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Der etwas andere Spielmacher

Joscha Weber18. Juni 2014

Toni Kroos ist nicht so auffällig wie eine klassische Nummer 10 und schießt auch kaum Tore. Dennoch war sein Wert für die deutsche Nationalmannschaft wohl selten so hoch wie bei dieser WM.

Fußball WM 2014 Deutschland Portugal Toni Kroos
Bild: picture-alliance/dpa

Plötzlich verfinstert sich das Gesicht von Toni Kroos. Sein freundliches Lächeln ist verschwunden, die Stirn wirft Falten und er wird etwas unruhig auf seinem Stuhl. Mit schmalen Augen fixiert er seinen Gegenüber, als wäre der ein Gegner. Offenbar ist er das in diesem Moment auch. Ein Journalist hat Toni Kroos gerade gefragt, warum er plötzlich gegen Portugal so stark gewesen sei - anders als in vielen großen Spielen zuvor. "Da haben Sie noch nicht so viele Spiele von mir gesehen, muss ich ehrlich sagen", kontert Kroos bissig und fährt fort, "es ist noch nicht so lange her, da war ein Pokalfinale, da lief es ähnlich gut, wie auch in vielen Champions-League-Spielen." Nein, es gehe um die Spiele bei der Nationalelf, betont der Journalist und Kroos fragt sofort zurück, in welchen wichtigen Länderspielen er denn schlecht gespielt habe. Jetzt muss der Journalist passen. Dieses verbale Duell auf der DFB-Pressekonferenz gewinnt Toni Kroos also - genau wie auch fast alle Zweikämpfe am vergangenen Montag gegen Portugal. Und doch lässt die Szene etwas tiefer in das Gemüt des Fußballers Toni Kroos blicken.

Denn eigentlich betont Kroos stets, dass seine Außenwahrnehmung gar nicht so entscheidend für ihn sei. Es störe ihn nicht, dass er in der deutschen Fußball-Öffentlichkeit manchmal unterbewertet erscheint. "Wichtig war mir schon immer, was meine Trainer und mein enges Umfeld von mir denken", sagt Kroos und wirkt dabei schon viel reifer als es seine gerade einmal 24 Jahre vermuten lassen. Zudem macht er klar, dass er sich auch nicht selbst bewerten will. Das überlasse er dem Trainer. Und doch wirkt es, als ob Kroos sich die schon öfter ausgesprochene und geschriebene Kritik, er tauche in wichtigen Spielen ab, nicht länger gefallen lassen will. Und das muss er vorerst auch nicht mehr.

Rekordwerte gegen Portugal

Denn seine Leistung gegen Portugal war außergewöhnlich. Im ersten deutschen WM-Spiel, vor dem riesiger Erwartungsdruck herrschte, war er der Dreh und Angelpunkt. 11,7 gelaufene Kilometer und 47 Sprints von Kroos zeichneten die Daten-Systeme während des Spiels auf - beides Rekordwerte in dieser Partie. Kroos selbst war von diesen Zahlen überrascht, denn sonst laufe er bekanntermaßen ja nicht so viel - ein weiterer Seitenhieb auf seine Kritiker. Wichtiger noch als seine Laufwege: sein nahezu todsicheres Passspiel. 76 von 79 Zuspielen erreichten den Mitspieler, das macht eine sagenhafte Quote von 96 Prozent. Toni Kroos, der auch die Ecke vor dem Tor von Mats Hummels präzise auf dessen Kopf schlug, hat sich den Titel "Spielmacher" in diesem Spiel redlich verdient.

Wechselte im Alter von 17 Jahren von Rostock zu Bayern München - Toni KroosBild: picture-alliance/dpa

Dass er diese Rolle anders auslegt, als man es von der Bezeichnung eigentlich erwartet, ist nicht weiter tragisch, sondern sogar gut. Im Gegensatz zum klassischen Spielmacher lässt sich Kroos immer wieder tief in die eigene Hälfte fallen, verteidigt dort mit, holt sich die Bälle und baut das Spiel neu auf. Im Zusammenspiel mit dem offensivfreudigen Sechser Khedira klappte das gegen Portugal hervorragend – das zentrale Mittelfeld ist so für den Gegner nur schwer auszurechnen. Auch im zweiten Gruppenspiel gegen Ghana (21.6.2014 ab 21 Uhr MESZ im DW-Liveticker) dürfte die Achse Kroos-Khedira Bestand haben. Da Kapitän Lahm ohnehin über jeden Zweifel erhaben ist, dürfte Bastian Schweinsteiger erneut in die Röhre gucken.

Das Ziel? "Weltmeister werden"

Toni Kroos kommentiert das Schicksal seines Bayern-Teamkollegen so: "Wir haben einen Topkader. Da ist es ganz normal, dass es immer mal wieder Härtefälle geben wird. Aber bei diesen Bedingungen brauchen wir alle Spieler." Und auch hier muss man ihm Recht geben. In Fortalezza erwartet die DFB-Elf ein noch heißeres Klima als in Salvador und eine robust spielende ghanaische Elf. Es könnte ein Fall für Löws "Spezialkräfte" von der Bank werden.

Die Gefahr von Selbstzufriedenheit angesichts des Gala-Starts gegen Portugal sieht Toni Kroos ohnehin nicht. "Wichtig ist, dass wir wissen, was zu tun ist, um auf dem Boden bleiben. Denn Stand heute ist: Wir haben noch nichts erreicht." Toni Kroos sieht längst "the bigger picture", wie man Neudeutsch sagt. Für ihn ist das erste Spiel nur ein kleiner Schritt auf dem Weg zum großem Ziel: "Wir sind alle hier mit dem Ziel, Weltmeister zu werden." An diesen Worten wird sich Toni Kroos messen lassen müssen.