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Mit dem Vaporetto zur Kunst

31. Mai 2011

Die Biennale in Venedig ist die einzige Kunstschau, in der Ausstellungen nach Ländern sortiert werden. Der deutsche Pavillon hatte eine wechselvolle Geschichte. 1938 wurde er von den Nazis umgebaut und blieb seitdem so.

Fassade Deutscher Pavillon Venedig
Fassade Deutscher Pavillon Venedig

Kritiker nennen sie abfällig "nationale Käfige". Die 28 Pavillons in den Giardini, dem gartenähnlichen Ausstellungsareal der Biennale, wo alle zwei Jahre die Länder ihre "besten" Künstler ins Rennen um den Goldenen Löwen schicken. Denn in Anlehnung an die Filmfestspiele kürt auch die Kunstbiennale (4. Juni – November 2011) die Leistung der Künstler mit einem Löwen. Der deutsche Pavillon erhält beim Wettstreit der Nationen immer besonders große Aufmerksamkeit. Denn für die Künstler ist er nicht leicht zu bespielen. "Für die meisten sei er eine Belastung", sagt Ursula Zeller, die vor zwei Jahren im Auftrag des Instituts für Auslandsbeziehungen (IfA) das Buch "Die deutschen Beiträge zur Biennale Venedig 1895 – 2007" herausgegeben hat. Seit 1972 organisiert das IfA den Deutschen Pavillon.

Unbehagen der Geschichte

Blick in die GiardiniBild: Biennale 2009

An dem Unbehagen ist die Architektur des Gebäudes schuld. 1909 wurde es als dritter Pavillon auf dem Giardini-Gelände errichtet. Damals sah es ganz anders aus als heute. Der "Padiglione Bavarese" – wie er anfangs hieß - ging zurück auf eine bayerische Künstlerinitiative und glich einem antiken Tempel: mit gründerzeitlichen Säulen und Tympanon. Geplant hatte ihn der venezianische Architekt Daniele Donghi. 1912 wurde er umbenannt zum "Padiglione della Germania". Bis zum ersten Weltkrieg ging es vor allem darum, Kunstwerke zu verkaufen und an die lange Tradition Venedigs als Kunststadt anzuknüpfen. Das Standortmarketing war perfekt ausgeklügelt. Schon damals gab es eine Kooperation mit der Bahn, die verbilligte Zugtickets anbot, so dass viele Hunderttausend Besucher in die Lagunenstadt reisten.

Wuchtiger Nazi-Bau

1938 war in Venedig ein Jahr der Zäsur, dessen Auswirkungen bis heute sichtbar sind. Der Deutsche Pavillon wurde zum Manifest nationalsozialistischer Baukunst umgestaltet. Der deutsche Architekt Ernst Haiger ließ die ionischen Säulen durch mächtige Rechteckpfeiler ersetzen. "Kräftige hohe Pfeiler in Stein tragen den Vorbau und über dem Eingangstor bereitet uns das Hoheitszeichen des Dritten Reiches auf den neuen Geist deutscher Kunst vor", schrieb der Architekt im Jahr der Fertigstellung.

Ein Steinmetz hatte den Schriftzug GERMANIA gut sichtbar in die Fassade eingemeißelt. Der Parkettfußboden war durch Platten aus feinporigem Marmor ersetzt worden, der dem Bau eine kühle Weihe verleihen sollte. Im Zentralblatt der Bauverwaltung konnte man am 2. November 1938 lesen: "Das neue deutsche Kunstausstellungsgebäude in Venedig stellt nicht nur eine eindrucksvolle, vornehme und würdige Repräsentation des Dritten Reiches dar, sondern beweist auch, daß ein künstlerisch einwandfreier Rahmen das darin gezeigte Kunstgut zu gesteigerter Wirkung zu bringen vermag." Kein Geringerer als der Propaganda-Künstler Arno Breker stellte dort im selben Jahr seine Skulpturen der Öffentlichkeit vor.

Besondere Geschichte, besondere Kunst

Der von dem deutschen Künstler Hans Haacke und dem Koreaner Nam June Paik gestaltete Pavillon wurde wegen seines "transnationalen Geistes" ausgezeichnet.Bild: picture alliance/dpa

"Die außergewöhnliche Geschichte des Deutschen Pavillons hat die Künstler zu Höchstleistungen angespornt", sagt Ursula Zeller. Statt sich an dem Leistungsprinzip zu beteiligen, hätten sie versucht, "das Haus zu neutralisieren". Alle haben sich an der Nazi-Geschichte des Pavillons abgearbeitet. Joseph Beuys installierte 1976 seine legendäre "Straßenbahnhaltestelle. Ein Monument für die Zukunft", mit der er menschlichem Leiden ein Denkmal setzen wollte. Der Bildhauer Ulrich Rückriem entgegnete der Monumentalität des Innenraums mit vier gigantischen schweren Steinblöcken. Maßstäbe setzte Hans Haacke, der 1993 die Bodenplatten des Innenraums aufbrechen und als Schutt herumliegen ließ. Die Besucher stolperten über ein Trümmerfeld, in dem ihnen buchstäblich der Boden unter den Füßen entglitt.

Provokationskunst

Hannelore Reuen, Bewohnerin des "Toten Haus Ur"Bild: Gregor Schneider

2001 ging der "Goldene Löwe" an den Künstler Gregor Schneider, der wiederum an die bayerische Eigenheim-Vergangenheit des Pavillons anknüpfte. Er verwandelte den Nazi-Bau in ein Labyrinth aus verschachtelt ineinander verbauten Räumen. Dafür transportierte er Einbauten des Hauses seiner Kindheit aus der Kleinstadt Rheydt bei Mönchengladbach nach Venedig und nannte das Ganze "Totes Haus Ur", benannt nach der Unterheydenerstraße 12 in Rheydt.

Immer wieder wurden Stimmen laut, die vorschlugen, den Nazi-Bau einfach abzureißen. Im vergangenen Jahr brachte Arno Sighart Schmidt, Präsident der Bundesarchitektenkammer, die Debatte wieder in Gang, als er sich für einen Neubau des Deutschen Pavillons engagierte. "Der Pavillon", so Schmid, entspreche "so gar nicht mehr unserem demokratischen Selbstverständnis".

Christoph Schlingensief, der im vergangenen Jahr im Alter von 49 Jahren an einem Krebsleiden verstarb, sprach sich jedenfalls für den Erhalt des Pavillons aus. Leider findet die 54. Biennale ohne ihn statt. So wird das Publikum nicht erfahren, was ihm zu diesem umstrittenen Ort der Kunst eingefallen wäre.

Autorin: Sabine Oelze

Redaktion: Jochen Kürten

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