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Politik

Zwischen Straßenkampf und Gerichtssaal

Roman Goncharenko
12. Dezember 2017

Vor dem Hintergrund neuer Proteste beschäftigt sich die ukrainische Justiz mit dem Oppositionellen Michail Saakaschwili. Von seinem Konflikt mit Poroschenko profitiert eine andere Kraft.

Ukrainischer Oppositioneller Saakaschwili vor Gericht
Der frühere Präsident Georgiens Michail Saakaschwili freut sich über die GerichtsentscheidungBild: picture-alliance/S.Grits

Mehrere Stunden brauchte ein Gericht in Kiew um zu entscheiden, wie es mit Michail Saakaschwili weitergehen soll. Am späten Montagabend dann die Überraschung: Der Oppositionspolitiker und ehemalige Präsident Georgiens ist vorerst wieder ein freier Mensch. Das Gericht lehnte den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Hausarrest ab. 

Der 49-Jährige war seit Freitagabend in Untersuchungshaft und trat aus Protest in einen Hungerstreik. Die ukrainische Justiz wirft ihm Unterstützung einer kriminellen Vereinigung vor, dafür droht eine Haftstrafe zwischen fünf und zehn Jahren. Die Generalstaatsanwaltschaft glaubt, der Oppositionspolitiker habe rund 500.000 US-Dollar von einem nach Russland geflüchteten Geschäftsmann aus dem Umfeld des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch angenommen und damit Proteste gegen den amtierenden Präsidenten Petro Poroschenko finanziert. Saakaschwili nennt die Vorwürfe lächerlich.

Grenze überschritten   

Die Freilassung im Gerichtssaal ist eine von vielen überraschenden Wendungen im seit über einem Jahr schwelenden Konflikt zwischen Saakaschwili und Poroschenko. Der ukrainische Präsident ernannte den Georgier 2015 zum Gouverneur des Gebiets Odessa, um ihn rund anderthalb Jahre später wieder zu entlassen. Saakaschwilis Bilanz im Amt war dürftig. Stattdessen sorgte er mit schweren Korruptionsvorwürfen gegen die Regierung und den Staatschef für Aufregung. 

Hier noch Freunde: Petro Poroschenko ernennt Michail Saakaschwili 2015 zum Gebietsgouverneur von Odessa Bild: Imago/Mykola Lazarenko/Ukrainian presidential press service

Im Sommer entzog Poroschenko Saakaschwili während dessen Aufenthalt im Ausland die ukrainische Staatsbürgerschaft. Saakaschwili, dem zuvor bereits in Georgien wegen Amtsmissbrauchs die Staatsbürgerschaft entzogen worden war, wurde damit staatenlos. Umso spektakulärer dann seine Rückkehr in die Ukraine: Seine Anhänger drückten den Staatenlosen buchstäblich durch die Grenze. Seit Oktober protestieren Saakaschwilis Unterstützer mittlerweile in Kiew. Sie schlugen Zelte auf einer belebten Verkehrsstraße vor dem Parlament auf, forderten anderem die Schaffung eines Anti-Korruptions-Gerichts sowie ein Amtsenthebungsverfahren gegen Poroschenko. 

Damit habe Saakaschwili "den Bogen überspannt", sagt Gabriele Baumann, Büro-Leiterin der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Kiew. "Allein die Forderung nach Amtsenthebung ist absurd, denn in der Verfassung ist festgelegt, in welchen Fällen dieser Prozess begonnen werden kann." Es gehe Saakaschwili "nicht um die Sache, sondern um seine eigene Person." 

Filmreife Szenen in Kiew

Als der Geheimdienst SBU in der vergangenen Woche Saakaschwili festnehmen wollte, gelang dem Politiker die Flucht auf das Dach seines Hauses, wo er medienwirksam den Präsidenten beschimpfte. Als die Beamten ihn schließlich doch festnahmen, befreiten seine Anhänger ihn mit Gewalt aus einem Polizeiauto. Es waren Szenen, die es in der jüngsten Geschichte der Ukraine noch nie gab. 

Am vergangenen Freitagabend dann gelang die Festnahme. Saakaschwili bezeichnete sich als "politischen Gefangenen" und trat in einen Hungerstreik. Am Sonntag protestierten daraufhin 5000 Menschen in der Kiewer Stadtmitte am Sonntag und forderten die Amtsenthebung für Präsident Poroschenko. Zwar waren das mehr Menschen, als bislang, doch bei weitem nicht so viele, wie bei dem Aufstand im Winter 2013/2014 oder bei der "Revolution in Orange" im Jahr 2004. Die Unterstützung für Saakaschwilis neu gegründete Partei, "Bewegung neuer Kräfte", bleibt im unteren einstelligen Bereich. Damit  würde die Partei bei Neuwahlen nicht ist Parlament einziehen. 

Timoschenko als lachende Dritte

Die nächsten regulären Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sind für 2019 geplant. Saakaschwili sagt, er möchte nicht Präsident der Ukraine werden. Nach ukrainischen Gesetzen wäre das derzeit auch nicht möglich. Sollte Poroschenko bald stürzen, wäre eine andere Person die größte Profiteurin: Julia Timoschenko. Die ehemalige Ministerpräsidentin und Oppositionspolitikerin liegt in Umfragen etwa gleichauf mit dem jetzigen Staatschef: bei etwa 16 Prozent. Ihre Vaterlandspartei unterstützt Saakaschwili seit langem. So war Timoschenko auch im Gerichtssaal am Montag, um Saakaschwili beizustehen. „Sie nutzt das für ihre Zwecke, deswegen ist es "so gefährlich und der Populismus wird nicht weniger", sagt Gabriele Baumann. "Es geht um eine Revolte ohne klare Ziele."

Michail Saakaschwili und Julia Timoschenko im Vorfeld des GerichtsterminsBild: picture-alliance/E.Lukatsky

Die Selbstherrlichkeit des Petro Poroschenko

An einen baldigen dritten Aufstand, einen so genannten "dritten Maidan", glaubt weder sie, noch Winfried Schneider-Deters. "Es geht vordergründig um Saakaschwili, aber auch darum, dass ein großer Teil der Bevölkerung die Arroganz dieser Machtelite um Poroschenko leid ist", sagt der deutsche Publizist, der in Kiew lebt und früher dort die Vertretung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung leitete. Porioschenko scheine "selbstherrlich zu regieren", doch sei er "kein Janukowitsch", der für seinen autoritären Stil in weiten Teilen der Bevölkerung regelrecht verhasst war.  

Poroschenko mache Fehler, darunter die Aberkennung von Saakaschwilis Staatsbürgerschaft, oder zuletzt das Vorgehen gegen das Anti-Korruptions-Büro (NABU), das auch im Ausland auf Kritik stieß. Dennoch: "Der Sessel unter Poroschenko wackelt nicht", sagt Gabriele Baumann. Die Expertin sieht den Präsidenten und seinen politischen Gegner Saakaschwili in einer "lose-lose-Situation", in der beide an Ansehen verlieren - auch im Ausland. Ihre Prognose: Die ukrainische Führung werde versuchen, die Auseinandersetzung "dorthin zu lenken, wo es einen rechtlichen Rahmen gibt", also weg von der Straße, hin in die Gerichte. Ein weiterer Schritt in diese Richtung wurde gerade getan.

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