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GlaubeEuropa

Der alte Papst, die Jugend und das Ringen um Reformen

7. August 2023

Franziskus und sein Traum vom Frieden. Der Papst startete in Lissabon mit dem Weltjugendtag 2023 in die vielleicht entscheidende Phase seines Pontifikats.

Alter Mann in weißem Gewand in einer Menschenmenge. Er wird mit zahlreichen in die Höhe gehaltenen Handys fotografiert
Der Weltjugendtag findet vom 1. bis 6. August 2023 in Lissabon stattBild: Gerardo Santos/IMAGO

Er ist wieder unterwegs. Papst Franziskus beim 37. Weltjugendtag der katholischen Kirche. Für fünf Tage besuchte er aus diesem Anlass Portugal. Das Kirchenoberhaupt, das nach einem Krankenhausaufenthalt Mitte Juni gut sechs Wochen lang nur im Vatikan blieb und kaum öffentliche Termine wahrnahm, prägt das Treffen in Lissabon. Er sucht, mal ernst, mal locker, die direkte Begegnung, ermuntert die jungen Leute, sich einzumischen. Die Stimmung dieser Tage knüpft an Weltjugendtage in Vor-Corona-Zeiten an. Und bei der Open-Air-Messe mit eineinhalb Millionen Gläubigen zum Abschluss ruft Franziskus die Jugend zu einem Leben aus der Hoffnung und zum Einsatz für den Frieden auf.

"Erlaubt mir als altem Mann, mit euch jungen Leuten einen Traum zu teilen, den ich in mir trage: Es ist der Traum vom Frieden, der Traum von jungen Leuten, die für den Frieden beten, in Frieden leben und eine Zukunft des Friedens aufbauen", sagt der 86-jährige Franziskus. Er baut auf die jungen Leute und ermuntert sie, sich für eine gerechtere Welt und für eine offene Kirche einzusetzen. Sein Gesicht wirkt gelöst in diesen Momenten.

Jenseits der Erwartungen

Doch prägen, abgesehen von den Franziskus-typischen kritischen Worten zu Europa, selten ausdrücklich politische Worte die Reden des Papstes in Lissabon und - bei einem Abstecher am Samstag - im Marienwallfahrtsort Fatima. An diesem Ort im Norden Portugals berichteten 1917, während des Ersten Weltkrieges, Hirtenkinder, ihnen sei Maria, die Mutter Jesu, erschienen und habe zum Gebet für die Bekehrung Russlands aufgerufen.

Franziskus beim stillen Gebet in FatimaBild: abaca/IMAGO

In Fatima, so hieß es im Vorfeld, werde Franziskus einen Friedensappell anlässlich der russischen Aggression gegen die Ukraine formulieren. Es kommt anders. Der Papst legt sein vorbereitetes Manuskript zur Seite und spricht darüber, dass die Kirche offen sein müsse: "Die Kirche hat keine Türen, damit alle hineinkommen können!" Erst im Nachhinein versichert der Sprecher des Vatikan, im Stillen habe Franziskus um Frieden gebetet.

Die Szene aus Fatima passt zu manchem Auftritt dieser Reise. Franziskus verzichtet auf den Vortrag vorbereiteter Manuskripte - so häufig, dass Medienvertreter in seiner Begleitung über Augenprobleme des Kirchenoberhaupts spekulierten. Stattdessen wendet er sich in freier Rede an die Menschen und wirkt dabei vor allem wie ein Seelsorger, ein Missionar einer offenen und einladenden Kirche, die sich nicht abschotten dürfe. Und die jungen Menschen feiern ihn. 

In Lissabon setzte Papst Franziskus die letzten Pinselstriche an einem gewaltigen Wandbild. Bild: Vatican Media/­Handout via REUTERS

Dabei wirkt das gar nicht so, als wolle er damit das weltweit präsente Thema Missbrauch verdrängen. Auch in Lissabon trifft Franziskus Opfer von sexuellem Missbrauch durch Kleriker. Und zu Beginn der Reise mahnt er die portugiesischen Bischöfe ausdrücklich, den Opfern zuzuhören. Der Skandal des Missbrauchs habe das Ansehen der Kirche beschädigt.

Kirchenpolitische Spannungen

Das nachdrückliche Plädoyer des Franziskus für eine offene Kirche ist vor allem ein kirchenpolitisches Signal. Denn die kirchlichen Kontroversen werden in diesem Jahr, nach dem Tod des emeritierten Vorgängers Benedikt am Silvestertag 2022, schärfer, die Konfliktlinien werden deutlicher. Konservative oder reaktionäre Kirchenvertreter, im vatikanischen Apparat wie in der Weltkirche, äußern auch öffentlich deutliche Kritik am Kurs des Franziskus. 

Im Juni hatte Franziskus wegen einer aufwendigen Bauchoperation neun Tage im Krankenhaus verbringen müssen. Als er die Klinik verließ, sagte er dort wartenden Journalisten lächelnd "Ich lebe noch." Worte, die er - deutlicher - bereits 2021 nach einem Krankenhausaufenthalt wegen einer Darm-OP verwendet hatte. "Ich lebe noch. Obwohl mich einige lieber tot sähen", formulierte er damals. Einige der Kirchenmänner im Vatikan hätten gedacht, ihm ginge es schlechter als vermeldet. So hätten sie bereits ein mögliches Konklave vorbereitet.

Als Franziskus nun im Flieger nach Lissabon von einer mitreisenden ARD-Journalistin nach seinem Befinden gefragt wird, bekräftigt er erneut "Ich lebe noch" und gibt sich überzeugt, durch den Weltjugendtag werde er jünger werden. Im Dezember wird Franziskus 87 Jahre alt; er zählt schon jetzt zu den ältesten Päpsten der Kirchengeschichte. 

Und so, wie Franziskus in Portugal Manuskripte, die sein Stab ihm aufschrieb, zur Seite legt und in freier Rede spricht, so gestaltet er seine ganz eigene Medienarbeit jenseits der Vorgaben des vatikanischen Apparats. Gerne setzt er eigene Akzente, die nicht so wirken, als seien sie mit der Kommunikationsabteilung abgesprochen. Während er in Lissabon weilt, wird ein Interview mit der spanischen Zeitschrift "Vida Nueva" veröffentlicht, das auch die Vatikan-Journalisten überrascht und für einen Tag den Weltjugendtag aus den Nachrichten verdrängt. Da wendet er sich gegen eine Fixierung der Kirche und ihrer Seelsorge auf moralische Fragen. Wenn man mit jungen Leuten nur "über die Keuschheit redet, vergrault man sie alle", meint er. Das sei "ideologische" Seelsorgearbeit. Junge Leute, die auf dem Weg zum Priesteramt seien, sollten lieber auch einmal Fußball spielen als "starr" aufzutreten und zu "dogmatisieren". 

Reisen und Reden. Papst Franziskus, hier in Lissabon, wendet sich stets sehr direkt und persönlich an seine Zuhörerinnen und Zuhörer.Bild: Marco Bertorello/AFP

Der Besuch in Portugal, seine 42. Auslandsreise seit 2013, bildet den Auftakt zur vielleicht spannendsten Phase seines Pontifikats. Ihm geht es im Kern um die Frage, ob die Kirche die Menschen in der Moderne noch - oder wieder - erreicht und ob sie ihre Botschaft im Dialog zeitgemäß vermitteln kann. Noch im August steht die nächste Reise dieses Papstes an, den es immer wieder an die Ränder der Kirche drängt. Sie soll ihn vom 31. August bis 4. September in die Mongolei führen. In dem buddhistisch geprägten Land leben lediglich eineinhalb tausend Katholiken. Aber diese Minderheit in einer ganz anderen Kultur ist eine Gemeinde nach seinem Herzen. Ihren Bischof Giorgio Marengo machte er 2022 zur Überraschung aller Experten zum Kardinal; nach wie vor ist der 49-Jährige der jüngste aller Kardinäle. Mitte September reist Franziskus dann für zwei Tage nach Marseille und nimmt an einem Treffen der Bischöfe des Mittelmeer-Raums teil. Es gehe darum, sagt er, "ernsthaft über die Tragödie der Migranten nachzudenken".

Spannungen und spannende Beratungen

Anfang Oktober beginnt im Vatikan die Weltbischofssynode zur Synodalität der Kirche, das heißt: zu neuen Formen des Dialogs und der Beteiligung in der Kirche. Für Franziskus geht es um eine Abkehr vom Klerikalismus, dieser in der katholischen Kirche der Gegenwart oft beklagten Abgehobenheit einer machtbewussten Priesterklasse. Bei dieser Weltsynode, die seit 2021 auf nationaler und kontinentaler Ebene diskutiert und vorbereitet wurde, wird es in zwei Sitzungsperioden im Oktober 2023 und im Herbst 2024 um Reformen gehen, gewiss aber nicht um Reformation oder Revolutionen - das machte Franziskus im Interview mit "Vida Nueva" deutlich.

Doch selbst das, was dieser Papst an Veränderungen will, geht reaktionären Kräften in der Kirche viel zu weit. Einzelne US-Bischöfe formulierten ihre Kritik in Lissabon vernehmbar. Und bei den Debatten der Weltsynode bindet Franziskus reformorientierte und reaktionäre Kräfte gleichermaßen ein.

Der Vatikan in Rom. Ab Oktober geht es hier um die Zukunft der KircheBild: Mauro Scrobogna/LaPresse/AP/picture alliance

Übrigens wurde auch beim Weltjugendtag in Lissabon für ein römisches Event am Vorabend der Weltsynode geworben. Die Verantwortlichen hinter Franziskus laden für den 30. September zu einem Abend unter dem Titel "Together - Versammlung des Volkes Gottes" ein, ein Abend des Gebets und der Erwartung. Prominente Vertreter aus anderen christlichen Kirchen haben dafür längst zugesagt. Und man hofft auf Zehn- oder Hunderttausende junge Leute auf dem Petersplatz. 

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