Der Drogenzar und sein Hofmusikant
2. Dezember 2013Der blutende Stier fixiert das rote Stofftuch, senkt seine Hörner, scharrt mit den Hufen. Dann läuft er los. Eine elegante Ausweichbewegung des Toreros. Der Angriff des wütenden Tieres geht ins Leere. Dann sticht der Torero zu. Der Stier fällt. Die Menge jubelt.
Es ist Wochenende. Die Stierkampfarena von Medellin ist gut gefüllt. Der Zuckerrohrschnaps fließt in Strömen. Auf der Empore sorgen Danilo Jimenez und seine Band Marco Fidel Suarez mit traditioneller Blasmusik für Stimmung. Bis zu diesem Moment ist es ein guter Tag für die Musiker.
Dann verlassen Jimenez und seine Kollegen die Arena. Plötzlich eine ohrenbetäubende Explosion. Eine Rauchwolke verdunkelt den Himmel. Splitter fliegen durch die Luft. Menschen schreien um Hilfe. Überall liegen zerfetzte und verkohlte Körper. Jimenez fasst sich an den Kopf. Er blutet aus einer klaffenden Wunde. Dann verliert er das Bewusstsein.
Jimenenz' Hirn wird schwer geschädigt. Die nächsten Jahre verbringt er in einem Dämmerzustand: "Ich bin nur ganz langsam ins Leben zurückgekehrt. Das war, als ob ich aus einem Traum aufwachen würde."
25 Menschen wurden bei dem Anschlag im Februar 1991 getötet - darunter auch drei Musiker. Auch Jimenenz' Frau Gabriela wurde schwer verletzt. 2007 starb sie an den Spätfolgen. Der Schuldige ist für den Musiker Jimenez klar: "Pablo Escobar. Es waren viele Polizisten vor der Arena. Die wollte er töten. Pablo zahlte Kopfgeld für jeden ermordeten Polizisten. Die anderen Opfer waren ihm egal."
Terroroffensive gegen den Staat
Damals hatte Escobar dem Staat den Krieg erklärt. "Wir müssen für das absolute Chaos sorgen, für den totalen Bürgerkrieg", wütete Escobar in einem von der Polizei mitgeschnittenen Telefongespräch mit anderen Drogengangstern. "Dann werden sie uns um Frieden bitten."
Das Ziel der Terroroffensive: ein Auslieferungsverbot. Nichts fürchtete der Boss des Medellin-Kartells, das damals rund 80 Prozent des weltweiten Kokain-Handels kontrollierte, mehr als die Überstellung an die Vereinigten Staaten.
Escobar lässt Politiker, Richter und Polizisten ermorden, sprengt ein Passagierflugzeug in die Luft, platziert Bomben vor Regierungsgebäuden. Tausende sterben. Der Terror zeigt Wirkung. Der Staat verbietet die Auslieferung. Escobar ist zufrieden.
Im Juni 1991 erklärt er auf einer Pressekonferenz, dass er sich der Justiz stellen will: "Nach sieben Jahren der Verfolgung, der Verletzungen und Kämpfe werde ich nun so lange wie notwendig ins Gefängnis gehen, um zur Befriedung meines geliebten kolumbianischen Vaterlandes beizutragen."
Kolumbien atmet auf. Escobar bekommt ein Privatgefängnis. Sein Name: La Catedral. Errichtet nach den Plänen des Drogenbarons. Ausgestattet mit allem erdenklichem Luxus. Bewacht von Escobars Männern. La Catedral wird die neue Schaltzentrale des Medellin-Kartells. Hier werden Besucher empfangen und Gegner ermordet. Bis es der kolumbianischen Regierung zu viel wird.
Flucht aus dem Privatgefängnis
Doch Escobar ist wie immer gut informiert. Im Juli 1992, noch bevor die Behörden ihn wie geplant verlegen können, flieht der Mafiaboss. Es ist der Beginn einer beispiellosen Menschenjagd. Beteiligt sind neben der kolumbianischen Polizei auch die US-Anti-Drogenbehörde DEA und die CIA. Gleichzeitig dezimiert ein Killerkommando verfeindeter Drogenhändler mit Unterstützung der Polizei das Medellin-Kartell. Immer weiter wird Escobar in die Enge getrieben.
Ein Anruf bei seiner Frau und seinen Kindern wird dem Familienmenschen Escobar zum Verhängnis. Die Polizei ortet ihn in einem Gebäude in der Innenstadt Medellins. Bei der Festnahme wird der 44-Jährige erschossen. Es ist der 2. Dezember 1993. Escobars Gegner feiern.
Doch in den allgemeinen Jubel über das Ende des Drogenbarons mischt sich auch Trauer. Bei Escobars Begräbnis in seiner Heimatstadt Medellin drängen sich Tausende seiner Anhänger um den Sarg, wollen ihrem Helden die letzte Ehre erweisen. Denn: Escobar hatte für die Armen gespendet, Häuser für die Bewohner einer Müllkippe errichtet, vielen Menschen Arbeit gegeben.
Musik für den Boss der Bosse
Auch der Musiker Danilo Jimenez profitierte über viele Jahre von Escobar. Immer wieder spielten er und seine Band bei Veranstaltungen und privaten Partys des Mafiabosses. "Wenn wir es nicht getan hätten, hätten es andere gemacht", sagt der inzwischen 75-Jährige. "Damals gab es hier viel Geld. Das hat alle angezogen, alle wollten gut leben, von Pablo profitieren. Jeder wusste, was Pablo gemacht hat."
Der Drogenbaron war einer der reichsten Männer der Welt. Die Erlöse aus dem Drogenhandel flossen auch in die legale Wirtschaft. "Pablo Escobar hatte die ganze Stadt, das ganze Land infiltriert", sagt die Sozialwissenschaftlerin Alejandra Echeverri von der Universität Medellin. "Jeder hier kennt jemanden, der etwas mit dem Drogenhandel zu tun hatte." Auch Echeverri: Ihre Tante war Sekretärin bei einem Cousin Pablo Escobars.
Die Verbindungen zwischen der Mafia und weiten Teilen von Wirtschaft und Gesellschaft wurden nie wirklich aufgearbeitet. Nach Escobars Tod begann eine Etappe der Verdrängung. Auf den ersten Blick hat sich Medellin verändert, die Stadt ist sicherer geworden, hat viel Geld in die Infrastruktur gesteckt. Ausländische Unternehmen investieren, der Tourismus boomt.
Doch die Kultur der Drogenhändler, sagt Echeverri, sei noch immer präsent: "Die Geschichte wiederholt sich. Pablos kleine Killer sind heute die Bosse der Gangs. Drogenhandel, Korruption, die Logik des Überflusses, des schnellen Geldes – all das gehört immer noch zum Alltag." Besonders für die junge Generation in den Armenvierteln, so Echeverri, sei Pablo Escobar noch immer ein Mythos.
Und Kolumbien? Das Land ist auch 20 Jahre nach dem Tod Escobars der weltgrößte Kokainexporteur. Ein Geschäft, an dem viele mitverdienen. Der Musiker Danilo Jimenez aber bereut schon lange, dass er sich damals mit einem Drogenbaron wie Pablo Escobar eingelassen hat. "Er hat uns praktisch das Leben genommen. Aber ich habe ihm verziehen. Ich fühle keinen Hass. Hass macht einen kaputt. Gott hat über ihn gerichtet."