Internet-Thriller "Der Circle"
14. August 2014Google, Facebook und Apple sind kleine Fische gegen den Internetgiganten "Circle", der alles in einem ist: Suchmaschine, Soziales Netzwerk und Hardware-Hersteller. Es ist der größte Internetplayer der Welt, dessen Macht bis weit in das Privatleben der Menschen reicht. Doch zunächst klingt alles erst mal ganz toll für die junge Mae Holland, die glaubt, bei dem hippen Unternehmen ihren Traumjob gefunden zu haben.
Die Mission des Unternehmens erklärt ein Circle-Mitarbeiter mit nur drei Worten: "Kommunikation, Verständnis, Klarheit". Mae wird zunächst fast erschlagen von der bis ins Detail durchdachten Firmenphilosophie: keine Geheimnisse, bedingungslose Transparenz. Ein fast gläsernes Gebäude, durchsichtige, allzeit verfügbare Mitarbeiter: Erste Eindrücke davon bekommt Mae an ihrem ersten Arbeitstag, als man freundlich alle Daten - Musik, Fotos, Nachrichten - von ihrem Notebook und ihrem Smartphone auf die firmeneigenen Geräte kopiert, mit denen sie ab jetzt arbeiten darf. Alle Daten seien selbstverständlich sicher, in der Firmencloud, und das Password sei von Circles Computern generiert worden. Schon jetzt regt sich beim Leser der berechtigte Verdacht, dass hier etwas nicht ganz koscher ist.
Doch Mae macht freudig mit, glaubt an die Vorteile der bedingungslosen Offenheit und an das, was ihr tagtäglich vorgebetet wird: Partizipation ist das oberste Gebot, lass andere an deinem Leben und Wissen teilhaben, dann bekommst du auch viel zurück.
Terror des permanenten Kontakts
Mae erfährt sehr schnell, wie wichtig es ist, für alle und jeden sofort und immer erreichbar zu sein. Da kann ein Toilettengang ohne Handy schon zur Katastrophe werden. Maes Exfreund und "analoger" Gegenpart versucht sie noch zu warnen: "Die Tools, die ihr schafft, erzeugen unnatürlich extreme soziale Bedürfnisse. Kein Mensch braucht diese Menge an Kontakt, die ihr ermöglicht. Das verbessert nichts. Es ist nicht gesund."
Sagt auch der Autor des Romans im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: "Dieser Terror des permanenten Kontakts ist das perfekte Rezept für permanente zwischenmenschliche Katastrophen." Natürlich führt die Story zu allerhand Katastrophen, nicht zuletzt durch eine winzig kleine Kamera, die alles und jeden filmt und sofort postet. Bald gibt es keine Geheimnisse mehr, jeder ist für alle überall sichtbar, wer sich diesem Terror entzieht, kommt sogar ums Leben.
Überwachung kann auch Sicherheit bedeuten
Tod, Liebe, Sex und Spannung sind literarische Bausteine, die einen Roman, auch "Der Circle", spannend machen. Ein Roman bleibt immer noch nur eine Geschichte, eine Fiktion. Bei "Der Circle" schwingt aber noch mehr mit: Die ganz reale Angst vor der Macht von Google & Co, vor dem, was vielleicht jetzt schon möglich ist, was wir aber nur vorsichtig erahnen, weil wir ganz genau wissen, dass wir selbst es sind, die den großen Internetplayern zu solcher Macht verhelfen. "Natürlich kann man sich gegen diese Entwicklung wehren", sagt der Diplom-Informatiker Stefan Ullrich. "Schließlich passiert Technik nicht einfach so, sie wird ja von Menschen eingesetzt und hergestellt. Die Frage ist jedoch, ob man sich wehren will." Für viele Menschen habe der Gedanke, ständig überwacht zu werden, etwas Tröstliches.
Ullrich, der die Fachgruppe "Informatik und Ethik" an der Berliner Humboldt-Universität leitet, interessiert eine weitere Frage, die der Roman aufwirft: Sind die technischen Spielerein, die beschrieben werden, überhaupt möglich? "Allein die Batterien der alles überwachenden 'SeeChange'-Kameras müssen zwei Jahre lang nicht gewechselt werden - phantastisch! Das Erstaunen über diese fiktiven Technologien weicht einem noch größeren, wenn man in der Wikipedia nachliest, dass es diese schon längst gibt!"
Ullrich findet Eggers Roman "ungeheuer wichtig, um gesellschaftlche Debatten anzustoßen" und glaubt, dass es dem Autor an erster Stelle um die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen geht, vor denen er warnen will.
Technischer Fortschritt wird zur Schreckensvision
"Der Circle" wird gerne im gleichen Satz wie die zwei berühmtesten literarischen Schreckensvisionen des 20. Jahrhunderts genannt: Aldous Huxleys "Schöne neue Welt", in der Menschen nach Kategorien gezüchtet und geklont werden und George Orwells Klassiker "1984". Auch in dem, Ende der 1940er Jahre entstandenen dystopischen Roman geht es um totale Überwachung. Dort ist der "Big Brother" eine autoritäre Regierung, bei Eggers ist es ein Konzern. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass die Menschen gegen die Unterdrücker in "1984" nicht kämpfen konnten. Gegen die Allmacht der Daten sammelnden Internetkonzerne und Geheimdienste jedoch können wir etwas tun: aufhören, sie zu füttern.