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Politik

Der "Fall Lisa" ein Jahr danach. War da was?

11. Januar 2017

Das Gerücht über ein von Flüchtlingen angeblich verschlepptes und vergewaltigtes Mädchen brachte vor einem Jahr Tausende Russlanddeutsche auf die Straße. Was denken sie heute darüber?

Proteste von Russlanddeutschen für mehr Sicherheit
Hunderte von Russlanddeutschen protestierten in Villingen-Schwenningen gegen Gewalt und für mehr SicherheitBild: picture alliance/dpa/M. Eich

Vor einem Jahr machte in Berlin ein Gerücht die Runde. Ein 13-jähriges Mädchen - die Russlanddeutsche Lisa - sei verschwunden. Verschleppt und vergewaltigt durch arabische Flüchtlinge. Öl ins Feuer gossen die russischen Staatsmedien. Sie stilisierten "den Fall Lisa" zum Beispiel des Versagens der deutschen Behörden, die die Geschichte angeblich unter den Teppich zu kehren versuchten.

Die aufgebrachten Russlanddeutschen gingen auf die Straße. Unterstützt von Rechtsradikalen und Anhängern der AfD. Auch in Berlin. Vor dem Kanzleramt. "Merkel muss weg" klang es in Sprachchören.

"Unser Mädchen"

Lisa tauchte schnell wieder auf. Sie wurde gar nicht verschleppt. Probleme in der Schule. Strenge Eltern. Da zog Lisa es vor, an dem unglückseligen Tag bei der Familie eines Schulkameraden zu übernachten.

Der Berliner Polizei, die aus Rücksicht auf Rechte einer Minderjährigen nicht alle Details preisgeben wollte und konnte, wurde kein Glauben geschenkt. Die wolle doch nur die Flüchtlinge schützen, um die Kanzlerin nicht zu beschädigen, so kurz nach den Ereignissen der Kölner Silvesternacht. Das sagte das russische Fernsehen - die Hauptnachrichtenquelle vieler russlanddeutscher Aussiedler.

In die gleiche Kerbe schlug auch der russische Außenminister Sergej Lawrow. "Unser Mädchen" sei ganz bestimmt nicht "aus freien Stücken für 30 Stunden verschwunden", wetterte er auf einer Pressekonferenz Ende Januar 2016 in Moskau. Die deutschen Behörden, sagte er, versuchen doch nur "politisch korrekt die Wirklichkeit zu lackieren". Ob er damals schon wusste, dass es sich um eine Fake News handelt?

Für Frank-Walter Steinmeier jedenfalls war die Sache klar. In ungewöhnlich scharfer Form reagierte er damals auf die Aussagen seines russischen Amtskollegen. Es gehe um den Versuch, sagte Steinmeier, den "Fall Lisa" als politische Propaganda zu missbrauchen. Später im Laufe des Jahres wird die Bundesregierung auch mit anderen Beispielen russischer propagandistischer Aktivitäten - nicht nur in Deutschland - konfrontiert.

Was sagen die Russlanddeutschen jetzt

Im Mix Markt - einem russischen Supermarkt im Berliner Stadtteil Marzahn, einer Hochburg der Russlanddeutschen - ist "Lisa" kein Thema mehr. Für viele die vor einem Jahr auf dem Parkplatz vor dem Laden demonstrierten, ist die ganze Geschichte peinlich.

Mahrzahn ist eine Hochburg von Russlanddeutschen in BerlinBild: DW/N.Jolkver

Einige schämen sich, auf die russische Propaganda hereingefallen zu sein, erzählt der Vorsitzende der Landsmannschaft der Russlanddeutschen in Berlin und Brandenburg, Alexander Rupp. Wenn das Thema auf Veranstaltungen mit deutschen Politikern überhaupt angesprochen wird, dann nur als Ursachenforschung: Warum haben die Aussiedler auf das Gerücht und die russische Berichterstattung so reagiert? Rupp selbst allerdings meint immer noch, dass die Informationspolitik der Berliner Behörden in diesem Fall besser hätte sein können. Das Schweigen der Polizei, sagt er, hat die Gerüchte nur genährt.

Verwandte von Lisa wollen heute mit der Presse nichts zu tun haben. Auch nicht mit der russischen. Die Familie fühlt sich durch die russischen Medien, die russische Botschaft und russische Offizielle ausgenutzt, erzählt Alexander Reiser vom russlanddeutschen Verein "Vision". Sie verstehe jetzt, dass sie zum Spielball einer politischen Auseinandersetzung wurde.

Jetzt ist ihm auch klar, welche Ziele die russische Propaganda verfolgte. "Sie wollten beweisen, dass es im Westen genauso abläuft wie in Russland, meint Reiser. Auch hier herrschen angeblich Gesetzeslosigkeit und Vertuschung". Gleichzeitig wundert er sich, wie leicht es ist, in der modernen Welt mit ihren Medien und sozialen Netzwerken eine Menschenmenge zum Toben zu bringen.

Welche Folgen hatte "Lisa"?

Den Aussiedlern tut es nun Leid, dass sie sich von der russischen Propaganda vereinnahmen ließen. Doch blieb die Geschichte für sie - die in Deutschland leben und wählen - ohne Folgen?

Bemerkenswert ist, dass 2016 bei Landtagswahlen in Berlin und Baden-Württemberg die AfD gerade in den Wahlbezirken besonders gut abgeschnitten hat, in denen viele Russlanddeutsche leben. In Marzahn wurde sie die stärkste politische Kraft mit bis zu 35,5 Prozent im Wahllokal Nr. 103. Im Südwesten der Republik erreichte die AfD in Wiblingen - eine weitere Hochburg der Russlanddeutschen - ein doppelt so hohes Ergebnis wie die CDU. Ob da der "Fall Lisa" nicht doch eine gewisse Rolle gespielt hat?

Nicht ohne Folgen blieb die Geschichte auch für die Bundesregierung. Auf einmal wurde ihr klar, wie es mit einer einzigen, aber gezielt ausgeschlachteten "Ente" möglich ist, eine ganze soziale Schicht zu einem bestimmten Handeln zu bewegen. War es aus Sicht der Bundesregierung ein russischer Versuchsballon im Vorfeld der Wahlen 2017?

Martin Schäfer vom Auswärtigen Amt lässt sich auf russische Motive nicht festlegen. Aber, antwortet er auf Anfrage der DW, "dass es damals mindestens ein nach Zusammenwirken aussehendes Verhalten von Vertretern der russischen Medien und von russischen Offiziellen in Berlin und in Moskau gegeben hat, kann, glaube ich, niemand bestreiten".

Als Konsequenz aus dem Fall beschloss die Bundesregierung die Berichterstattung in den russischen Medien über Deutschland unter besondere Aufmerksamkeit zu stellen und wenn nötig schnell für Klarheit zu sorgen.

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