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Politik

Wendepunkt der saudischen Menschenrechtspolitik?

10. Januar 2019

Die 18-jährige Rahaf Mohammed aus Saudi-Arabien erfährt derzeit eine Welle internationaler Solidarität. Kann das auch die Haltung der saudischen Regierung verändern?

Thailand setzt Abschiebung von saudischer Frau vorläufig aus
Rahaf Mohammed wurde bei einem Zwischenstopp in Thailand festgehaltenBild: picture-alliance/dpa

Rahaf Mohammed Alqunun kann aufatmen. Die Vereinten Nationen haben die junge saudi-arabische Frau als Flüchtling anerkannt. Nun erwägt Australien nach Angaben des zuständigen Innenministeriums vom Mittwoch, der 18 Jahre alten Frau aus humanitären Gründen ein Visum zu erteilen. Nach derzeitigem Stand braucht sie eine zwangsweise Rückkehr in ihr Geburtsland nicht mehr zu befürchten.

Alqunun war von dort geflohen, weil sie ihren Angaben zufolge weitere Misshandlung durch ihre Familie fürchtete. Nachdem sie sich gegen eine Zwangsheirat gewehrt hatte, wurde sie ein halbes Jahr lang zuhause eingesperrt. Auch soll sie sich vom Islam losgesagt haben. Im saudischen Königreich kann diese Entscheidung die Todesstrafe nach sich ziehen.

Kaum war die Entscheidung gefallen, zeigte sich Rahaf Mohammed nicht nur in eigener Sache kämpferisch. Per Twitter bat sie um Solidarität mit dem bahrainischen Fußballspieler Hakeem Al-Araibi, der seit rund anderthalb Monaten in thailändischem Gewahrsam sitzt.

Die bahrainischen Behörden stellten einen Haftbefehl mit der Begründung aus, Al-Araibi habe 2012 auf einer Polizeistation randaliert. Der Fußballspieler bestreitet das. Er führt den Haftbefehl auf den Umstand zurück, dass er - wie auch andere Sportler - im arabischen Protestjahr 2011 an einer Demonstration für Freiheitsrechte teilgenommen habe. Noch im selben Jahr bat er in Australien um Asyl. Das Land bewilligte den Antrag 2017.

Prozess in Thailand: der Fußballer Hakeem al-AraibiBild: Getty Images/AFP/L. Suwanrumpha

Im Jahr 2014 wurde Al-Araibi von einem Gericht in Bahrain in Abwesenheit zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt. Als Al-Araibi und seine Frau im November vergangenen Jahres Urlaub in Thailand machten, wurden sie von den dortigen Behörden auf Grundlage des bahrainischen Haftbefehls verhaftet. Offen ist derzeit die Frage, ob die internationale Polizeibehörde Interpol auf den Haftbefehl aus Bahrain angemessen reagiert hat.

Welle der Solidarität

Rahaf Mohammed erfährt derzeit viel internationale Unterstützung. 129.000 Menschen folgen ihr auf Twitter. Viele von ihnen freuen sich mit ihr über ihren Erfolg. Und viele junge arabische Frauen erkennen sich in ihr wieder.

Alqununs Fall lasse hoffen, sagt die Journalistin Sarah Aziza im Gespräch mit der DW. Zuletzt hätten sich die Berichte über menschenrechtliche Misstände in Saudi-Arabien gehäuft, so Aziza im Gespräch mit der DW. "Dieses Mal waren viele Aktivisten und Menschen im Westen darauf vorbereitet, zu reagieren und die saudische Regierung zu kritisieren. Wichtig ist auch der Umstand, dass einige der Tweets und die darin geäußerten Aufforderungen an die Regierung in Englisch verfasst wurden. Auch das hat dazu beigetragen, der Mobilisierung Zugkraft zu verleihen. Hinzu kommt, dass nicht nur die Bürger des Westens, sondern auch Saudi-Arabiens der Regierung in Riad sehr misstrauisch gegenüber stehen."

Saudische Regierung spürt internationalen Druck

Das hält konservative Muslime nicht davon ab, Alqunun auf deren Twitter-Account zu kritisieren.

Die saudische Regierung scheint ihr bisheriges Verhalten aber zu überdenken, sagt Ali Adubisi, Direktor der in Berlin ansässigen Menschenrechtsorganisation "European Saudi Organization for Human Rights". Die Regierung habe sich dieses Mal relativ zurückhaltend gezeigt. "Fast schien es, als sei ihr die Sache peinlich. In früheren Fällen hatte sich die Regierung viel entschiedener geäußert. Da hatte sie regelmäßig erklärt, es sei etwa nicht hinnehmbar, dass junge Frauen ohne Begleitung reisten. Inzwischen weiß sie aber, dass sie von den Medien weltweit genau beobachtet und auch kritisiert werden."

So könnte der Fall Alqunun zu einem Wendepunkt werden - und zwar nicht nur mit Blick auf bedrohte oder bereits in Haft sitzende Menschenrechtler aus und in Saudi-Arabien. Er könnte auch Aktivisten aus anderen Länder der Region helfen. So erregte etwa der Fall des Fußballer Hakeem Al-Araibi vergleichsweise wenig internationale Aufmerksamkeit. Dies könnte daran gelegen haben, dass Saudi-Arabien viel stärker im Ruf gravierender Menschenrechtsverletzungen steht als der kleine Nachbarstaat, vermutet die Zeitung "The Guardian". Auch habe der Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul verheerende Auswirkungen für den Ruf Saudi-Arabiens gehabt.

Auf dieses Verbrechen nehmen Twitter-User auch im Fall von Rahaf Mohammed Alqunun Bezug:

"Saudische Regierung will Image verbessern"

Offenbar habe die weltweite Reaktion auf den Mord an Khashoggi Eindruck gemacht, vermutet Menschenrechtler Ali Adubisi. "Dieser Mord hat die Regierung in erhebliche Verlegenheit gebracht. Nun will sie ihr internationales Image unbedingt verbessern."

Internationale Solidarität: Demonstration für die Freilassung Raif Badawis in Berlin, Mai 2015Bild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Der Fall Rahaf Mohammed könnte sich auch auf andere Menschenrechtler auswirken, meint Sarah Aziza im Gespräch mit der DW. "Zwar äußern sich bedeutende Akteure wie etwa der Präsident der Vereinigten Staaten nicht zu dieser Frage. Doch eine kritische Masse von Schriftstellern, Aktivisten und ganz normalen Menschen hält den Druck aufrecht. Das gibt Grund zur Hoffnung."

Rahaf Mohammed Alqunun ist den drakonischen Strafen, die ihr zuhause vermutlich gedroht hätten, entkommen. Offen ist, ob nun auch in saudischen Gefängnissen sitzende Menschenrechtler profitieren, die sich, wie etwa der Blogger und Autor Raif Badawi, viel politischer geäußert und das politische und konfessionelle System grundsätzlich kritisiert haben. Auch für sie könnte der Fall Alqunun hilfreich sein, so Ali Aldubisi. "Es braucht allerdings eines: hinreichend starken Druck."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika