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Politik

Der Brexit bringt Britannien in Bedrängnis

Robert Mudge AR
10. Februar 2019

Seit zweieinhalb Jahren dreht sich in Großbritannien fast alles nur um den Brexit. In anderen Bereichen geht es kaum voran. Der Wirbel um den EU-Austritt verschlingt Ressourcen, politische Dauerbaustellen liegen brach.

Anti-Brexit-Demo in London (12.01.2019)
Bild: Reuters/H. Nicholls

Angesichts des Brexit-Dramas in London ist es fast eine Überraschung, dass Großbritannien nicht längst zum Stillstand gekommen ist. Aber wie lange kann sich die Regierung der Lösung anderer, ernsthafter Probleme noch entziehen? Zwar sei die aktuelle Situation nicht allein dem Ringen um den EU-Austritt geschuldet, sagt Emily Andrews von der Londoner Denkfabrik "Institute of Government". Doch mittlerweile bremse der Brexit die britische Politik immer stärker aus. 

"Wir sind inzwischen an einem Punkt, an dem vieles direkt mit dem Ringen um den Brexit zu tun hat. Seit der Parlamentswahl 2017 stockt die innenpolitische Agenda, weil die Konservativen nur eine Minderheitsregierung bilden konnten und das Kabinett sich nicht einig ist", so Andrews. Theresa May habe nicht die Autorität, für eine einheitliche Linie in der Innenpolitik zu sorgen.

Doch nun, wo der Brexit immer näher rückt, gibt es nicht nur thematisch eine Fokussierung auf den EU-Austritt: Auch immer mehr Beamte und Staatsangestellte seien nur noch damit befasst, wie ein No-Deal-Brexit zu bewältigen wäre - der Ausstieg aus der Europäischen Union ohne Regeln und Vertrag. Diese Personallücken würden dazu führen, so die Londoner Expertin, dass andere wichtige Fragen oftmals höchstens oberflächlich abgehandelt werden.

Was ist mit der Fürsorge passiert?

Einer der Schlüsselbereiche, die auf Eis gelegt wurden, ist die Fürsorge. Ursprünglich sollte im Herbst 2017 in Großbritannien ein so genanntes Grünbuch einen neuen Rahmen in der Sozialpolitik setzen. Seither ist dessen Veröffentlichung immer wieder verschoben worden.

Auch ohne Brexit, sagt Andrews, gebe es keinen idealen Zeitpunkt, um sich mit einem so entscheidenden Thema zu befassen. "Politisch gesehen, ist die Frage der nachhaltigen Finanzierung des Sozialbereichs ein sehr heißes Eisen. Während die Ausgaben im Gesundheitswesen gestiegen sind, sind die Mittel für den Sozialbereich gesunken."

Premierministerin May: Versprechen nicht eingelöstBild: Reuters/J. Taylor

Tatsächlich hat das Thema bei der letzten Wahl die regierenden Konservativen Sympathien gekostet. Von der Opposition kam der Vorwurf, Theresa Mays Tories wollten eine "Demenzsteuer" einführen. Das Programm der Konservativen Partei sah damals vor, Rentner stärker an den Kosten der Altenpflege zu beteiligen. Senioren, die mehr als 100.000 Pfund (114.000 Euro) Vermögen haben, sollten für ihre Pflege selbst aufkommen, so der Plan.

Die Folge wäre gewesen, dass diejenigen, die auf häusliche Pflege angewiesen sind, also oftmals Demenzkranke, ihre Eigentumswohnungen und Häuser hätten verkaufen müssen, um die nötige Hilfe zu bezahlen. Für Patienten allerdings, die beispielsweise wegen einer Krebsbehandlung dauerhaft im Krankenhaus liegen, sollte die Regelung aber nicht gelten. Deshalb wurde der Plan als Demenzsteuer verunglimpft.

Keine Lösungen in Sicht

Eine breit akzeptierte Lösung für die Finanzierung von Sozialpolitik ist nach wie vor nicht in Sicht. Das lässt sich zwar teilweise auf die üblichen politischen Ausflüchte zurückführen, doch der Fokus auf den EU-Austritt hat jedes Fortkommen zum Stillstand gebracht.

"Nun blockiert der Brexit alles", sagt Emily Andrews. "Und ich habe keine Ahnung, wann Verhandlungen über die Fürsorgefinanzierung stattfinden könnten." Das System werde wohl auch in Zukunft erstmal nur durch weitere Geldspritzen am Laufen gehalten.

Der Versuch der damaligen liberal-konservativen Regierung, staatliche Leistungen effizient und kostengünstig zu gestalten, war schon vor dem Brexit-Votum umstritten. Zwar legte die Koalition 2010 einen Plan vor, der tatsächlich zunächst Erfolge bescherte. Doch nun wird immer deutlicher, auf wessen Kosten das ging: "Sie haben das nicht erreicht, indem die Leistungen effizienter wurden. Die Regierung fror einfach die Gehälter im öffentlichen Sektor ein und kürzte sogar Löhne ", sagt Expertin Andrews. Außerdem sei die Zahl der Beschäftigten reduziert und Angestellte seien dazu verdonnert worden, mehr zu arbeiten.

Obdachlose in London: Immer mehr Menschen ohne ein festes Dach über dem KopfBild: picture-alliance/dpa/V. Jones

Jetzt, wo auch noch der Brexit in diesem Bereich für Turbulenzen sorgen dürfte, könnte sich die Vernachlässigung des Problems noch rächen. "Das bedeutet, dass das staatliche Angebot ins Straucheln geraten wird und die Bürger das zu spüren bekommen. Die Menschen wollen aber mehr Beschäftigung, einfacher Wohnungen bekommen und einen besseren Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen. Und sie wollen Lösungen dafür." Die britischen Bürger warten schon lange darauf.

"Schreiende Ungerechtigkeiten"

Als Theresa May 2016 Premierministerin wurde, versprach sie, "schreiende Ungerechtigkeiten" zu beseitigen. Große Erfolge kann sie aber bislang nicht vorweisen. Ganz im Gegenteil: Kürzungen im Gesundheitswesen haben dazu geführt, dass es psychisch Kranke nun schwerer haben, an Medikamente zu kommen. Auch die Zahl der Obdachlosen ist gestiegen. Immer mehr Menschen sind gezwungen, ohne ein festes Dach über dem Kopf zu leben.

Und auch bei ihrem wichtigsten Versprechen sorgt May für Enttäuschung: bei der Hilfe für Opfer häuslicher Gewalt. "Es gibt dazu jetzt einen Gesetzentwurf, der aber immer noch nicht ins Parlament eingebracht wurde", sagt Emily Andrews vom "Institute of Government". "Andere Gesetze hängen dort bereits seit langem fest. Bei einem dauerte es zwei Jahre, bis es in Kraft treten konnte."

Trägheit gepaart mit mangelnder Transparenz im politischen Apparat bringen Großbritannien in Bedrängnis. Etwas anderes als den Brexit auf die Agenda zu hieven, erweist sich als schwierig, wenn nicht gar unmöglich. "Neue Gesetze zu verabschieden, ist zurzeit schwierig. Und wir wissen nicht, womit sich all die Regierungsmitarbeiter vorher eigentlich beschäftigt haben, die sich nun allein um das No-Deal-Szenario kümmern." Es sei unbekannt, welche Programme deshalb gestoppt oder ganz gestrichen wurden, klagt Expertin Andrews. Die Regierung sage dazu nichts.

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