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Der Abend danach

Barbara Wesel, Paris15. November 2015

Die Bewohner der französischen Hauptstadt trauern und diskutieren. Viele sind sich einig: Unser Alltag wird auch nach den Anschlägen nicht von Terroristen bestimmt. Barbara Wesel aus Paris.

Blumen vor dem Club Bataclan in Paris (Foto: DW)
Bild: DW/L. Scholtyssyk

Tausende Pariser kamen am Abend zur Avenue Richard-Lenoir an die abgesperrten Straßenecken am Bataclan. Der Club ist zum jüngsten Symbol für Terrorismus und entfesselte Gewalt in der französischen Hauptstadt geworden. Es ist eine Art informeller Trauergottesdienst ohne Pfarrer. Berge von Blumen häufen sich auf dem Asphalt, ein paar Männer verteilen Teelichter an die Trauernden, viele verharren ein paar Minuten wie im Gebet. Die Szene erinnert an die Stunden nach dem Anschlag auf Charlie Hébdo, nur dass diesmal so viel mehr Opfer zu beklagen sind und so viele weitere noch in den umliegenden Krankenhäusern um ihr Leben ringen.

Den Toten Respekt erweisen

Lehrer Robert ist mit seinem Sohn gekommen, die beiden halten ein paar Rosen in der Hand. Sie wohnen im Viertel und wollen irgendwie am Gemeinschaftsgefühl der Trauer teilhaben. Student Francois sagt, dass er auch schon öfter im Bataclan war, das sei ein cooler Ort mit guten Bands. Aber jetzt meint er, wäre es das falsche Signal dort in der nächsten Woche wieder hinzugehen, wie manche der Überlebenden nach dem Anschlag trotzig verkündet hatten. "Man muss Respekt vor den Toten zeigen, das braucht eine Weile", meint Francois. Andererseits will er sich von den Terroristen keine Angst einjagen lassen: "Es ist einfach jedermanns Recht, es ist ein Menschenrecht, in Ruhe zu einem Konzert zu gehen, oder ins Café um Freunde zu treffen." Das dürfe man sich von den Terroristen nicht nehmen lassen.

Paris trauert - und trotzt dem Terror

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Sein Vater regt sich furchtbar auf über politische Fehler, die seiner Meinung nach die Regierung gemacht hat. Nicht, dass sie zu wenig gegen den Terror tun würde: Sie probieren alles, und es hilft vielleicht nur wenig. Viele dieser Typen sind doch Franzosen, hier geboren, bei denen ist viel schief gegangen, findet er. Und eine Politik, die muslimischen Ländern Moral predigt, und dann selbst Geschäfte mit Saudi Arabien macht, sei total unglaubwürdig. Diese Doppelmoral führe doch dazu, dass keiner mehr die demokratischen und republikanischen Werte Frankreichs ernst nehmen könne, klagt Robert.

Politischer Streit gebremst von Trauer

Neben den Gedenkorten wird in zahlreichen Grüppchen gestritten: Aber regelrechter rassistischer Hass gegen Muslime oder ungebremste Wut auf die sozialistische Regierung sind kaum zu finden. Die rechtsradikale Front National lässt sich hier im Viertel nicht blicken, und die meisten Ansichten sind differenziert. Alle Pariser kennen die Betonwüsten der Banlieus, der tristen und chancenlosen Vorstädte, die viele für die Radikalisierung nordafrikanischer Jugendlicher verantwortlich machen. "Wir haben da viel zu lange zugesehen und nichts für diese Jugend getan!" lautet der Tenor. Kaum jemand macht Francois Hollande direkt für das Geschehene verantwortlich, wenn auch viele den Kopf schütteln über eine Präsidentschaft, die von einer Katastrophe nach der anderen heimgesucht wird.

Anwohner diskutieren in Paris die AnschlägeBild: DW/G. Matthes

Nur wenige machen auch die Geheimdienste verantwortlich, die nach den Charlie Hébdo Anschlägen mit sehr weitreichenden Kompetenzen zum elektronischen Abhören und Überwachen ausgerüstet wurden. Was helfen da immer neue Gesetze, wirft ein Umstehender ein: "Die können den Leuten auch nicht in die Köpfe sehen." Vielleicht hätten die eigenen Sicherheitsleute versagt, vielleicht haben auch die benachbarten Belgier wieder nicht aufgepasst, die ihre Terroristenszene nicht im Griff haben. Als am Abend klar wird, dass es auch bei diesen Attentaten eine belgische Verbindung gibt, sind manche in der streitfreudigen Trauergemeinde fast erleichtert, dass vielleicht nicht alle der Täter aus den Pariser Vorstädten kommen.

Was die Ankündigung eines "Krieges bis zur Vernichtung" angeht, mit dem Präsident Hollande am Mittag den IS Terroristen den Kampf angesagt hat, so nehmen nicht alle ihn genau beim Wort: "Er will klingen wie George W. Bush. So entschlossen und radikal, aber wir wissen ja auch, wie es mit dem Irak bei ihm geendet hat", sagt Sandrine, die gerade ihren Rosenstrauß auf den Berg der Blumen gelegt hat. "Wir können doch den Terrorismus nicht mit noch mehr Krieg beseitigen, das ist doch eine verrückte Idee", meint sie. Ob sich das Leben im Viertel nach den Anschlägen verändern wird? Irgendwie ist die Unschuld verloren, meint Sandrine, aber das ist ja schon bei dem Anschlag auf Charlie Hébdo passiert. Jetzt müsse man weitermachen, "die Terroristen dürfen nicht gegen uns gewinnen".

Immer noch eine der schönsten Städte der Welt

In dem kleinen Hotel direkt gegenüber von den Polizeiabsperrungen treffen den ganzen Tag über die Absagen von Touristen ein. Im Moment wollen wir lieber nicht nach Paris, sagen die meisten. Die Zimmer werden schnell aus den Hundertschaften von Journalisten aufgefüllt, die mit ihren Satellitenschüsseln, Schnittplätzen und Kameras die Bürgersteige um das Bataclan herum verstopfen.

Anwohnerin Zoe wiederum glaubt fest, dass man anders als die verschreckten Parisbesucher der Angst nicht nachgeben dürfe: "Ich will weiter Metro fahren, auf die Straßenmärkte gehen, in die Boutiquen, und auf der Terrasse im Café mit meiner Freundin ein Glas trinken", betont sie.

Zoe wohnt in der Nähe des Clubs BataclanBild: DW/L. Scholtyssyk

Gerade jetzt gehe es um die französischen Werte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die man doch bewahren müsse. Man lebe trotz allem noch ziemlich geschützt und privilegiert, wenn man an die vielen Katastrophen auf der Welt denke. Aber: "Ich will weiter in die Museen gehen, wir haben die unglaublichste Kultur hier, und wir haben die tollste Architektur", sagt Zoe. "Paris bleibt doch trotz allem eine der schönsten Städte der Welt." Seine Bewohner jedenfalls zeigen einen bemerkenswerten Widerstandsgeist im Angesicht des Terrors.

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