Der Aufstand der Syriza-Linken
15. Juli 2015Die Nerven liegen blank beim Syriza-Abgeordneten Stathis Leoutsakos: Mit drohendem Unterton geht er auf Journalisten los, die geduldig am Bürgersteig warten und ihn vor einer Fraktionssitzung der Linkspartei um eine Stellungnahme bitten.
"Wie kommt ihr hierher? Hat euch jemand eingeladen?", protestiert der Volksvertreter. Nach einem kurzen Moment der Verlegenheit, bemüht sich einer der Journalisten um eine höfliche Antwort: "Sie verstehen doch, dass die Menschen ein starkes Interesse haben an…" Leoutsakos unterbricht den Reporter und wird ungeduldig: "Wer hat dich eingeladen, Mann? Gehst du irgendwohin ohne Einladung? Ist das euer Ernst?"
Nach der Fraktionssitzung wird Leoutsakos, der für den radikalen Linksflügel der Regierungspartei steht, doch noch gesprächig - und er hat Wichtiges zu verkünden: Die Einigung von Brüssel sei ein Fehler, und er werde alles dafür tun, damit sie nicht durchs Parlament kommt. Und falls sie doch verabschiedet wird, dann würde er "kämpfen", damit die Vereinbarung nicht umgesetzt wird.
Ein Riss durch die Linkspartei
Viele griechische Parlamentarier äußerten sich ähnlich. Fast ein Drittel aller Syriza-Abgeordneten lehnen die Sparauflagen ab. Damit bröckelt der Rückhalt für Linkspremier Alexis Tsipras, der am 15. Juli den Reformkompromiss von Brüssel im Eiltempo durch das Parlament bringen will.
Durch den wachsenden Widerstand in der Regierungspartei wird die Debatte im Plenum verzögert; eine Abstimmung findet vermutlich erst nach Mitternacht statt. Da sämtliche Oppositionsparteien für die Sparauflagen stimmen wollen, scheint eine Mehrheit für Tsipras im Plenum gesichert - aber das wäre nicht mehr seine eigene Mehrheit.
"Die Abstimmung im Parlament verursacht einen Riss durch die regierende Linkspartei", meint Politikwissenschaftler Levteris Koussoulis im Gespräch mit der DW. Die Folgen seien noch nicht abzusehen. Jedenfalls sei die Vereinbarung von Brüssel kaum noch zu realisieren, wenn sich ein Großteil der Regierungsabgeordneten dagegen stelle.
Koussoulis fügt hinzu: "Wahrscheinlich kommt es nach dieser Abstimmung in absehbarer Zeit zur Bildung neuer Parteien in Griechenland, die sich gegen das ‛Memorandum der Sparpolitik’ stellen und enttäuschte Syriza-Wähler ansprechen. Denkbar ist eine Abspaltung bei Syriza, oder aber auch, dass sich linke und rechtsgerichtete Politiker zusammentun und gemeinsam etwas völlig neues aus der Taufe heben", erläutert er.
"Europa erpresst uns"
Dass Ministerpräsident Tsipras mit Gegenwind rechnen muss, beweist nicht zuletzt die Präsidentin des griechischen Parlaments Zoe Konstantopoulou bei den Beratungen der Sparauflagen in den Fachausschüssen. In einer vielbeachteten Rede am Mittwochvormittag klagte Konstantopoulou, die Athener Regierung würde von den EU-Partnern erpresst. Vehement warnte sie die Volksvertreter davor, diese Erpressung auch noch "zu vollenden", in dem sie für die Sparauflagen stimmen.
Ihren Ausgangspunkt teilen anscheinend auch Tsipras-treue Abgeordnete, die aber zu einer völlig anderen Schlussfolgerung kommen: Ja, die Sparauflagen seien eine Erpressung. Diese würden die Volksvertreter aber nur dann erfolgreich abwehren, wenn sie für die Reformen stimmen und dadurch Tsipras die Möglichkeit geben, weiterhin für ein gerechtes Europa zu kämpfen.
Für den Regierungschef gleicht das Lavieren zwischen den Forderungen der Kreditgeber und den Erwartungen in der eigenen Partei einem gefährlichen Drahtseilakt. "Tsipras bewegt sich nach rechts, wird moderater und passt sich den Anforderungen der Macht an", glaubt Levteris Koussoulis.
Neue Regierung in Sicht?
Für den Politikwissenschaftler wäre es an der Zeit, dass der Linkspolitiker sich vom Parteichef zur politischen Führungspersönlichkeit entwickelt. "Unter dem Druck von außen hat Tsipras einen Rückzieher gemacht und die Wende in Richtung Euro vollzogen. Dadurch bekommt er vermutlich Unterstützung auch von Wählern, die bisher nicht für ihn gestimmt haben, jetzt kann er nicht einfach in Richtung Drachme zurückgehen", glaubt Koussoulis.
Derzeit verfügt Premier Tsipras über 149 Mandate im 300-köpfigen griechischen Parlament und regiert gemeinsam mit der rechtspopulistischen Partei Unabhängige Griechen, die weitere 13 Abgeordnete beisteuern. "Das Abstimmungsergebnis ist für den Premier entscheidend", meint Alexis Papachelas, Direktor der Athener Tagsezeitung Kathimerini: "Vierzig Abweichler wäre die absolute Schmerzgrenze. Auch die Bildung einer Mehr-Parteien-Regierung mit Neuwahlen im Herbst ist möglich".