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Depp vs. Heard: Ein einzigartiger Prozess

Kevin Tschierse
25. Mai 2022

Der live übertragene Rechtsstreit zwischen Johnny Depp und Amber Heard dominiert die sozialen Netzwerke. Welche Rolle spielt das Medienspektakel für die Öffentlichkeit und wie wirkt es auf Opfer sexualisierter Gewalt?

Foto von Amber Heard und Johnny Depp
Schlammlacht live im Netz: Amber Heard gegen Johnny DeppBild: Victoria Jones/Kirsty O'connor/dpa/PA Wire/picture alliance

Der Verleumdungsprozess der Hollywood-Stars Johnny Depp und Amber Heard hat sich zu einem kontrovers diskutierten Thema im Internet entwickelt. Im Netz wird hitzig über Schuld und Unschuld des Ex-Ehepaars diskutiert. Im Gegensatz zum Gericht scheinen Social-Media-Influencer und deren Follower bereits ihre Urteile gefällt zu haben. Dass so viele Menschen eine klare Meinung zu dieser Promi-Schlammschlacht vertreten, liegt wohl vor allem daran, dass der Prozess live im Internet gestreamt wird.

Begonnen hat alles mit einem Meinungsartikel, den Amber Heard 2018 in der Washington Post inmitten der #MeToo-Bewegung veröffentlichte. In ihrem Artikel schrieb sie über häusliche Gewalt, die sie am eigenen Leib erlebt habe. Ihr Ex-Ehemann Johnny Depp wurde darin nicht namentlich genannt. Doch der Fluch-der-Karibik-Star verklagte Heard 2019 und drehte den Spieß um, indem er behauptete, sie habe ihn verleumdet, sie sei die eigentliche Täterin gewesen. Heard reagierte mit einer Gegenklage. Aussage gegen Aussage. Millionen von Dollar Schadenersatz stehen im Raum. Nun geht der Prozess in einem Gericht in Virginia diese Woche in seine Endphase. Nun, an diesem 27. Mai, geht der Fall nach den Abschlussplädoyers an die sieben Geschworenen.

Johnny Depp wirft seiner Ex-Frau Amber Heard vor, 2018 in der "Washington Post" falsche Aussagen zum Thema häusliche Gewalt gemacht zu habenBild: Jonathan Ernst/dpa/Reuters//AP/picture alliance

Vom "Fluch der Kameras"

Zuschauer können die Schlammschlacht weltweit kostenlos im Internetfernsehkanal "Court-TV" verfolgen. Die einen sehen darin eine amüsante Fehde zwischen Hollywood-Millionären, die anderen eine nicht zu ertragende Farce.

Der "Fluch der Kameras" sei der Kern des Problems, meint der Kölner Medienrechtsanwalt Lucas Brost im DW-Interview. "Die Bilder bleiben hängen - eine weinende Amber Heard oder ein lächelnder Johnny Depp. Das ruft in der Bevölkerung besondere Emotionen und auch Reaktionen hervor." 

Aus deutscher Perspektive sei der Prozess "eine sehr schwerwiegende Verletzung von Persönlichkeitsrechten", so Brost. Er sehe es sehr kritisch, dass ein solcher Prozess die Medienöffentlichkeit erreiche, dass mit PR-Teams gearbeitet werde, dass über eine mediale Deutungshoheit gekämpft werde und dass es zu massiven Vorverurteilungen komme. "So bildet sich die Öffentlichkeit eine Meinung, die am Ende nichts mit dem zu tun hat, was vielleicht das Gericht entscheidet."

Jede Emotion sorge für endlose Kommentare im Netz, meint Medienrechtsanwalt Lucas BrostBild: Jim Lo Scalzo/dpa/EPA/AP/picture alliance

Ein öffentliches Verfahrens soll in den USA größtmögliche Transparenz garantieren. "Der Ansatz ist verständlich, aber er geht - das zeigt dieses Verfahren sehr deutlich - weit über das hinaus, was damit bezweckt sein sollte. Denn die Medienpräsenz wirkt wie ein Brandbeschleuniger." Jede Gesichtsregung könne direkt kommentiert und "in den Äther geschickt" werden, sagt Brost, und verweist dabei auf das vielfache Teilen des Prozesses auf Social-Media-Kanälen.

"Pendel der Öffentlichkeit schwenkt zugunsten von Depp aus"

Brost mutmaßt, dass niemand von diesem öffentlichen Verfahren profitiere. Besonders Amber Heard schade die Live-Übertragung. "Das Pendel der Öffentlichkeit schwenkt zugunsten von Johnny Depp aus." Allerdings sei der Prozess für den Hollywood-Star kein Karriere-Booster, weil pikante Details zum Vorschein kämen, die im Gedächtnis der Öffentlichkeit hängen blieben.

Ein Unterstützer von Amber Heard steht vor dem Gerichtsgebäude in Fairfax, Virginia, wo der Prozess stattfindetBild: Cliff Owen/ZUMA Wire/IMAGO

Im Netz kursieren inzwischen auch zahlreiche Memes, Parodien oder Content, der aus Videoschnipseln der Verhandlung besteht und mit der einen oder der anderen Seite Partei ergreift, und den Prozess ins Lächerliche zieht. Dabei entsteht der Eindruck, dass der Prozess ein mediales Spektakel ist, das allein dem Entertainment dient. Die US-amerikanische Sexual-Soziologin Nicole Bedera befürchtet, dass der Prozess weitreichende Folgen haben könnte für Opfer sexualisierter Gewalt. 

Der Social-Media-Pranger ist erbarmungslos

Der Schaden, der durch Influencer angerichtet werde, sei immens, sagt sie im DW-Interview. "Influencer profitieren meist von einem Schneeballeffekt der Algorithmen. Das kann den Anschein erwecken, dass, sobald viele Leute Johnny Depp unterstützen, die Mehrheit der User im Netz auf seiner Seite stünden. Und das bevor sich Amber Heard überhaupt äußern konnte."

Amber Heard und ihre Unterstützer sind regelmäßig Shitstorms in den Sozialen Medien ausgesetztBild: Brendan Smialowski/dpa/AFP/AP/picture alliance

So gab es bereits Shitstorms im Internet gegen Menschen, die sich auf Amber Heards Seite gestellt haben. Das habe dazu geführt, dass viele Menschen das Gefühl bekämen, sich nicht mehr äußern zu können, so Bedera.

Zu den Menschen, die durch solche Kampagnen eingeschüchtert würden, zählten auch Opfer sexualisierter Gewalt. Einige von ihnen identifizierten sich mit Amber Heard. Bedera befürchtet zudem, dass Opfer sexualisierter Gewalt durch einen solchen Prozess künftig daran gehindert werden könnten, gegen Täter oder Täterinnen rechtliche Schritte einzuleiten, oder sie könnten ihre traumatische Erlebnisse sogar ganz verschweigen.

"Himpathy" in den Sozialen Medien

Aber: Wie entsteht eine solche Diskrepanz? Warum schlagen sich die Menschen eher auf die Seite von Johnny Depp? Warum hat der Hashtag #IStandWithAmberHeard auf TikTok gerade mal 8,6 Millionen Aufrufe, während #JusticeForJohnnyDepp etwa 15,7 Milliarden Aufrufe erzielt?

In der Öffentlichkeit herrsche ein gewisses Bild von einem "perfekten Opfer", das aber nicht den realen Erlebnissen eines Opfers sexualisierter Gewalt entspreche. Diese Kluft führe zu einer größeren Empathie für Männer, die der sexualisierten Gewalt beschuldigt würden. "Die Philosophin Kate Manne nennt dieses Phänomen "Himpathy", also die übermäßige Empathie, die Männern zu Lasten von Frauen in so einem Zusammenhang entgegengebracht wird", so Bedera. Sie sei nicht überrascht darüber, dass Johnny Depp durch die Live-Übertragung des Prozesses mehr Sympathie begegne als Amber Heard. "Mit diesen Vorurteilen, die bei der Live-Übertragung eines solchen Prozesses zum Tragen kommen, wird der betroffene Mann fast immer begünstigt, vor allem wenn er ein Täter ist."

Johnny Depp zieht auf Social-Media-Kanälen viele Sympathien auf sichBild: Steve Helber/REUTERS

Fall Depp vs. Heard mit Urteil nicht zu Ende

Der Streit zwischen Amber Heard und Johnny Depp zieht sich bereits über Jahre. Für eine distanzierte Beurteilung müssten auch die gerichtlichen Auseinandersetzungen der Vergangenheit berücksichtigt werden. Doch, da ist sich Bedera sicher, die mediale Aufmerksamkeit, die der Fall jetzt auf sich ziehe, sei einzigartig. "Es ist sehr untypisch, dass es Hashtags gibt, die milliardenfach verwendet werden."

Mit der Gerichtsverhandlung jedenfalls wird der Fall wahrscheinlich nicht abgeschlossen sein, da sind sich die Soziologin Nicole Bedera und der Medienrechtsanwalt Lucas Brost einig. Solche Verfahren, in denen es um Gewalt und Prominenz geht, entfalten häufig eine große gesellschaftliche Wirkung. "Der Fall Depp vs. Heard wird uns noch lange Zeit beschäftigen," prophezeit Bedera. 

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