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Politik

Der Fluch von Karakosch

Birgit Svensson
8. Dezember 2016

Einst flüchteten sie vor dem IS. Heute leben sie in Armut: Christen im Irak sind in ihrer Heimat ohne Zuhause. In die Stadt Karakosch, wo sie einst lebten, wollen sie auf keinen Fall zurück. Aus Bagdad Birgit Svensson.

Irak Karakosch al-Hamdaniya Zerstörte Kirche
Bild: Getty Images/AFP/T. Coex

"Ich gehe nicht zurück", schüttelt Jussef mit dem Kopf, zieht ein Kreuzass aus der Hand und legt die Karte auf den Tisch. Auch die anderen Männer nicken. Am Nebentisch dieselbe Reaktion auf die Frage. Aus dem Flüchtlingslager "Jungfrau Maria" in Bagdad will keiner zurück ins befreite Karakosch.

Die einst größte christliche Stadt im Irak war im August 2014 von der Terrormiliz IS erobert worden. Zehntausende Christen flohen damals vor den Extremisten. Ende Oktober dieses Jahres eroberte die irakische Armee die Stadt zurück.

"In Karakosch kann man nicht mehr leben", so die einhellige Meinung in der Cafeteria des Flüchtlingslagers. Jeder der Anwesenden war zwar schon dort, hat nach Haus und Hof geschaut, um dann ernüchtert wieder nach Bagdad zurückzukommen. Videos auf Smartphones machen die Runde. Darauf zu sehen sind Trümmer, zerbrochenes Porzellan, zerfetztes Spielzeug, heruntergebrochene Zimmerdecken, zerbombte Dachstühle. "Karakosch war ein Schatz für uns, den wir unwiederbringlich verloren haben", sagen Jussef und seine Mitspieler. Die Barbaren des IS hätten den Ort entweiht.

Flüchtlingslager nur für Christen

Das Flüchtlingslager "Jungfrau Maria" ist nur für Christen bestimmt und befindet sich mitten in Bagdad. Der christliche Abgeordnete im irakischen Parlament, Yonadam Kanna, hat das Grundstück neben dem Hauptquartier seiner assyrischen Partei von der Stadt gemietet, als immer mehr Christen aus dem Nordirak vor dem IS fliehen mussten.

Leiterin Eileen betreut 150 Familien in dem Flüchtlingslager für Christen in Bagdad.Bild: DW/B. Svensson

Seit April 2015 leben dort 150 Familien, etwa 800 Menschen, davon 100 Kinder im schulpflichtigen Alter. Eileen leitet das Lager, eine rundliche, herzliche Frau Ende 30. Insgesamt, sagt Eileen, gäbe es 550 christliche Flüchtlingsfamilien in Bagdad. Die meisten seien privat untergekommen, bei Freunden, Familienangehörigen oder Bekannten.

Das Lager macht einen sauberen, gepflegten Eindruck. Kein Vergleich zu anderen Camps, die mit Zelten ausgestattet sind und bei einsetzendem Regen zu regelrechten Schlammpisten mutieren. Jede Familie im Camp hat einen weiß-blau angestrichenen Karavan mit zwei Schlafzimmern, Küche und Bad.

Die 41-jährige Flüchtlingsfrau Nehla steht mit ihrer zehnjährigen Tochter Mariam in der kleinen Küche ihres Wohnwagens und bereitet das Mittagessen vor. Die Tür ihrer Behausung steht weit offen. Die Wintersonne wärmt besonders in der Mittagszeit, nachts ist es in Bagdad derzeit bitterkalt. Bevor Nehla mit ihrer Familie in das Flüchtlingslager zog, betrieb ihr Mann eine Autowerkstatt in Sara, einem südlichen Stadtteil von Bagdad.

Aufgeräumt: Jede Flüchtlingsfamilie lebt in einem ContainerBild: DW/B. Svensson

Zwischen den Fronten

Als der Bürgerkrieg 2006 begann, Schiiten und Sunniten sich gegenseitig umbrachten, gerieten die Christen zwischen die Fronten. Nehlas Mann gab sein Geschäft auf, sie kündigte die Wohnung. Die Familie zog nach Karakosch. Die damalige Kleinstadt in der Nineve-Ebene, auf halber Strecke zwischen der Kurdenmetropole Erbil und der damals noch zweitgrößten Stadt Iraks, Mossul, versprach ein sicherer Hafen für bedrohte Christen zu sein.

Innerhalb kurzer Zeit wuchs Karakosch von ehedem 25.000 Einwohnern auf das Doppelte an. Eine Mauer wurde um die Stadt gezogen, ein einziger Checkpoint errichtet, kontrolliert von kurdischen Peschmerga-Soldaten. Die Einwohner fühlten sich sicher. Auch Nehla und ihre Familie. Wohnten sie anfangs noch bei Verwandten, fanden sie dann schnell eine eigene Bleibe und bauten ein bescheidenes Haus. Ihr Mann reparierte Autos, es ging aufwärts.

Doch dann kam der IS und nahm die Stadt Karakosch ein. Panikartig hatten kurz vor dem Angriff fast alle Einwohner die Stadt verlassen. Als die Dschihadisten kamen, war Karakosch leer. Auch wenn die irakische Armee Karakosch offfiziell zurückerobert hat, will niemand zurückgehen. Die Angst sitzt tief.

Kein Alkohol, kein Geld

Angesichts der vielen Flüchtlinge, die im Irak unterwegs sind, sinkt die Hilfsbereitschaft für die vielen Menschen in Not. "Es gibt kaum noch Hilfsbereitschaft", meint Lagerbetreuerin Eileen. Am Anfang seien alle großen Hilfsorganisationen tätig geworden, hätten Strom in jeden Wohnwagen gelegt, Luftbefeuchter installiert, Treibstoff für die Generatoren besorgt, Kinderspielplatz und Kindergarten finanziert. "Jetzt konzentriert sich die Hilfe auf Mossul", sagt Eilenn.

Bild: DW

Unterdessen haben Nehla und ihre Mutter angefangen, gefüllte Bulgurklöße, genannt "Kubba", herzustellen. In der Küche eines Wohnwagens des "Jungfrau Maria Camps" brodelt und brotzelt es. Nehlas Mann hat eine Arbeit als Fahrer bei einem Alkoholgroßhändler gefunden, ein Geschäft, das nur Christen vorbehalten ist.

Muslime bekommen im Irak keine Genehmigung zur Herstellung, zum Import oder Verkauf von Alkohol. Anfang November hat das irakische Parlament mit einer schiitisch-muslimischen Mehrheit für ein landesweites Alkoholverbot gestimmt. Die Christen bangen nun um die nächste Domäne ihrer Existenz. Christenpolitiker Yonadam Kanna will vor den Obersten Gerichtshof ziehen und gegen das Verbot klagen.