1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kreativagentur mit eigenem E-Mail Knigge

19. Februar 2011

Wer ist nicht auch manchmal im Cyberdschungel zwischen E-Mails, SMS und Facebook verloren? Immer mehr Menschen sagen radikal: "Ich bin jetzt mal offline". Einige verordnen sich sogar einen Cyber-Knigge: Weniger ist mehr.

E-Mail Knigge auf Computertastatur (Foto: Richard Fuchs)
Erst Telefon, dann Fax, E-Mail und Twitter. Wo bleibt die Zeit zum Arbeiten?Bild: Richard Fuchs

Werbung ist ein hartes Geschäft, gute sind Ideen rar. Beides sind treue Wegbegleiter von Matthias Spaetgens. Der 37-Jährige ist Kreativ-Direktor bei "Scholz & Friends" in Berlin, einer Agentur für Werbung und Imagekampagnen. Er arbeitet in einem spartanisch eingerichteten Büro im Hinterhof eines alten Backsteinfabrikgebäudes. Eine E-Gitarre lehnt an der Wand, große weiße Stehwände mit Plakaten davor, auf seinem Schreibtisch ein zugeklappter silberner Laptop. "Gerade eine Werbeagentur lebt von Ideen", sagt er und weiß genau: Es wird immer schwieriger, die nötige Ruhe dafür zu finden, "neue Werbeideen auszuhecken".

Ideen entstehen nur beim Quasseln


Spaetgens ist bewusst offlineBild: Scholz Friends Werbeagentur

Als Konzentrationskiller schlechthin hat Spaetgens E-Mails ausgemacht. "Je nachdem wie man seinen Rechner eingestellt hat, macht es am Tag halt 100 Mal Bing im E-Mail Postkasten". Er zitiert wissenschaftliche Studien, denen zufolge jede E-Mail dem kreativen Geist erst einmal mindestens eine Viertelstunde die Konzentration raubt. Würde er alle seine E-Mails sofort beantworten, es hätte wohl nie eine Werbekampagne sein Berliner Büro verlassen.

"Ideen entstehen nur dann, wenn man miteinander spricht und sich konzentriert", sagt Spaetgens. Weshalb er sich auch regelmäßig mit einem Kollegen davonstiehlt, um in einem Konferenzraum ohne Türschild und Internetanschluss "bewusst auch ein paar Stunden mal offline zu sein".

Ruhe vor dem digitalen Ansturm

Einfach mal offline sein - mit diesem Wunsch ist er nicht allein. Selbst der scheidende Google-Chef Eric Schmidt musste bei seinem jüngsten Deutschlandbesuch in Berlin eingestehen. "Was da alles auf einen hereinbricht, E-Mails, Telefonate, SMS, Twitter und Status Updates bei den sozialen Netzwerken, ich weiß am Ende nicht mehr, worauf ich mich eigentlich konzentrieren soll." Zwar ist Schmidt überzeugt, dass seine größte Suchmaschine der Welt genügend Ordnung ins digitale Dickicht bringt, um darin zu überleben. Doch machen sich nicht wenige auf, das Internet ganz zu verlassen.

"Strom aus - Leben an" rufen manche Aktivisten süffisanterweise im Internet und planen Mund-zu-Mund-Kampagnen gegen den Cyberwahn, gegen die Benutzung digitaler Kommunikationsmedien in Echtzeit.

Emails hätten beim Ertüfteln dieser Werbekampagne gestörtBild: Scholz Friends Werbeagentur

Cyber-Auszeit muss geplant sein

Ralf Heinrich ist da vorsichtiger. Er ist wie Spaetgens Kreativer und will es einfach mal mit ein bisschen "offline" versuchen. "Der Gedanke ist gereift und ich werde es schaffen", schreibt er in einem seiner Blogeinträge. Der selbstständige Werbefachmann für soziale Netzwerke aus Bühl bei Baden-Baden plant einmal im Monat einen Tag komplett offline zu verbringen. Das sei schon deshalb knifflig, sagt er bei einem nicht-virtuellen Telefongespräch, weil 90 Prozent seiner Werbekampagnen sich nur virtuell verbreiten lassen. Gerade weil er seine Botschaft durch Echtzeitmedien lancieren würde, könne er nicht nur ein paar Mal am Tag ins Netz, sondern klebt quasi darin fest.

"Damit es mit dem geplanten Offline-Tag wirklich klappt, muss ich mich online gut vorbereiten, weil an dem Tag dann einfach viel wegfällt", räumt er beinahe ein wenig vorwurfsvoll gegenüber sich selbst ein. Ralf Heinrichs Anrufbeantworter in jedem Fall frönt schon heute Offline-Tugenden. Darauf ist zu hören: "Hinterlassen Sie einfach eine Antwort hier auf dem Anrufbeantworter. Das ist zwar ziemlich analog, aber effektiv."

Mit E-Mail Knigge zum ordentlichen Netzbürger

Erst denken, dann virtuell handelnBild: Richard Fuchs

Matthias Spaetgens glaubt nicht an Internetverzicht. Das Einzige was es zu Erreichen gelte sei ein "Konzentrationsgewinn". "Ganz offline" wurde von ihm und Kollegen deshalb die Idee geboren, E-Mails nicht abzuschaffen, sondern sie zu bändigen. So entstand mit dem betriebsinternen "E-Mail-Knigge" mit dem Untertitel "Warum Immanuel Kant keine E-Mails schreibt" ein Buch zum richtig dosierten Umgang mit der elektronischen Post. Spaetgens erinnert sich an das gemeinsame Brainstorming zum Buch, dass bei manchem voller Verwunderung in Erinnerung rief, dass Kant besonders gute Ideen ganz und gar ohne E-Mails verbreitete. Deshalb steht im E-Mail Knigge eine Liste von Regeln, die mit selbstironischem Blick, den Homo Digitalis auf althergebrachte Tugenden einschwören.

"E-Mail aus, Gehirn an", Spaetgens lebt diese Regel, weil er den Arbeitstag inzwischen nicht mehr mit dem Abrufen von E-Mails beginne, sondern mit dem Schmieden von Plänen. Erst nachmittags macht er sich dann an deren Beantwortung, stets der Regel bewusst, dass nicht gesendete E-Mails gute E-Mails seien. "Wenn einem keine prägnante Betreffzeile für eine E-Mail einfällt, dann ist es oft ein Zeichen dafür, dass der Inhalt gar nicht so wichtig ist."

E-Mailen wir noch oder arbeiten wir schon?

Ein frommer Wunsch für den Homo DigitalisBild: Richard Fuchs

Doch das Suchtpotential ist hoch, der im Cyberwahn gefangene Internet- und Mobiltelefon-Nutzer ein Gefangener seiner selbst. Mit Selbstironie beobachtet Spaetgens regelmäßig nach der Landung eines Fliegers die gleiche Szene: "Wie die Drogenabhängigen suchen alle hektisch nach ihrem Smartphone, um sofort ihre E-Mails zu checken." Weshalb im E-Mail Knigge nicht zu unrecht vermerkt sei, dass "eine E-Mail nicht binnen 980 Millisekunden beantwortet sein muss". Der Kreativ-Direktor behält sich vor, seinen digitalen Postkasten nur ein, zwei, höchstens drei Mal am Tag zu leeren.

"Warum jede E-Mail sofort beantworten?", fragt der E-Mail Knigge den Leser vorwurfsvoll: "Unser Gehirn ist für Größeres gemacht". Ohnehin sind die digitalen Benimmregeln der Werber ein Plädoyer für das persönliche Gespräch, denn nichts führe zu so vielen Missverständnissen wie E-Mails an unbändig große Verteilerlisten. "Nur wenn man sich gegenüber sitzt, dann werden die Nuancen sehr schnell deutlich, wie man das meint. Mit E-Mails bekommen die Leute schnell mal was in den falschen Hals."

Trotzdem kann es sich auch Spaetgens nicht verkneifen, Besuchern beim Abschied den Hinweis zu geben: "Wenn noch Rückfragen sind, melden Sie sich, gerne auch per E-Mail."

Autor: Richard A. Fuchs
Redaktion: Nicole Scherschun

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen