Der endlose Krieg im Ostkongo
7. April 2014"Kikuny" oder auch einfach "der Jurist" lässt sich der Mann nennen, der die Raia Mutomboki anführt. Übersetzt heißt das: das wütende Volk. Um zu demonstrieren, was hinter dem Namen dieser Miliz mit Ablegern in vielen Dörfern im Osten des Kongo steckt, präsentiert Kikuny eine Reihe menschlicher Schädel.
Er stamme aus einem kleinen Dorf, das schon drei Mal von der Hutu-Miliz Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas (FDLR) niedergebrannt wurde, beginnt Kikuny zu erzählen. Zahlreiche Einwohner hätten die Kämpfer aus dem Nachbarland Ruanda getötet. Da niemand die lokale Bevölkerung vor den marodierenden Milizionären geschützt habe, hätten sie zur Selbstverteidigung die Raia Mutomboki aufgestellt. Die Schädel der Opfer hütet der Chef der Miliz als Beweis der Verbrechen der FDLR und als Rechtfertigung für seinen Aufstand.
"Wir zeigen diese Gebeine der internationalen Gemeinschaft, um ihnen die Wahrheit zu veranschaulichen", sagt Kikuny. Ruandas Präsident Paul Kagame habe doch auch allen Besuchern seines Landes die Gebeine und Schädel der Opfer des Genozids von 1994 präsentiert, um zu zeigen, was diese Völkermörder in ihrem Land angerichtet haben. "Wir zeigen jetzt auch die Schädel unserer Opfer, denn wir haben das Palaver satt. Die Internationale Gemeinschaft muss verstehen, dass wir Gründe haben, uns aufzulehnen. Sonst werden sie uns alle töten", sagt Kikuny.
FDLR: die Miliz der Täter aus Ruanda
Mit Millionen Ruandern, die 1994 im Zuge des Genozids über die Grenze in die Demokratische Republik Kongo, damals Zaire, flüchteten, kam auch der Krieg in das Nachbarland. Die FDLR, eine Miliz, in der sich viele Täter des Völkermords neu organisierten, ist einer der Hauptgründe, warum dieser Krieg auch nach 20 Jahren im Ostkongo weitergeht, während in Ruanda selbst längst Frieden herrscht.
Die Flüchtlingslager im Ostkongo sind immer noch restlos überfüllt. Allein in der Provinz Nord-Kivu sind derzeit mehr als eine Million Menschen auf der Flucht. Manche Familien hausen seit Jahren in Lagern im Elend, abhängig von Lebensmittelspenden, weil sie nicht in ihre Dörfer zurückkehren können, um ihre Äcker zu bestellen. Fragt man die Kongolesen, welche Bedrohung sie in ihren Dörfern fürchten, dann erwähnen sie stets die FDLR.
Jeremi Hangi ist der Sprecher der Vertriebenen im Lager von Minova im Ostkongo. Er berichtet vom Krieg in seinem Heimatdorf. "Was in unserer Heimatregion in Masisi den Krieg immer wieder entfacht, ist die Präsenz der FDLR. Es wird Zeit, dass sie endlich in ihre Heimat Ruanda zurückgehen, sonst werden wir Kongolesen niemals in Frieden leben", sagt Hangi.
Heimatlose Rebellenkinder
Die FDLR besteht aus rund 1000 Kämpfern. Doch sie beschützen bis heute rund 20.000 ruandische Hutu-Flüchtlinge, meist Frauen und Kinder der Kämpfer. Die FDLR fühlt sich als deren Schutzmacht. Um diese Flüchtlinge zu ernähren, plündern die FDLR-Kämpfer immer wieder Dörfer, beschlagnahmen die Ernten der Kongolesen oder vertreiben sie von ihrem Land.
Gegen diese Terrorherrschaft wehren sich die Kongolesen. Zuerst waren es nur die kongolesischen Tutsi, die sich gegen die radikalen Hutu mit Waffengewalt wehrten. Mittlerweile, nach 20 Jahren Besatzung, gibt es fast in jedem der betroffenen Dörfer einen Ableger der Raia Mutomboki.
Einem Volksaufstand gleich zogen abertausende Kämpfer in den vergangenen Jahren durch die Dörfer des Ostkongo, um die FDLR zu jagen. Was Anführer Kikuny nicht erzählt: Seine Leute begingen dabei auch grausame Verbrechen an den FDLR-Angehörigen. Sie schlachteten deren Frauen und Kinder mit Macheten ab.
Die FDLR-Kämpfer sind seitdem mit ihren Familien auf der Flucht. Kraft, einen neuen Krieg gegen ihre Heimat Ruanda zu führen, haben sie längst nicht mehr. Dennoch beharre die Hutu-Miliz auf Verhandlungen mit Ruandas Tutsi-Regierung, sagt FDLR-Kommandeur Oberst Stany: "Das Regime in Ruanda bezeichnet uns als Völkermörder und Terroristen. Das ist reine Propaganda. Wir wollen als Ruander betrachtet werden wie alle anderen auch. Doch die Welt hat uns vergessen", sagt Stany.
Die UN machen ernst
Er stellt seine Miliz selbst als Opfer dar: Die Bezeichnung Völkermörder habe dazu geführt, dass die UN, das Welternährungsprogramm, das UN-Flüchtlingshilfswerk und all die anderen Hilfsorganisationen die ruandischen Hutu-Flüchtlinge nicht versorgen. Die Kinder der FDLR wachsen seit über 18 Jahren im Kongo auf. Sie können keine Schulen besuchen. Sie kennen ihre Heimat Ruanda nicht. Stany klagt: "Wir sind aber keine Untermenschen. Wir haben auch ein Recht, an der Entwicklung unseres Landes teilzunehmen."
Die FDLR hat mehrfach versucht, mit Ruandas Regierung zu verhandeln - vergeblich. Auch die UN haben den Versuch aufgegeben, die FDLR zur freiwilligen Entwaffnung im Kongo zu überreden. Die UN-Blauhelme im Land bereiten jetzt eine Militäroffensive gegen die ruandische Hutu-Miliz vor, um sie endgültig zu schlagen. 20 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda sollen jetzt auch die Kongolesen eine Chance auf Frieden erhalten.