Der dunkle Anfang globaler Lieferketten
24. Juli 2014 Die Handys glänzen frisch und neu, die Modeschäfte sind hip und immer gut gefüllt und die Shrimps auf den Tellern lecker und knusprig. Schaut man aber ganz an den Anfang der Hochglanz-Produkte, schaut man in die Minen, wo die Rohstoffe fürs mobile Telefonieren abgebaut werden, auf die Felder, wo Baumwolle angebaut wird oder auf die Schiffe, auf denen Seeleute die Meeresfrüchte aus ihrem Element ziehen, dann kann einem schnell die Lust am Konsum vergehen.
Jüngst hat die englische Zeitung Guardian die Öffentlichkeit mit einem Bericht schockiert, bei dem es um Sklaverei in der Fischereiflotte in Thailand ging. Es war ein Bericht über die Arbeitsbedingungen in einer der größten Flotten der Welt, die einem die Haare zu Berge stehen lassen. Die dort gefangenen Fische werden zu Fischmehl verarbeitet, an Shrimps verfüttert, die dann am Ende auf europäischen Tellern landen. Lecker und knusprig. Von den Menschenrechtsverletzungen bekommt der Konsument nichts mit.
Qualitätskontrollen immer möglich
Das sind die unschönen Nebenwirkungen unserer globalisierten Welt. Alles muss jederzeit verfügbar sein, und das noch zu günstigen Preisen. "Die Unternehmen haben ihre Wertschöpfungsketten immer kleiner zerlegt, um hier und dort einen halben, einen Zehntel oder nur einen Achtel Cent zu sparen", beklagt Friedel Hütz-Adams. Er arbeitet beim Südwind in Siegburg, einem Forschungsinstitut, das sich nach eigenen Angaben "für eine gerechte Weltwirtschaft" einsetzt.
Aber sind solche Lieferketten überhaupt zu kontrollieren? Wie sollen beispielsweise deutsche Unternehmen noch nachvollziehen, ob der Zulieferer vom Zulieferer vom Zulieferer die Menschenrechte achtet? Die Kontrolle aller vorgelagerten Lieferanten könnte eine riesige Kostenlawine für die Unternehmen bedeuten, fürchtet die Wirtschaft.
Hütz-Adams hält dagegen. Wenn es um die Qualität gehe, würden Unternehmen meist keine Kosten scheuen. Wenn beispielsweise eine deutsche Kommune in China oder Indien eine große Menge Pflastersteine für einen Platz bestellt, dann würde jemand in den Steinbruch fahren und Tests mit diesen Steinen machen. "Wie reagieren die auf Frost? Was ist mit Rotweinflecken? Was ist mit den Rillen und Stöckelschuhen? Wie reagieren die, wenn Kaugummi drauf kommt? Verfärben die sich, wenn sie nach Frost mehrfach Salz gezogen haben?" Es seien solche "ganz banalen" Fragen, die von Produzentenseite geklärt würden, so Hütz-Adams. "Wenn sie aber die gleichen Unternehmen, die diese Test machen lassen, fragen: 'Wie sind die sozialen Bedingungen vor Ort?', dann sagen die, 'Das wissen wir nicht'." Dabei sei es nichts Neues, dass in vielen Steinbrüchen oft Kinder die Arbeit verrichten.
Gesetzliche Regelung nötig
Es geht also darum, welche Interessen Unternehmen haben, bestimmte Dinge zu überprüfen. Solche Interessen können natürlich auch über die Gesetzgebung beeinflusst werden. Beim Thema 'Qualität' ist man in den Industrieländern viel sensibler als beim Thema 'Sozialstandards in weit entfernten Ländern'.
"Wenn sie heute eine Tafel Schokolade kaufen und nachweisen, dass da gesundheitsschädliche Aflatoxine drin sind und dass der Hersteller davon gewusst hat, dann können sie den Hersteller verklagen," so Hütz-Adams. "Wenn der gleiche Hersteller seinen Kakao aber so billig anbieten kann, weil er in seiner Kette die Preise so gedrückt hat, dass überall Kinder arbeiten, dann können sie nur sagen: 'Bitte lassen sie das sein!'" Daher plädiert Hütz-Adams für eine europaweite gesetzliche Regelung, die Unternehmen auch für die Arbeitsbedingungen in ihren vorgelagerten Lieferketten verantwortlich macht.
Kontrolle bis zum Anfang ist möglich
Bei Nestlé achtet man nach eigenen Angaben auf die Lieferketten. Grundsätzlich würden alle direkten Lieferanten daraufhin überprüft, dass sie die einschlägigen Arbeits- und Umweltstandards einhalten, erzählt Nestlé-Sprecher Achim Drewes. "Bei zwölf Rohstoffgruppen, bei denen es ein besonderes Risiko gibt, dass solche Standards nicht eingehalten werden, schaut Nestlé noch genauer hin und untersucht die komplette Lieferkette bis hinein in die Anbauregionen."
Dafür würden zusammen mit dem Lieferanten sogenannte Responsible Sourcing Programme durchgeführt, in denen besonders auf die Risiken der jeweiligen Warengruppe geschaut wird. Bei Kakao kann das etwa Kinderarbeit auf den Plantagen sein und bei Soja die Abholzung von Regenwald. Im Anschluss werden dann gegebenenfalls Verbesserungsmaßnahmen auf den Weg gebracht. "Da gehen wir über die Stufe der direkten Lieferanten also deutlich hinaus."
Auch die Kosten für die umfassendere Kontrolle der Lieferketten sind tragbar. "Durch die Maßnahmen, die wir gemeinsam mit den Zulieferern umsetzen, haben wir eine bessere Qualität und weniger Ausschuss", so Drewes. "Unsere Partner sind zuverlässiger und wir können gezielt Anreize setzen, die sich bei uns wiederum in Kosteneinsparung oder Qualitätssteigerung niederschlagen." Kurzfristig könne der Aufwand höher sein, "langfristig ist es ganz klar von wirtschaftlichem Interesse für uns als Abnehmer, dass wir möglichst direkte und vor allem transparente Lieferketten haben."
Trotz Kontroll-Programmen - nach dem Bericht des Guardian hat auch Nestlé besorgt überprüft, ob von den betroffenen Fischern aus Thailand Rohstoffe bezogen werden. "Eine 100-prozentige Sicherheit kann man für die kompletten vorgelagerten Lieferketten nicht erreichen", so Drewes. Daher sei es wichtig, Verantwortung für die Lieferketten zu übernehmen und, wenn Missstände auftreten, diese zu beseitigen.
Verantwortung zu übernehmen heiße aber auch, unübersichtliche Lieferketten wieder übersichtlich zu machen und im Zweifel zu kürzen, meint Hütz-Adams. "Bei 20 Kettengliedern, etwa von den Shrimps bis zum Supermarkt, kann an vielen Stellen gepfuscht werden."
Kontrolle lohnt sich auch aus wirtschaftlicher Sicht
Eine wirkliche Ausrede, die Lieferketten nicht transparent zu machen, gäbe es nicht, sagt Lars Immerthal, Experte für "Supply Chain Management" bei der Unternehmensberatung KPMG. Die Prozesse könnten so gestaltet werden, dass jeder Standard nachprüfbar ist. Und daran sollten Unternehmen seiner Meinung nach auch ein Interesse haben.
Viele Firmen glaubten, mehr Transparenz würde hauptsächlich Kosten verursachen und außer einem moralischen Bewusstsein nichts einbringen, so Immerthal. Das sei aber ein Trugschluss. Die Unternehmen, die Transparenz pflegen und ihre Lieferkette im Griff hätten, würden auch besser am Markt bewertet, weil sie ihre Kosten besser managen könnten. Es lohne sich daher auch unabhängig von der Moral, aus rein marktwirtschaftlicher Perspektive, die Lieferkette genau zu kontrollieren.