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Politik

Der Drahtseilakt von FBI-Chef Comey

Michael Knigge
3. November 2016

Seit der umstrittenen Unterrichtung des Kongresses über neue Ermittlungen im Zusammenhang mit Hillary Clintons Email-Affäre steht FBI-Chef James Comey im Kreuzfeuer der Kritik. Doch was hätte er anders machen können?

Bildkombo James Comey und Hillary Clinton
Bild: Getty Images/AFP/Y. Gripas/J. Sullivan

Wahrscheinlich schwante James Comey bereits am 2. März 2015 nichts Gutes. An diesem Tag enthüllte die New York Times (NYT), dass Hillary Clinton in ihrer Zeit als US-Außenministerin einen privaten Email-Server benutzte. Schon damals, spätestens aber als Clinton einige Wochen später offiziell ihre Präsidentschaftskandidatur erklärte, dürfte Comey klar geworden sein, dass ihm dieser Fall noch Kopfschmerzen bereiten könnte. Denn Clinton galt nicht nur als die wohl aussichtsreichste Kandidatin, sie war auch damals schon eine der umstrittensten politischen Figuren des Landes.

Nachdem Clinton bereits wenige Tage nach Veröffentlichung des NYT-Berichts die Nutzung eines privaten Servers bestätigt hatte, nahmen die juristischen Ermittlungen gegen sie erst im Sommer richtig Fahrt auf. Im August kam die offizielle Bestätigung, dass das FBI gegen die demokratische Präsidentschaftskandidatin ermittele.

Knapp ein Jahr später, am 5. Juli 2016, gab FBI-Direktor James Comey bekannt, dass seine Behörde die Untersuchung abgeschlossen habe und keinen Anlass für eine Anklage gegen Clinton sehe. Das war in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Denn es ist in den USA unüblich, dass das FBI das Ende von Ermittlungen bekannt macht, noch dazu wenige Monate vor einer umkämpften Präsidentschaftswahl und so ausführlich, wie dies Comey selbst vor der Presse tat.

Harsche Kritik - auch von Donald Trump

"In dieser außerordentlichen Situation entschied der Direktor, dass er etwas sagen musste", sagt Daniel Richman im DW-Interview. Richman ist Juraprofessor an der Columbia University und ehemaliger US-Staatsanwalt. Er kennt Comey seit drei Jahrzehnten und berät ihn: "Wenn er nur gesagt hätte, die Ermittlungen sind beendet, dann hätte der Kongress Untersuchungen eingeleitet, um herauszufinden, was er nicht erwähnt hat."

Doch vor den Kongress wurde Comey auch so zitiert. Denn die Republikaner waren entrüstet, dass der FBI-Chef trotz scharfer Kritik am Verhalten Clintons keine Klage gegen die demokratische Präsidentschaftskandidatin empfehlen wollte. Entsprechend harsch wurde der ehemalige Republikaner Comey angegangen: von seinen früheren Parteifreunden und besonders von Präsidentschaftskandidat Donald Trump. Von den Demokraten, die erleichtert über die Einstellung der Untersuchung waren, bekam er dagegen lobende Worte zu hören. Und damit, so schien es, war die Geschichte beendet.

Vor dem US-Kongress erntete FBI-Chef Comey im Juli noch scharfe Kritik von den RepublikanernBild: picture-alliance/AP Photo/C. Kaster

Doch dann zündete Comey am Freitag vor Halloween, elf Tage vor der Wahl, zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate eine politische Bombe. In einem knapp gefassten Brief an führende Kongressmitglieder erklärte er, dass seine Behörde neue Untersuchungen im Zusammenhang mit der Clinton-Email-Affäre eingeleitet habe. Ob die neu aufgetauchten Emails überhaupt relevant seien, könne er nicht sagen, ließ der FBI-Chef die Kongressmitglieder und damit die Weltöffentlichkeit wissen. Denn natürlich wurde der Brief nicht nur sofort publik, er bestimmt seitdem den Wahlkampf.           

"Ein ungeheuerlicher Machtmissbrauch"

Diesmal kam die Kritik an Comey naturgemäß am heftigsten aus dem demokratischen Lager und von Hillary Clinton. Denn mit seinem Brief hat der FBI-Chef nicht nur die eiserne Regel gebrochen, sechs Wochen vor der Wahl alles zu unterlassen, was als politische Einflussnahme interpretiert werden könnte. Vielmehr hat er damit den Wahlkampf auf den Kopf gestellt, der angeschlagenen Kampagne Trumps neues Leben eingehaucht und Clinton in die Defensive gedrängt.

Präsident Barack Obama hat das FBI kritisiert, ohne den Namen Comeys zu nennen. Er wolle sich zwar in die Vorgänge nicht einmischen, sagte Obama in einem Radiointerview. Bei Ermittlungen arbeite man aber nicht mit Anspielungen oder unvollständigen Informationen: "Man arbeitet mit konkreten Entscheidungen." Obama hatte James Coney im Juni 2013 als Chef der Bundespolizei ernannt.

Im Juni 2013 stellte Präsident Barack Obama den Republikaner James Comey als neuen FBI-Chef vorBild: Reuters

Auch zahlreiche Republikaner und viele Rechtsexperten sind aufgebracht über den Alleingang Comeys, denn dieser hatte sich - trotz Warnungen der übergeordneten Justizbehörden - entschieden, den Kongress zu informieren. "Kongressmitglieder auf den neuesten Stand der Ermittlungen über den führenden Kandidaten der Oppositionspartei zu bringen, ist ein ungeheuerlicher Machtmissbrauch", sagte Richard Painter der DW, Juraprofessor an der University of Minnesota und von 2005 bis 2007 Chefjurist für ethische Fragen im Weißen Haus: "Das ist nicht die Art und Weise, wie das FBI arbeitet, es hält Untersuchungen geheim."

Dem hält William Snyder, ehemaliger stellvertrender US-Staatsanwalt in Pennsylvania und Washington, entgegen, dass Comey sich vergangene Woche, als er den Brief verschickte, in einer außergewöhnlichen Lage befand. "Er hatte bereits vor dem Kongress ausgesagt, dass das FBI die Untersuchung der Emails von Außenministerin Clinton abgeschlossen hatte. Ich denke, dass er sich in dem Moment, als er wusste, dass es weiteres Material zu untersuchen gab und das Verfahren nicht abgeschlossen war, gezwungen fühlte, seine unter Eid abgegebene Aussage zu ergänzen."

Wer ist schuld?

Painter und viele andere lassen das nicht gelten. "Er hat sich selbst in diese Zwangslage gebracht", sagt der Jurist:"Er hat dem Kongress ein Versprechen gegeben, was er nie hätte tun dürfen: Dass er sie informiert, wenn es etwas Neues bei diesem Verfahren gibt." William Snyder sieht die Schuld dagegen beim Kongress. "Es wäre gar nicht erst zu dieser Situation gekommen, wenn der Kongress Comey nicht vorgeladen hätte", sagt er. "Ich glaube, er wollte das Richtige tun."

Für Daniel Richman, den Berater Comeys, gab es für den FBI-Chef in der ganzen Angelegenheit von vornherein wenig zu gewinnen. Sagte er nichts, würden die Ermittlungen doch früher oder später an die Presse gelangen und er würde dafür kritisiert, unter diesen außergewöhnlichen Umständen geschwiegen zu haben. Äusserte er sich jedoch, dann werde er dafür ebenfalls wegen politischer Einflussnahme kritisiert.

"Seine Agenda ist, die Integrität und die Glaubwürdigkeit das FBI zu schützen", sagt Richman: "Es ist ein extremer Drahtseilakt, über den sich der derzeitige wie auch frühere Direktoren stets den Kopf zerbrechen."

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