Der chilenische Schriftsteller Antonio Skármeta ist tot
Susanne Spröer
16. Oktober 2024
Antonio Skármeta galt als eine der führenden Köpfe der chilenischen Literatur. Während der Diktatur floh er nach Deutschland, wo er später auch Botschafter seines Heimatlands wurde. Nun ist er mit 83 Jahren gestorben.
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In seiner Heimat war Antonio Skármeta eine Ikone. Er erhielt aber nicht nur den Nationalen Literaturpreis 2014, sondern wurde auch weltweit für sein Werk ausgezeichnet. "Unsere Universitätsgemeinschaft nimmt traurig Abschied", teilte die Universität von Chile am Dienstag (15.10.2024) mit, an der der Autor Philosophie studierte und später als Akademiker arbeitete. Die Todesursache wurde nicht genannt.
Der chilenische Senat legte nach Bekanntwerden der Nachricht eine Schweigeminute ein. "Mein Vater ist heute Morgen tatsächlich verstorben. Es war ein langer Prozess, der vor Jahren mit der Alzheimer-Krankheit begann und mit einem natürlichen Tod endete", bestätigte sein Sohn Fabián Skármeta.
Schule der Demokratie
Geboren wurde Antonio Skármeta am 7. November in 1940 in Antofagasta, einer Stadt im subtropischen Norden Chiles. Seine Großeltern waren kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges aus Kroatien nach Chile ausgewandert - ihre Geschichte erzählt er in seinem Roman "Die Hochzeit des Dichters". Viele seiner Bücher tragen autobiographische Züge. Und viele handeln von Flucht und Exil - einem seiner Lebensthemen.
Er ging in der Hauptstadt Santiago im Instituto Nacional de Chile zur Schule, der renommiertesten Jungenschule des Landes. Sie habe ihn für sein Leben geprägt, erzählte er der DW 2017: "Sie hat mich Demokratie gelehrt. Hierher kamen Schüler aus allen Schichten: den Armenvierteln, der Mittelklasse und aus reichen Gegenden. Das erklärt meine Literatur - und auch meine politischen Positionen."
Flucht und Exil
Wegen seiner politischen Ansichten muss Antonio Skármeta, der nach dem Studium vorübergehend auch in den USA gelebt hat, sein Heimatland Chile verlassen: In den 70er-Jahren unterstützt er den demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende, der 1973 von Augusto Pinochet aus dem Amt geputscht wird. Noch am Tag des Putsches, am 11. September 1973, nimmt sich Allende im Präsidentenpalast das Leben. In de folgenden Monaten und Jahren der werden zahlreiche Künstler, Intellektuelle und Pinochet-Gegner gefoltert oder ermordet. Der Liedermacher Victor Jara wird in einem Sportstadion erschossen, Skármetas Freund, der chilenische Nationaldichter Pablo Neruda, stirbt wenig später im Krankenhaus - bis heute glaubt seine Familie, dass er vergiftet wurde. Zahlreiche Intellektuelle verlassen das Land, auch die bekannte Schriftstellerin Isabel Allende kehrt Chile den Rücken.
Nach der Flucht: Putsch, Diktatur und der Weg zur Demokratie in Chile
Der 11. September 1973 verändert das Leben vieler Chilenen für immer: Ein Putsch gegen Präsident Allende bringt Augusto Pinochet an die Macht. 16 Jahre später wird der Diktator durch eine spektakuläre Kampagne gestürzt.
Bild: WDR
Chiles 11. September
Der 11. September 1973 verändert das Leben vieler Chilenen für immer: Der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, General Augusto Pinochet, putscht gegen den amtierenden sozialistischen Präsidenten Salvador Allende. Die Militärs bombardieren den Präsidentenpalast "La Moneda" in der Hauptstadt Santiago, verhaften Regierungstreue, Linke und Pinochet-Gegner.
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Salvador Allende: Ein Präsident des Volkes
Erst drei Jahre zuvor war der Sozialist Salvador Allende ins Amt gewählt worden. Weil er Firmen verstaatlicht und Großgrundbesitzer enteignet, begegnet seine Regierung von Anfang an heftigem Widerstand. Auch den USA ist so viel Sozialismus in Südamerika ein Dorn im Auge. Mit Hilfe der CIA boykottiert sie Allendes Wirtschaftspolitik und macht in chilenischen Medien Stimmung gegen die Regierung.
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Tod des Präsidenten
Noch am Tag des Putsches begeht Salvador Allende im Präsidentenpalast Selbstmord (im Bild wird seine Leiche aus dem Gebäude getragen). "Von hier zum Friedhof, ich bin kein Mann des Exils", hatte er schon beim Amtsantritt gesagt. Währenddessen wird das "Estadio Nacional", wo sonst Fußball gespielt wird, zum Konzentrationslager: 40.000 Menschen werden eingesperrt, Tausende gefoltert und ermordet.
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Ein Stadion als Konzentrationslager
Auch Walter Ramirez, Kameramann des Films "Nach der Flucht", wird verhaftet. Am 11. September 1973 läuft der Student mit einem Kommilitonen durch Santiago. Soldaten nehmen beide fest - weil sein langhaariger Freund argentinische Pesos dabei hat, die er für eine Reise zu Frau und Sohn nach Argentinien braucht. Als mutmaßliche "Landesverräter" werden beide tagelang im Nationalstadion festgehalten.
Bild: DW/S. Spröer
Schüsse auf die Umkleidekabine
Walter Ramirez und sein Freund werden in einer Umkleidekabine mit fast einhundert anderen Männern zusammengesperrt. Alle teilen sich zwei Toiletten, Soldaten schießen von außen auf die Fenster - aus Langeweile. Nach einigen Tagen werden Walter und sein Freund freigelassen. Warum, weiß er bis heute nicht. Vielleicht, weil sein Vater für eine US-Firma arbeitete? Das Thema ist in seiner Familie tabu.
Bild: DW/S. Spröer
Vom General zum Diktator: Augusto Pinochet
Der Kopf hinter dem Putsch ist General Augusto Pinochet, Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Von 1973 bis 1990 regiert er Chile diktatorisch: Linke Parteien und Gewerkschaften sind verboten, Presse- und Meinungsfreiheit abgeschafft. Von den USA, aber auch von Politikern in Deutschland, wird das Pinochet-Regime massiv unterstützt.
Bild: picture-alliance/dpa
Folter, Morde und Bücherverbrennung
Nun leben auch Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle in Chile gefährlich. Der Liedermacher Victor Jara wird verhaftet, gefoltert und in einem Basketball-Stadion in Santiago erschossen. Auf den Straßen werden Bücher unliebsamer Autoren verbrannt. Viele Gegner der Diktatur verlassen Chile in den nächsten Monaten und Jahren.
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Antonio Skármeta: Aus Chile ins Berliner Exil
Auch der Schriftsteller und Uni-Dozent Antonio Skármeta verlässt Chile 1973. 16 Jahre lang lebt er im Exil in Berlin, schreibt dort unter anderem die erfolgreichen und teils mehrfach verfilmten Bücher "Nixpassiert" und "Mit brennender Geduld". Das Thema Exil wird eines seiner Lebensthemen. Im DW-Special "Nach der Flucht" wird Antonio Skármetas Geschichte erzählt.
Bild: WDR
Isabel Allende: Aus Chile über Venezuela in die USA
Eine andere prominente Exilantin ist Isabel Allende, Autorin des Welt-Bestsellers "Das Geisterhaus". Die Journalistin und Frauenrechtlerin geht 1975 ins Exil nach Venezuela. Präsident Salvador Allende war übrigens nicht ihr Onkel, wie es oft heißt, sondern der Cousin ihres Vaters. Im Roman "Paula" beschreibt Allende ihre Zeit im Exil. Heute lebt sie in den USA.
Bild: VICTOR ROJAS/AFP/Getty Images
Pinochet und die Militärs: Das Ende naht
Im August 1987 nimmt Diktator Augusto Pinochet die Militärparade zum 14. Jahrestag seiner Machtübernahme ab. Doch seine Tage sind gezählt: Für das nächste Jahr steht eine Volksabstimmung über seine Zukunft an. Die Gegner der Diktatur mobilisieren alle Kräfte. Mit einer spektakulären Aktion leiten sie für Chile die Wende ein...
Bild: picture-alliance/dpa
Eine Werbekampagne beendet die Diktatur
Im Oktober 1989 entscheiden die Chilenen darüber, ob Augusto Pinochet als alleiniger Kandidat bei den nächsten Wahlen antreten darf. Ja oder nein? Ein buntes Werbe-Video mobilisiert die Massen – eine Mehrheit traut sich und stimmt mit "No!". Das Ende der Diktatur ist eingeleitet.
Bild: picture-alliance/dpa/epa
Friedlicher Übergang zur Demokratie
Im März 1990 übergibt Pinochet das Präsidentenamt an den Christdemokraten Patricio Aylwin (rechts). Pinochet bleibt bis 1998 Chef des Heeres. Keines der zahlreichen internationalen Verfahren gegen ihn führt zu einer Verurteilung. Am 10. Dezember 2006 stirbt Augusto Pinochet mit 91 Jahren – ohne je für die Verbrechen der Diktatur zur Rechenschaft gezogen worden zu sein.
Bild: Biblioteca del Congreso Nacional de Chile
Erbe der Diktatur in einer gespaltenen Gesellschaft
Erst langsam wird die Diktatur in Chile aufgearbeitet, die Demokratie hat nicht alle Probleme gelöst. 2017 demonstrieren Menschen immer wieder gegen das in der Pinochet-Zeit privatisierte AFP-Rentensystem, das viele Chilenen ausschließt oder nur Mini-Renten bereitstellt. Das Erbe der Diktatur wirkt bis heute weiter. Aber immerhin: Jetzt dürfen die Menschen für ihre Meinung auf die Straße gehen.
Bild: DW/S. Spröer
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Auch Antonio Skármeta entscheidet sich, Chile zu verlassen, solange es noch geht. Mit einem Stipendium des DAAD, des Deutschen Akademischen Auslands-Dienstes, kommt er 1974 nach Berlin, holt seine erste Frau und die beiden kleinen Söhne nach. In Berlin beginnt er, die neuen Erfahrungen literarisch zu beschreiben: In "No pasó nada" ("Nixpassiert") schildert er den schwierigen Spagat zwischen der alten und der neuen Welt aus den Augen eines Jugendlichen. Die Geschichte der Zerrissenheit einer Familie im Exil - seine Geschichte.
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Skármeta, Neruda und das Volk, das seine Dichter liebt
In Berlin schreibt er auch den Roman, der ihn weltberühmt macht: "Ardiente Paciencia" (deutsch: Mit brennender Geduld"), mit dem französischen Schauspieler Philippe Noiret verfilmt als "Il Postino" (deutsch: "Der Postmann"). Mit der Geschichte um einen Briefträger, dem der Dichter mit romantischen Versen hilft, seine große Liebe zu erobern, setzt er Pablo Neruda ein literarisches Denkmal. "Es ist auch ein Buch über einen Dichter und sein Volk", sagt Skármeta im Interview. "Pablo Neruda hatte ein ganz besonderes Verhältnis zu den Menschen. Das habe ich oft erlebt." Dann erzählt er, wie einmal Menschen in einem kleinen Dorf Neruda gebeten hätten, Gedichte vorzutragen - Gedichte, die diese Bauern und Handwerker kannten und liebten. "Ardiente paciencia", sagt Skármeta, "ist auch die Geschichte eines Dichters, der sein Volk liebt - und eines Volkes, das seinen Dichter liebt.
Vor 50 Jahren: Militärputsch in Chile
03:44
Erst nachdem 1989 die Pinochet-Diktatur endet, kehrt Antonio Skármeta nach 16 Jahren im Berliner Exil nach Chile zurück. Zusammen mit seiner zweiten Frau, einer Deutschen, und den zwei jüngeren Söhnen. Die beiden älteren sind inzwischen erwachsen, sie bleiben in Berlin. Das Exil hat die Familie auf zwei Kontinente verstreut.
Rückkehr in ein gespaltenes Chile
Und die Diktatur hat aus dem Land, das seine Dichter so liebte, einen Scherbenhaufen gemacht. Auch mit den Mitteln der Kultur wollen die zurückgekehrten Exil-Chilenen wie Antonio Skármeta helfen, die Demokratie wieder aufzubauen. Denn "in den ersten Jahren war die chilenische Demokratie noch sehr instabil", erinnert sich Skármeta an die 90er-Jahre. "Es gab zwar einen demokratisch gewählten Präsidenten, aber Pinochet blieb ja zunächst militärischer Befehlshaber."Bis 1998 - im Jahr 2006 stirbt Pinochet, ohne je für die Verbrechen der Diktatur zur Rechenschaft gezogen worden zu sein.
50 Jahre Putsch in Chile
02:59
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Neben seiner Arbeit als Schriftsteller moderiert Antonio Skármeta in den 90er- Jahren eine Literatursendung im chilenischen Fernsehen und von 2000 bis 2003 kehrt er noch einmal nach Deutschland zurück: als Botschafter seines Heimatlandes in Berlin. Im Jahr 2014 bekommt Antonio Skármeta den wichtigsten chilenischen Literaturpreis, den Premio Nacional de Literatura de Chile. Wegen seiner Erkrankung kann er seine Berufung in die Jury im Folgejahr nicht wahrnehmen.
Jetzt ist Antonio Skámeta in Santiago de Chile verstorben. Der Präsident seines Heimatlandes, Gabriel Boric, schrieb auf der Plattform X: "Danke Meister, für das Leben, das du gelebt hast. Für die Kurzgeschichten, Romane und das Theater. Für das politische Engagement. Für die Bücherschau, die die Grenzen der Literatur erweitert hat."
Und der Kulturminister würdigte ihn mit den Worten: "Sein Vermächtnis und sein Engagement für die chilenische Kultur werden in jedem seiner Werke weiterleben."