale Aufgabe an Rechten zu einem maximalen Infektionsschutz führt. Befürworter eines verstärkten Einsatzes digitaler Instrumente zur Corona-Bekämpfung verweisen regelmäßig auf die Erfolge asiatischer Länder. Auch die cep-Analyse hält fest: "Taiwan, China, Singapur, Südkorea und Japan zeigen eine deutlich geringere Anzahl von COVID-19-Fällen und COVID-19-bedingten Todesfällen sowie einen geringeren Rückgang des Bruttoinlandproduktes BIP. Dies zeigt, dass Wirtschaftswachstum und Pandemiebekämpfung erfolgreich Hand in Hand gehen."

Allerdings spielen in diesen Staaten die Freiheit des Einzelnen und der Datenschutz trotz all ihrer politisch-gesellschaftlichen Unterschiede keine so eine zentrale Rolle wie in der westlichen Welt.

Vorwurf einer Placebo-Debatte

Der cep-Experte Stockebrandt ist jedenfalls sicher, dass die europaweite Nutzung von Corona-Apps dazu beitragen würde, "die Pandemie besser unter Kontrolle zu bekommen und die Gesundheit der EU-Bürger zu schützen." Zudem könnten dadurch weitere harte Lockdowns verhindert werden. "Die unterschiedlichen Apps sollten miteinander kompatibel sein, um europaweit wirken zu können", erklärt Stockebrandt. Dies würde nationale Beschränkungen der grenz-überschreitenden Freizügigkeit in der EU überflüssig machen.

Der netzpolitische Aktivist Markus Beckedahl würde den Fokus der Pandemiebekämpfung auf Super-Spreader-Ereignisse legenBild: picture alliance/dpa/B.Pedersen

Mit Pflicht zum Erfolg also? "Bullshit", sagt Markus Beckedahl. Gegenüber der DW spricht der Gründer und Chefredakteur von netzpolitik.org, einer Plattform für digitale Freiheitsrechte, von einer Placebo-Debatte, die um die Corona-Warn-App geführt werde. Denn es gebe ein ganz anderes, ein strukturelles Problem. Nach fast einem Jahr der Pandemie seien viele deutsche Behörden immer noch nicht digitalisiert. "Und ich kann mir nicht vorstellen, dass unsere Gesundheitsämter, die gerade massiv überlastet sind, die teilweise keine gute Software einsetzen, sondern Excellisten erstellen, noch viel mehr Daten gebrauchen könnten für die Nachvollziehbarkeit von Infektionsketten."

Super-Spreader-Ereignisse im Visier

Es würde immer auf die Erfolge in Südkorea oder Taiwan verwiesen, fährt Beckedahl fort. Aber dort trage "die komplette Gesellschaft Masken. Da wird eine Quarantäne radikal durchgehalten, wenn jemand den Urlaub geflogen ist und wiederkommt. Zusätzlich gibt es digitale Tools, um zu überprüfen, ob jemand die Quarantäne eingehalten hat. Das ist etwas ganz anderes als eine App zur Nachvollziehbarkeit von Infektionsketten."

Wieso Taiwan dem Coronavirus trotzt

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Statt einer EU-weiten App-Pflicht schlägt Beckedahl vor, bisherige Tools weiterzuentwickeln. Beispielsweise in Richtung Cluster-Erkennung bei Super-Spreader-Ereignissen. "Wenn man irgendwann wieder ein Restaurant, eine Bar oder eine Veranstaltung besucht, könnte man sich datenschutzfreundlich einchecken. Sobald eine Person infiziert ist, würden alle anderen, die an diesem Ort waren, darüber informiert werden."

Mehr Akzeptanz durch mehr Anreize

Auch Annelies Blom sieht eine App-Pflicht kritisch. Die Sozialwissenschaftlerin der Universität Mannheim hat eine Studie über die Wirksamkeit der Corona-Warn-App geleitet. Im DW-Gespräch sagt sie: Anhand ihrer Daten sehe sie, "dass bei weitem keine Mehrheit, aber stabile 20 Prozent der Bevölkerung sagen, man sollte Kontakt-Verfolgung auch ohne Einwilligung der betreffenden Personen betreiben können." Allerdings wäre es ihrer Ansicht nach wichtiger, das Potenzial einer nicht verpflichtenden Nutzung weiter auszuschöpfen. Beispielsweise mit einer Weiterentwicklung der Warn-App. "Diesbezüglich ist bisher fast gar nichts passiert."

Außerdem sehe man an der Maskenpflicht, wie sich durch Zwang Widerstand aufbauen könne. "Wenn es um Datenschutz geht, werden die Menschen erst recht nicht mitmachen." Annelies Blom setzt auf Anreize. Solange es die nicht gebe, werde die Zahl der App-Nutzer nicht ansteigen. "Ein einfaches Beispiel: Wenn für den Download der App fünf Euro gutgeschrieben würden, wäre sicherlich ein Großteil der Bevölkerung eher bereit, diese App zu nutzen."

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