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Gesellschaft

Harvey Weinstein und die Medien

12. Oktober 2017

Jahrzehntelang soll Hollywoodproduzent Harvey Weinstein Schauspielerinnen sexuell belästigt haben. Nicht nur die US-Presse berichtet, auch in Europa ist das Interesse groß.

Harvey Weinstein US-amerikanischer Filmproduzent
Bild: Getty Images/TNT/D. Kambouris

Die Enthüllungen begannen mit einem investigativen Artikel in der New York Times. Am 5. Oktober berichtete die Zeitung detailliert darüber, wie Harvey Weinstein, einer der mächtigsten Produzenten Hollywoods, jahrzehntelang seine Position ausnutzte, um Frauen zu belästigen, sexuelle Gefälligkeiten zu erzwingen - und damit bisher ungeschoren davon zu kommen.

Vor 20 Jahren lud Weinstein die Schauspielerin Ashley Judd auf sein Hotelzimmer ein. Judd dachte, es ginge um ein geschäftliches Gespräch. Stattdessen empfing Weinstein sie im Bademantel, fragte ob er sie massieren dürfe und schlug vor, sie könne ihm beim Duschen zusehen.

"Wie komme ich so schnell wie möglich aus diesem Zimmer, ohne Harvey Weinstein gegen mich aufzubringen?" Das habe sie sich damals gefragt, erzählte Judd der New York Times.

Das "Kinobiest"

Am Tag nach der New York Times Veröffentlichung ging der Fall Weinstein durch die deutschen Medien. Die Meldungen bei Süddeutsche, Spiegel und anderen bezogen sich zunächst ausschließlich auf den New York Times Artikel und lieferten eine Art Weinsteins "Greatest Hits" mit, damit auch den nicht so Hollywood-affinen Lesern klar war: Dieser Mann ist eine große Nummer. Von Weinstein produzierte Filmtitel wie "Pulp Fiction" und "Der englische Patient" durften auf keiner dieser Listen fehlen.

Meryl Streep und Harvey Weinstein 2005. Nach den Enthüllungen bezeichnete Streep Weinsteins Verhalten als "unentschuldbar".Bild: Getty Images/A.E. Rodriguez

Die Boulevardzeitung Bild verzichtete auf Details und erklärte Weinstein seinen Lesern gleich als "mächtigsten Filmproduzenten Hollywoods" der "die Geschicke der milliardenschweren Traumfabrik" leite.

In den Tagen darauf folgten immer neue Details. Schauspielgrößen wie Meryl Streep und Judi Dench distanzierten sich von Weinstein, seine eigene Filmfirma warf ihn raus.

Die Süddeutsche Zeitung schrieb nach Weinsteins Entlassung, die Vorwürfe gegen ihn "reichen für ein Karriereende" und bezeichnete ihn als "Kinobiest". Der Spiegel wurde noch direkter und betitelte eine Galerie mit Fotos aus Weinsteins bekanntesten Filmen "Genie und Arschloch".

Sexismus am Arbeitsplatz nicht nur in Hollywood

Der Fall Weinstein zieht auch Vergleiche mit der Situation in der deutschen Kulturszene nach sich. Der Deutschlandfunk fragt "Wie sexistisch ist der deutsche Theaterbetrieb?" Theaterregisseur Christopher Rüping sagte in einem Gespräch mit dem öffentlich-rechtlichen Sender: "Der Theaterbetrieb ist ja fast noch ein bisschen feudal organisiert, es gibt eindeutige Machtdispositionen, es gibt wenige regulierende Gremien."

Er sei nie selbst Zeuge von sexuellen Übergriffen geworden, so Rüping, aber es gebe am Theater entsprechende Gerüchte. 

Das Nachrichtenportal Spiegel Online verwies auf eine britische Studie der Feministin Laura Bates, die besagt, dass 52 Prozent der Umfrageteilnehmerinnen schon einmal am Arbeitsplatz belästigtwurden, und dass 80 Prozent dieser Frauen über den Vorfall schwiegen.

Der Schluss: Sexuelle Übergriffe seien mit Machtfragen verbunden. Bei Spiegel Online heißt es: "Im Fall Weinstein unterschätzen offenbar einige, was für gewaltige Dynamiken in der Konstellation aufstrebende-Schauspielerin-trifft-mächtigen-Produzenten liegen."

Weinstein - "Stammgast" im Weißen Haus

Die französische Zeitung Le Monde ging in ihrem Artikel "Die Weinstein Affäre: Ein Skandal mit politischen Folgen" auf Weinsteins Verbindungen in Washington ein. Der Produzent sei ein "Stammgast" im Weißen Haus gewesen und habe unter Hillary Clinton als Außenministerin bei einer Veranstaltung ihres Ministeriums 2011 an einem Ehrentisch mit Angela Merkel gesessen.

Als Clinton für das Präsidentenamt kandidierte, veranstaltete Weinstein für die Demokratin einen Spendenempfang bei sich Zuhause. Deswegen, so Kritiker, die in dem Le Monde Artikel zu Wort kommen, haben führende Demokraten wie Clinton sich wohl so zögerlich zu den Vorwürfen gegen Weinstein geäußert.

Die BBC hat eine fortlaufende Liste der Frauen, die sich öffentlich zu versuchten Übergriffen von Weinstein äußern. Der neueste Eintrag: Schauspielerin Kate Beckinsale, die am Donnerstag berichtete, im Alter von siebzehn Jahren von Weinstein in seinem Hotelzimmer bedrängt worden zu sein.

"Nachdem ich Alkohol abgelehnt und gesagt hatte, dass ich am nächsten Morgen in die Schule musste, ging ich, verstört aber unversehrt", sagte Beckinsale. "Einige Jahre später fragte er mich, ob er bei dieser ersten Begegnung irgendetwas Unanständiges versucht hatte. Mir wurde klar, dass er sich nicht erinnern konnte, ob er sich an mir vergriffen hatte oder nicht." 

Was wusste die Presse?

Weinstein im April 2017 bei einer Gala der National Geographic Gruppe im New Yorker Lincoln CenterBild: Getty Images/National Geographic/B. Bedder

Nachdem sich die Berichterstattung in den ersten Tagen ausschließlich auf Weinsteins Taten konzentrierte, geht es mittlerweile auch um die Frage: Wer wusste wie viel? Einige US-Medien sind Teil des Skandals geworden, weil sie von Weinsteins Verhalten gewusst haben sollen.

Journalistin Rebecca Traister schreibt in einem Artikel für die das Online-Magazin The Cut: "Harvey konnte alles so drehen, wie er wollte, oder [die Veröffentlichung negativer Nachrichten] verhindern - so viele Journalisten standen auf seiner Gehaltsliste."

Das Online-Portal der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" schreibt, Medien, die von Weinsteins Übergriffen gewusst haben, müssten sich nun fragen, warum sie schwiegen, Artikel nicht druckten, Stories verhinderten: "Wegen der Anzeigen von Weinsteins Firma Miramax?"

Der amerikanische TV-Sender NBC lehnte es im August ab, einen lange recherchierten Bericht über Weinsteins Belästigungen zu senden, obwohl der Journalist Ronan Farrow sogar einige Frauen gefunden hatte, die bereit waren, vor der Kamera über ihre Erlebnisse zu sprechen. Aus dem Bericht wurde nichts, vermutlich, weil Weinstein und seine Mitarbeiter NBC unter Druck setzten.

Der TV-Sender gehört zur NBC Universal Gruppe. Bei ihrem Hollywood Zweig, Universal Pictures, erschienen beispielsweise die Filme "Shakespeare in Love" und "Inglorious Basterds". Einer, der bei den Produktionen eine maßgebliche Rolle spielte: Harvey Weinstein.

Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker
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