Der 51. Staat der USA? Wie Kanada auf Trump reagiert
13. Januar 2025"Blame Canada!" (Deutsch: Kanada ist schuld!) heißt es in dem satirischen Lied aus dem 1999 erschienenen Zeichentrickfilm "South Park: Der Film - größer, länger, ungeschnitten". Darin schiebt eine Mutter alle Schuld für die Verwahrlosung der US-Jugend auf einen fiktiven kanadischen Film und fordert Konsequenzen: "Wir müssen einen vollen Angriff starten - es ist Kanadas Schuld", singen sie und die Mitstreiter ihrer Bürgerbewegung. Der vielfach ausgezeichnete Film kritisiert mit bissigem Humor, wie Amerikaner angeblich jegliche Verantwortung für Missstände im eigenen Land bei anderen suchen.
Mehr als zwei Jahrzehnte später bläst der designierte US-Präsident Donald Trump in das gleiche Horn und macht Kanada für illegale Migration und Drogenhandel über die US-Nordgrenze verantwortlich. Mitte November, kurz nach seinem Wahlsieg drohte Trump damit, alle kanadischen Importe - einschließlich Autos und Autoteile - ab seinem ersten Tag im Amt mit Zöllen in Höhe von 25 Prozent zu belegen. Seither hat er seine Rhetorik verschärft und bot Kanada in relativ ernstem Ton an, der 51. Bundesstaat der USA zu werden, und das er die Wirtschaftsmacht der USA nutzen könnte, das Land davon zu überzeugen. Den damaligen kanadischen Premierminister Justin Trudeau, der kürzlich angesichts sinkender Zustimmungsraten seinen Rücktritt erklärte, nannte er scherzhaft "Gouverneur" - in Anlehnung an die Gouverneure der US-Bundesstaaten.
Trump-Trashtalk oder ernsthafte Bedrohung?
Während einige Analysten die Rhetorik für typisches Trump-Getöse halten, verurteilten kanadische Politiker und Ökonomen seine Äußerungen weitgehend. Im Gegensatz zu China, Mexiko, den BRICS-Staaten und der NATO war Kanada während des Wahlkampfs kein prominentes Ziel für die Verbalattacken des republikanischen Kandidaten.
"Es kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel", sagte Douglas Porter, Chefvolkswirt der Bank of Montreal (BMO), der DW. "Für seine Anhänger gab es keinen Grund, Kanada als großen Bösewicht zu sehen ... daher finde ich diesen Vorfall durchaus beunruhigend."
Porter sagte, Trump scheine seine Position gegenüber Kanada in Vorbereitung auf seinen Amtsantritt am 20. Januar zu verschieben: "Ursprünglich gab es Bedenken wegen der Grenze, die Kanada meiner Meinung nach gerne aufgreifen würde. Dann wurde über das Handelsungleichgewicht zwischen den USA und Kanada gesprochen. Und in seiner Pressekonferenz neulich sprach Trump davon, Kanada wirtschaftliche Härten aufzuerlegen."
Trump hatte als Präsident das 2020 in Kraft getretene Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten, Mexiko und Kanada (USMCA) selbst unterzeichnet. Nun behauptet er, dass Washingtons Vertragspartner wichtige Bedingungen des Abkommens, von der Grenzkontrolle bis zum Handel, nicht erfüllen würden. 2026 steht eine umfassende Überprüfung des Abkommens an.
"Trump ist dafür bekannt, dass er seine eigenen Abkommen zerreißt, um sich noch bessere Deals zu sichern", sagte Tony Stillo, Kanada-Experte der Wirtschaftsberatungsfirma Oxford Economics, der DW. "Obwohl er geholfen hat, das USMCA auszuhandeln, bezeichnet er es jetzt als das schlechteste Abkommen aller Zeiten."
Dabei läuft die Handelsbilanz der USA mit Kanada bereits in die von Trump erwünschte Richtung: Zwar war das Außenhandelsdefizit mit dem Nachbarn vor der Pandemie und dem Inkrafttreten des USMCA deutlich geringer. Aber in den letzten zwei Jahren ist es um rund ein Viertel zurückgegangen. Nach Angaben des US Census Bureau betrug es 2024 von Januar bis November 55 Milliarden US-Dollar (53,6 Mrd. Euro) - bei einem Handelsvolumen von 699,5 Milliarden Dollar. Die USA importierten also knapp 15 Prozent weniger Waren und Dienstleistungen aus Kanada als sie dorthin exportierten.
Das US-Außenhandelsdefizit mit China lag im selben Zeitraum mit 270,4 Mrd. US-Dollar (263,5 Mrd. Euro) 2024 fast fünfmal so hoch - bei einem Handelsvolumen von 532,4 US-Dollar (518,8 Mrd. Euro). Der Wert der US-Importe überwog den der Exporte also um das Fünffache. Auch mit Mexiko, Vietnam, Deutschland und Japan haben die USA ein weitaus größeres Handelsungleichgewicht als mit Kanada.
Kanada erhalte US-Subventionen, meint Trump
Trump schrieb auf seiner eigenen Nachrichtenplattform Truth Social, dass das Ungleichgewicht praktisch eine Subvention der USA an Kanada sei. Er sagte, die größte Volkswirtschaft der Welt könne "nicht länger die massiven Handelsdefizite ertragen, die Kanada braucht, um sich über Wasser zu halten".
Die USA und Kanada pflegen eine der umfangreichsten und am stärksten integrierten Handelspartnerschaften der Welt. Kanada ist der größte Markt für US-Exporte, noch vor Mexiko, Europa und China. Die USA liefern den Nachbarn vor allem Lastwagen, Autos und Autoteile sowie fossile Brennstoffe.
Erst recht sind die USA Kanadas wichtigstes Exportziel: Mehr als drei Viertel der kanadischen Exporte gehen über die Südgrenze. Zum Vergleich: 53 Prozent der deutschen Exporte gehen in andere Länder der Europäischen Union.
Ein Viertel der Waren und Dienstleistungen, die Kanada in die USA liefert, entfällt auf Rohöl. Im Juli 2024 erreichte der Handel nach Angaben der US Energy Information Administration (EIA) eine Rekordmenge von 4,3 Millionen Barrel pro Tag. Dank überschüssiger US-Verarbeitungskapazitäten raffinieren die USA das kanadische Rohöl zu Benzin, Diesel und Flugbenzin und exportieren einen Teil davon zurück nach Norden.
Zölle könnten Öl- und Autosektor beider Seiten schaden
Die Premierministerin der ölreichen kanadischen Provinz Alberta, Danielle Smith, warnte die USA, dass sie sich ins eigene Knie schießen würden, wenn Trump seine Drohungen wahr machen würde. Auf X schrieb sie: "Alle vorgeschlagenen Zölle würden den amerikanischen Raffinerien sofort schaden und die Verbraucher an den Zapfsäulen teurer zu stehen kommen."
Trumps Zorn richtet sich auch gegen die kanadische Automobilindustrie. Er wirft den Unternehmen vor, sie hätten die Produktion in den letzten Jahren über die Nordgrenze verlagert und in der Folge amerikanische Arbeitnehmer entlassen.
Der nordamerikanische Automobilsektor ist jedoch stark integriert. Viele Fahrzeuge und Teile überqueren während der Produktion die Grenze zwischen den USA und Kanada mehrfach. Führungskräfte der kanadischen Automobilindustrie haben davor gewarnt, dass Zölle deshalb die komplexen Lieferketten stören und zu höheren Kosten und Ineffizienz führen könnten. Entsprechend würde sie die Preise für Neufahrzeuge in beiden Ländern in die Höhe treiben.
"Wenn man jedes Mal, wenn ein Autoteil die Grenze überquert, einen Zoll von 25 Prozent erhebt, werden die Kosten lächerlich hoch", sagte William Huggins, Assistenzprofessor an der DeGroote School of Business der McMaster University der DW.
Der kanadische Sender BNN Bloomberg zitierte Ökonomen mit der Aussage, die US-Zölle könnten das kanadische Bruttoinlandsprodukt um zwei bis vier Prozent schrumpfen lassen und die Wirtschaft in eine Rezession stürzen.
Ottawa bereitet Vergeltungsmaßnahmen vor
Die regierende Liberale Partei Kanadas wird erst am 9. März Trudeaus Nachfolger wählen. Unterdessen haben kanadische Politiker eine Liste von US-Importen erstellt, die von Vergeltungsmaßnahmen betroffen sein könnten, wenn Trump seinen Plan umsetzt.
Die Analysten, mit denen DW gesprochen hat, halten es für wahrscheinlich, dass Kanada Zölle auf politisch und wirtschaftlich sensible US-Produkte erheben werde. So hatte es die Regierung in Ottawa bei einem ähnlichen Handelsstreit mit Trump im Jahr 2018 gemacht, der im folgenden Jahr beigelegt wurde.
Die Zeitung Global & Mail berichtete, dass Ottawa unter anderem Zölle auf US-Stahl, Keramik, Glas, Blumen und Orangensaft erwäge. "Sie [die kanadische Seite] haben nur eine Handvoll Sektoren identifiziert, weil sie noch nicht alles auf den Tisch legen wollen, um ihre Verhandlungsposition zu untergraben", sagt Kanada-Analyst Stillo.
Dieser Text wurde aus dem Englischen übersetzt.