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Politik

Der "Dschungel" von Brüssel

Daniel Derya Bellut
27. September 2017

Die Schaltzentrale der Europäischen Flüchtlingspolitik ist in Brüssel. Ausgerechnet hier gibt es einen Ort, an dem sich die negativen Auswirkungen dieser Politik zeigen. Daniel Bellut berichtet aus dem Parc Maximilien.

Dschungel von Brüssel Parc Maximilien in Brüssel
Bild: DW/D.Bellut

Der Park im Norden Brüssels könnte viel Wärme versprühen - in einem kühlen Geschäftsviertel, wo sich karge Büro-Türme in die Luft recken. Denn der Park Maximilien ist ein liebevoll gestalteter Park mit weiträumigen Wiesen, satten Bäumen, Kletterburgen und bunt verzierten Schaukeln. Doch auch das gehört dazu: Seit ein paar Jahren ist der Park Rückzugsort für illegale Einwanderer aus Afrika. Sie befinden sich auf der Durchreise nach Großbritannien. Die Flüchtlinge, überwiegend aus dem Sudan, Eritrea und Äthiopien, nächtigen hier unter elenden Verhältnissen: Eine Hundertschaft liegt unter einem Dachvorsprung vor einer Garage. Nebst Karton-Fetzen und Plastikverpackungen sind sie dichtgedrängt in abgenutzte, feucht-glänzende Schlafsäcke gewickelt. Es liegt ein beißender Uringeruch in der Luft.  Andere haben den nass-kühlen Tag bereits begonnen. Ein paar Jugendliche bolzen gelangweilt einen platten Fußball über den Park, andere waschen sich unter dem eiskalten Wasser einer Fontaine. Die Stimmung ist gedrückt, die meisten jungen Afrikaner sitzen konsterniert auf Stufen und Parkbänken, starren mit müdem Blick ins Leere. Immerhin: Das Wetter klart auf. Ein paar nutzen die Gelegenheit, um ihre durchnässten Klamotten auf Zäunen zu drapieren und von der Sonne trocknen zu lassen.

Razzien, Epidemien und Schlafentzug

Bild: DW/D.Bellut

Ich treffe mich mit Nabil Moujahid. Er ist ein marokkanisch-stämmiger Mann, Anfang 30. Er wohnt um die Ecke und versucht jeden zweiten Tag den Leuten zu helfen. Energisch wirbelt er durch den Park, scheint hier jeden der jungen Männer zu kennen. Mit seinen Arabischkenntnissen ist er Dolmetscher und wichtiger Kommunikator, denn die meisten Migranten sprechen weder englisch noch französisch. "Du hast noch gar nichts gesehen" sagt er aufgeregt. "Die Menschen hier sind vollkommen fertig. Die hygienischen Verhältnisse sind desaströs, schon mehrfach ist hier die Krätze ausgebrochen. Hinzu kommt eine permanente Übermüdung, denn fast jeden Morgen kommt es zu Polizei-Razzien und dann müssen alle fliehen."

Mit Härte gegen illegale Einwanderung

Der Parc Maximilien ist schon seit einiger Zeit im Fokus der belgischen Öffentlichkeit. Der Staatssekretär für Asyl und Migration Theo Francken geht mit harter Hand gegen die Einwanderer vor. Weil die Flüchtlinge hier im Park nicht Asyl beantragen wollen, sondern nur auf der Durchreise sind, duldet er sie nicht. Am Dienstag twitterte er schroff: "29 Sudanesen ohne Probleme in das erste Dublin-Land zurückgeschickt."  

Eine Woche zuvor twitterte er nach einer Razzia mit einigen Festnahmen, er werden den Park weiter "säubern". Die Opposition warf ihm gar "Nazi-Methoden" vor. Denn es wurde öffentlich, dass der Staatsminister sudanesische Beamte zur Identifikation und Abschiebung von Flüchtlingen einsetzt. Nabil glaubt, dass die Geschichte von den sudanesischen Beamten nur ein Gerücht ist. "Was hier abläuft, ist doch alles eine 'Strategie der Angstmacherei'. Die Polizei überfällt das Lager morgens, sie nehmen ein paar Leute fest, diese werden dann ein paar Stunden auf dem Kommissariat festgesetzt und dann wieder freigelassen. Ich glaube diese Panikmache ist sehr effektiv."

Um jeden Preis nach Großbritannien

Am Eingang des Parks baut eine ältere, freundlich dreinblickende Dame einen Stand zur Essensausgabe auf. Doch dann fährt plötzlich auf der anliegenden Straße, ungefähr hundert Meter entfernt, ein Polizeiwagen vorbei. Mit finsterer Miene folgen die Blicke der jungen Afrikaner dem blau-weißen Wagen, bis er endlich verschwunden ist. Ihr Misstrauen gilt auch neugierigen Journalisten. Sie sehen jedoch, dass Nabil dabei ist und gewinnen langsam Vertrauen. Nach einer Weile sprudelt es aus ihnen nur so heraus. Ein Jugendlicher aus Khartum klagt: "Da wundern die sich noch, dass wir hier kein Asyl beantragen. Schau doch, wie die Polizei hier mit uns umgeht. Hier sind wir doch gar nicht willkommen." In Italien habe man sie noch in Ruhe gelassen, fügt er hinzu. 

Es bildet sich allmählich eine Traube um uns herum. Es geht um die Frage, warum so viele Menschen die ganzen Strapazen auf sich nehmen, um nach Großbritannien zu gelangen? Die Aufnahmequoten für Flüchtlinge aus Afrika sind in Belgien erfolgsversprechend -  90 Prozent für Eritreer und 76 Prozent für Sudanesen, wende ich ein und möchte wissen: Warum wollen nur wenige in einem wohlhabenden Land wie Belgien Asyl beantragen? Einer antwortet: "In Großbritannien haben wir bessere Chancen auf ein gutes Leben. Dort sind bereits viele Freunde, es gibt dort eine große sudanesische Gemeinde, außerdem ist es viel einfacher, schwarz zu arbeiten." Ein anderer Sudanese klingt sich hektisch in das Gespräch ein: "Die Erfolgschancen auf Asyl sind dort viel höher". Nabil schüttelt genervt den Kopf und entgegnet der Gruppe: "Ihr seid falsch informiert, hier sind die Chancen größer."

Das Dublin-Verfahren hakt 

Nur ein paar Kilometer vom Park entfernt, liegt das Machtzentrum der EU. Dort werden die Weichen der europäischen Migrationspolitik gestellt: Nach dem Dublin-Verfahren müssten die Migranten in dem Land registriert werden, wo sie zum ersten Mal europäischen Boden betreten. Dann wird ein Asylverfahren eingeleitet. In der Wartezeit - die mehrere Jahre betragen kann - erhalten die Asylbewerber eine Unterkunft sowie Verpflegung. Sobald ein Asylantrag akzeptiert wird, könnte theoretisch ein anders EU-Land wie Großbritannien das Asyl übernehmen. Die Chancen sind jedoch sehr gering, selbst wenn sich Familienangehörige bereits in diesem Land aufhalten. Wenn man in Brüssel mit den Leuten spricht, bekommt man einen adäquaten Eindruck von den Schwächen des Systems. Die Flüchtlinge in Belgien wurden in Italien nicht registriert, sondern in die Nachbarländer durchgewunken. Außerdem scheint das System nicht auf diejenigen Flüchtlinge ausgelegt zu sein, die sich aus wirtschaftlichen oder familiären Gründen, ein europäisches Land aussuchen möchten.

Flüchtlinge im Parc Maximilien in BrüsselBild: DW/D.Bellut

Die Menschenansammlung wird plötzlich in Aufruhr versetzt. Ein junges Mädchen aus Eritrea eilt herbei. Sichtlich gerührt verkündet sie: "Sie hat es geschafft". Sie stellt den Lautsprecher ihres Handys auf laut. Jetzt ist ihre Freundin für alle zu hören: Sie erzählt, wie sie sich auf einen Laster geschmuggelt habe und dass sie bereits in London sei. Die anderen freuen sich für sie, stellen aufgeregt Fragen: "Wie ist es dort?" "Hast du schon Arbeit?" "War die Überreise gefährlich?". Die Nachricht verbreitet sich schnell im Parc Maximilien und die Stimmung unter den Einwanderern heitert sich schlagartig auf. Einige der jungen Afrikaner lächeln in sich hinein. Beseelt trotten sie zur Essensausgabe - es gibt warme Suppe.  

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