Der Erfinder des Naturschutzes
5. November 2015Was würde Philipp Leopold Martin sagen, stünde er vor einer riesigen Braunkohlefördergrube oder untersuchte die mit Plastik verstopften Mägen von Fischen und Meeresvögeln? Wie würde er auf das Artensterben, den Klimawandel reagieren? Und wie würde er den Fortschritt bei der Energiewende kommentieren? Philipp Leopold Martin war einer der ersten "Grünen", ein Vordenker in Sachen Naturschutz und Biodiversität. Geboren am 5. November 1815 wäre er an diesem Donnerstag 200 Jahre alt geworden.
Zu Martins Lebzeiten im 19. Jahrhundert war die Menschheit damit beschäftigt, der Armut zu entkommen und die Industrialisierung voranzutreiben. Mit seiner Idee, die Natur zu schützen, konnte Martin seine Zeitgenossen daher nicht begeistern. Im Jahr 1871 verwendete er das Wort "Naturschutz" erstmals in einer Publikation. Bis dato hatte Martin sich als Tierpräparator einen Namen gemacht. Er arbeitete an zoologischen Museen in Berlin und Stuttgart.
Die Anfänge des ökologischen Umbruchs
Der Industriellen Revolution gegenüber war Martin skeptisch eingestellt, denn sie ging mit einem starken Bevölkerungswachstum und Landverlust einher: Zunehmend wurden Ackerflächen kultiviert, Moorlandschaften entwässert und somit zweckentfremdet. Schon damals beobachtete er ein Artensterben; das wollte er stoppen. Er analysierte Tier- und Pflanzenwelt und veröffentlichte praxisnahe und zukunftsgerichtete Programme zum staatlichen Natur- und Artenschutz. Ferner forderte er ein einheitliches Naturschutzgesetz und die Errichtung einer zentralen Behörde für Naturschutz für das Deutsche Reich.
Schriften erst 2011 entdeckt
Zwei Mitarbeiter des Bundesamts für Naturschutz (BfN) stießen 2011 auf die Naturschutzschriften Philipp Leopold Martins, darunter "Das deutsche Reich und der internationale Thierschutz", "Unsere Sänger in Wald und Feld", Das Vergiften der Feldmäuse und seine Folgen", "Der Waidmann: Blätter für Jäger und Jagdfreunde" und "Allgemeiner Naturschutz". Martin schrieb auch über Lurche, Fische, Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Die BfN-Mitarbeiter Gerhard Hachmann und Rainer Koch haben Martins Biografie verfasst, wie in der Zeitschrift "Natur und Landschaft" zu lesen ist.
Im Jahr 1848 soll der frühere Vogelschützer nach Venezuela aufgebrochen sein, um Tierpräparate zu sammeln Seine Frau starb während der Reise, er selbst kam krank und verarmt zurück. 1852 bekam Martin seine erste Festanstellung am Zoologischen Museum in Berlin. Durch seinen Beruf, Tiere auszustopfen, gewann er im wahrsten Wortsinn Einblick in das Innerste der Tierwelt.
Martin beschäftigte die erste große Flurbereinigung: "Felder wurden zusammengelegt, Wege und Flüsse begradigt, Kleingewässer trockengelegt, Baumbestände gefällt", sagt Gerhard Hachmann. Martin bemerkte, dass diese Umbrüche bestimmten Tierarten die Lebensgrundlage nehmen: Tiere, besonders Vögel verschwanden einfach. Martin entwickelte daraus seine Forderungen nach Schutzgebieten und staatlich regulierenden Stellen.
Im Jahr 1886 starb Philipp Leopold Martin. Wahrscheinlich würde er sich im Grabe umdrehen, wüsste er, mit welchen Umweltbelastungen die Menschen genau 100 Jahre später fertig werden mussten: 1986 ereignete sich in Tschernobyl der schwerste Atomreaktorunfall aller Zeiten. Und ein Chemieunfall verursachte ein verheerendes Fischsterben auf dem Oberrhein: Auf einem 100 Kilometer langen Abschnitt starben alle Fische und Kleintiere. Und erstmals stellten Wissenschaftler einen Zusammenhang zwischen Dieselrußabgasen und Lungenkrebs her. Danach wurde die Autoindustrie verpflichtet, Rußfilter in Motoren einzubauen. Forderungen nach mehr Naturschutz, die Martin zwei Jahrhunderte zuvor postuliert hatte, wurden schließlich gesellschaftsfähig.
Eine der größten globalen Bedrohungen für die Menschheit ist vermutlich der Klimawandel. Die globale Erwärmung, ausgelöst durch den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase, führt zu Wetterextremen wie Hitzeperioden und Überschwemmungen, zur Abnahme der Wasservorräte, Erschöpfung landwirtschaftlicher Nutzflächen, Gesundheitsrisiken und nicht zuletzt sozialen Spannungen.
Gremien der Vereinten Nationen sind mit den Fragen rund um Klimawandel und Naturschutz beschäftigt. In Deutschland beraten Spezialisten des Umweltbundesamtes und des Bundesamtes für Naturschutz das Bundesumweltministerium. Das BfN beschäftigt sich mit Naturschutz, Landschaftspflege sowie gefährdeten Tier- und Pflanzenarten. Die Behörde ist eine Nachfolgeorganisation der ersten staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen. Die entstand im Jahr 1906, 15 Jahre nach Martins Tod.