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Gesellschaft

Mächtige Männer und der Sex

Wolfgang Dick
10. Oktober 2017

Der Fall des inzwischen wegen sexueller Belästigung angeklagten US-Filmproduzenten Harvey Weinstein offenbart Strukturen, die auch europäische Sozialpsychologen kennen. Ihr Kampf gilt dem Machtdenken.

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Bild: Fotolia/snaptitude

Harvey Weinstein war eine Ikone. Der Hollywood-Produzent hat mit seinen Filmen im Laufe der Zeit rund 60 Oscars gewonnen, Millionen verdient und die Karrieren vieler Stars wie George Clooney beeinflusst. Jahrelang aber bedrängte Weinstein auch Frauen. Ein Verhalten, das Chefs in gehobenen Positionen nicht nur in Amerika und beim Film an den Tag legen.   

"In den Köpfen herrscht die Haltung: Ich habe es bisher geschafft, ich kann mir jede Forderung erlauben."  Was viele deutsche und europäische Therapeuten, Psychoanalytiker und Soziobiologen untersucht und beschrieben haben, kennt auch Sandra Schwark aus ihrer Arbeit zum Thema sexuelle Gewalt an der Universität Bielefeld. Die Wissenschaftlerin sieht das Ausmaß sexueller Belästigung in der Arbeitswelt so: "Am weitesten verbreitet ist das Verhalten in Domänen, die sehr männlich dominiert sind." Schwark nennt die Technologiebranche.  In diesen Tagen wird sie von einer Umfrage des Düsseldorfer Instituts Innofact bestätigt. Danach sollen vor allem in Start-up-Firmen Frauen öfter sexuell belästigt werden als in etablierten Unternehmen.

Meryl Streep mit Harvey Weinstein - Die US-Schauspielerin verurteilt das Verhalten und will davon nichts gewusst habenBild: Getty Images/A.E. Rodriguez

Was als Belästigung empfunden wird

Eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes offenbart, dass sich das Thema sexuelle Belästigung durch die gesamte Arbeitswelt zieht. Die Hälfte der Befragten - Frauen wie Männer - hat sie am Arbeitsplatz schon erlebt. Dazu gehören neben dem Anbringen aufreizender Bilder, vor allem das unerwünschte Anstarren, anzügliche Bemerkungen, ausdrückliche Aufforderungen wie "Setz Dich auf meinen Schoß", unerwünschte Berührungen und die direkte Aufforderung zu unerwünschten sexuellen Handlungen.   

Die Angriffe kommen aber nicht mehr nur aus gehobenen Positionen. Verbreitet ist das Phänomen inzwischen auch zwischen Frauen und Männern auf einer nahezu gleichen Hierarchieebene. Wissenschaftlerin Sandra Schwark beurteilt ihre Forschungsergebnisse vor dem Hintergrund sich verändernder Arbeitsbedingungen. "Es geht hier um Machterhalt in einer Welt, in der immer mehr Frauen hohe Positionen bekleiden."  Gesucht werde die Möglichkeit, sich in einer gefühlten Hierarchie über die Frau zu stellen und sie "klein zu halten". Aus ihren Forschungen und denen ihrer Kollegen wie Charlotte Diehl an der Uni Bielefeld weiß Sandra Schwark auch, dass die überwiegend von Männern ausgehende Belästigung von ihnen auch als solche erkannt wird. "Männer wissen sehr wohl, wann sie Grenzen überschreiten." 

Jessica Drake (r.) beschwerte sich 2016 mit Anwältin über Belästigungen von Donald Trump Bild: picture-alliance/dpa/M. Nelson

Warum Gegenwehr so schwer fällt

Obwohl inzwischen in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern ein Netz von staatlichen und privaten Anlaufstellen zur Abhilfe bei sexueller Belästigung ausgebaut wurde, scheitert eine Gegenwehr oft an der Psyche. "Wir haben dazu Experimente gemacht", berichtet Forscherin Schwark. "Auch wenn die Frauen zu Beginn sagten, sie würden sich wehren, erfolgte in einer konkreten Situation keine Anzeige." Eine unerwartete Belästigungssituation löse einfach Angst aus. "Betroffene reagieren eher passiv und gehen nicht in die Konfrontation." Diese Reaktion werde noch verstärkt durch Berichte über den Verlust des Arbeitsplatzes oder weiteres Mobbing in der Firma, nachdem Nötigungen angezeigt wurden. Dem Tenor von Medienberichten - je nachdem, ob sie Betroffenen glaubten oder sie eher noch kritisierten - käme deshalb eine besonders große Bedeutung zu, erläutert Schwark.

Viele Nötigungen fliegen jetzt doch auf

Das gesellschaftliche Bewusstsein für die Thematik habe sich aber geändert. Das wichtigste seien deshalb Zusammenschlüsse von Betroffenen, meint die Sozialforscherin. "Wenn erst einmal eine Frau gesagt hat, mir ist das und das passiert, dann trauen sich auch die anderen." Dieses Erfolgsrezept hat in Amerika bereits einen anderen Prominenten betroffen, der sich lange Zeit mit Arrangements und Vertuschungen über seine Sex-Angriffe gerettet hatte: Schauspieler Bill Cosby. Und auch Produzent Harvey Weinstein brachte eine Protestwelle zu Fall. Was die Beschwerde von Schauspielerin Ashley Judd auslöste, kommentiert die ehemalige Fox News Moderatorin Gretchen Carlson nach einem Bericht der "New York Times": "Wenn eine Frau sich schließlich entscheidet zu sagen, einmal muss Schluss sein, dann kann der Mut ansteckend sein."

Gretchen Carlson "Frauen brauchen eine Stimme"Bild: picture-alliance/AP Photo/R. Drew

Die wichtigste Maßnahme gegen all jene, die ihre Position ausnutzen, sei aber immer noch, dass es an der Spitze eines jeden Unternehmens oder Projektes untadelige Vorbilder gebe, sagt Forscherin Sandra Schwark gegenüber der DW. "Es ist wichtig, dass ein guter Umgang ohne sexuelle Belästigung vorgelebt wird." Es müsse einen kulturellen Wandel geben. Von der obersten bis in die unterste Etage müsse kommuniziert werden, dass abweichendes Verhalten nicht geduldet wird. Im Fall Weinstein gab es diese oberste Etage nicht. Weinstein war alles in einer Person.

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