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18. Januar 2012

Von Tunesien bis an den Golf rebellierten die Menschen gegen die Regime. Vielerorts ist die Zukunft ungewiss. Doch der arabische Frühling wird kein islamistisch dominierter Herbst, sagt DW-Experte Loay Mudhoon.

Loay Mudhoon, Islam-Experte der DW (Foto: DW)
Loay Mudhoon, Islam-Experte der DWBild: DW

Ist der Traum der neuen, arabischen Demokratie-Bewegungen von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, vom Leben in Würde durch die Ergebnisse der ersten wirklich freien Wahlen in Ägypten ein Jahr nach der "Arabellion" nun ausgeträumt? Spätestens seit dem überraschenden Wahlerfolg der radikalislamistischen Salafisten bei der Parlamentswahlen in Ägypten könnte man diese Fragen mit "Ja" beantworten. Doch das wäre voreilig und zu einfach, vor allem angesichts der unübersichtlichen politischen Gemengelage in den postrevolutionären, arabischen Staaten.

In der Tat ist das Islam-Verständnis der ultra-konservativen Salafisten in Ägypten zweifelsohne zu engstirnig, um an einem demokratischen Politikprozess konstruktiv teilzunehmen. Doch im Gegensatz zum Erfolg der politisch unerfahrenen Salafisten waren die Wahlsiege der Partei "Freiheit und Gerechtigkeit" der Muslimbruderschaft zu erwarten. Ebenso wie die Wahlsiege der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD) in Marokko und zuvor der Ennahda-Bewegung in Tunesien.

Volksnah und glaubwürdig

Diese Bewegungen sind Volks-Parteien, die dank ihrer Netze an Moscheen, Kindergärten und anderen Wohlfahrtseinrichtungen in der Bevölkerung tief verwurzelt sind. Sie sind zudem gut organisiert und gelten als nicht korrupt. In dem kurzen Wahlkampf gelang es den Islamisten, von den tatsächlichen sozio-ökonomischen Problemen abzulenken, in dem sie ihren populistischen Identitätsdiskurs in den Mittelpunkt stellten. Über Fragen wie "Wer sind wir?" wurde vor den Wahlen so heftig diskutiert, als stünden arabische Gesellschaften vor einer feindlichen Übernahme! Auch deshalb konnten sie ihre Anhänger besser mobilisieren als die neu entstandenen liberalen und zivilen Jugend-Parteien, die sich im Wahlkampf wenig engagiert haben.

Doch Panik oder gar Hysterie sind fehl am Platz in dieser historischen Situation, schließlich werden die islamistischen Wahlsieger in keinem arabischen Land die Spielregeln der zu etablierenden Demokratien alleine bestimmen können. In Tunesien muss Ennahda mit anderen säkularen Parteien koalieren. In Ägypten müssen sich die Muslimbrüder eindeutig von den Steinzeit-Salafisten distanzieren, wenn sie sich als glaubwürdige und berechenbare Kraft des Wandels legitimieren und der Konfrontation mit der Revolutionsbewegung sowie mit dem Militärrat aus dem Weg gehen wollen.

Einbindung notwendig

Und noch wichtiger: Die Erfahrung lehrt, dass in einer Demokratie kein Weg an der Einbindung großer gesellschaftlicher Strömungen ins politische System vorbeigeht. Denn erst dadurch lernen diese fundamental-oppositionellen Kräfte, was es konkret heißt, politische Verantwortung zu übernehmen. Sie üben die Kunst der schmerzhaften Kompromisse und entwickeln erst dadurch die Kompetenz, Probleme zu lösen. Kurzum: Sie werden durch die normative Kraft des Faktischen zwangsläufig pragmatischer.

Die arabischen Neo-Islamisten stehen im Augenblick daher vor der Wahl: Entweder sie passen sich der veränderten Umgebung an, oder sie halten weiter an den ihren überkommenen ideologischen Konzepten fest. Sollten sie sich für die zweite Option entscheiden, werden sie mit Sicherheit an den großen Herausforderungen der Gegenwart, vor allem am Aufbau funktionierender Institutionen und an der Ankurbelung der Wirtschaft epochal scheitern.

Autor: Loay Mudhoon
Redaktion: Birgit Görtz

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