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Politik

Der "freche" Journalist und die "tapfere Ana"

15. November 2018

Serbiens Regierungschefin Ana Brnabić stellt sich der DW zum Interview und wird dabei nicht mit Samthandschuhen behandelt. Das Echo spricht für sich. Denn das serbische Publikum ist echten "Hard Talk" nicht gewohnt.

DW - Ana Brnabić bei Conflict Zone
Bild: DW

Die Solidaritätsfront in der Heimat stand. "Der freche und unerzogene Journalist ließ nichts unversucht, um die Premierministerin zu provozieren! Von ihren Antworten beschämt senkte er seinen Kopf." So zupackend titelte das Belgrader Boulevardblatt "Alo!" seinen Bericht über den Auftritt der serbischen Premierministerin Ana Brnabić in "Conflict Zone", dem TV-Interview-Format der Deutschen Welle am Mittwoch.

"Die Regierungschefin Serbiens zeigte eine noch nie gesehene Tapferkeit", sprang die staatliche Traditionszeitung "Politika" der Regierungschefin zur Seite. "Ana pustete den deutschen Journalisten weg", posaunte sogar das Online-Portal "Republika" über den Auftritt Brnabics' bei der DW.

"Frech und schlecht erzogen" soll dabei der Journalist Tim Sebastian gewesen sein, der durch seine Hard-Talk-Interviews bekannt ist. Im Hetzblatt "Informer" firmierte der Brite als CNN-Journalist - eine offensichtliche Verwechselung mit der BBC, für die Sebastian lange Jahre als Journalist arbeitete. Aber solche Kleinigkeiten kümmern die regierungstreuen Journalisten in Serbien wenig: DW, CNN, BBC - das seien sowieso alles Provokateure, so der allgemeine Tenor.

"Mit allen Fragen gescheitert"

Das Interview, das DW-Serbisch in voller Länge publizierte, schlug hohe Wellen in der Öffentlichkeit und auch im Netz. Nicht etwa weil Brnabić zitatreife Statements lieferte, sondern weil das serbische Publikum in den eigenen weitgehend gleichgeschalteten Medien kritische Interviews wie jene von Sebastian, kaum noch kennt.

Im Westen ausgebildet, parteilos, lesbisch: Ana Brnabic startete als politische Hoffnungsträgerin in SerbienBild: DW/M. Martin

"Das ist ihre rote Linie, oder?", fragte er mehrmals als klar wurde, dass die serbische Regierungschefin weiterhin nicht bereit ist, das Massaker an bosnischen Muslimen in Srebrenica 1995 als "Völkermord" zu bezeichnen. "Ein schreckliches, schreckliches Verbrechen" sei das gewesen, sagte Brnabić, und blieb damit ganz auf der Linie, die alle bisherigen Regierungen in Serbien vertreten haben.

Brnabić behauptete sogar, Serbien sei im ex-jugoslawischem Raum "mit Abstand das beste Beispiel dafür, wie man sich mit Kriegsverbrechen auseinandersetzt". Eine Bewertung, die nur wenige nachvollziehen können. "Fast die Hälfte des Interviews war den Kriegsverbrechen gewidmet, denn das ist ein wichtiges Thema für Serbien und die Region. Ana Brnabić scheiterte bei allen Fragen", twitterte die serbische Menschenrechtsaktivistin Anita Mitić.

Dabei erschien Brnabić - im Westen ausgebildet, parteilos und offen lesbisch - vielen als politische Hoffnungsträgerin als sie im Juni letzten Jahres zur Premierministerin gewählt wurde. Doch sie passte sich dem Regierungsstil der allmächtigen Fortschrittspartei und Präsident Aleksandar Vučić schnell an.

Vučić, noch vor wenigen Jahren ein entschiedener Nationalist, der seine Vorliebe für die EU erst spät entdeckte, regiert das Balkanland seit sechs Jahren mit eiserner Hand und gilt als Sinnbild einer "Stabilokratie". So werden Balkan-Regime genannt, in denen auch die EU Stabilität vor Demokratie stellt.

"Kann ich etwas sagen?"

"Warum werden in Serbien kritische Journalisten als Verräter und Fremdagenten bezeichnet?", fragte Sebastian. Und: "Wann lässt die Politik die Justiz endlich aus dem Würgegriff?" Fragen wie diese, die Sebastian in seinem typisch hartnäckigen Stil mit Nachdruck stellte, machten ihn zum Thema regierungstreuer Medien. "Kann ich etwas sagen oder wollen sie sich selbst interviewen?", konterte Brnabic und erntete dafür medialen Beifall in der Heimat. 

Lob für den Hard-Talk des Moderators kam überwiegend von Oppositionspolitikern und aus dem Netz. Neben einigen auflageschwachen Zeitungen und einem Kabelsender sind die sozialen Netzwerke der einzig verbliebene Raum für politische Kritik in Serbien.

Brnabic und Merkel beim "Western Balkan Summit" im Juli 2017 in TriestBild: Getty Images/AFP/T. Fabi

Das Interview sei ein Beweis dafür, "dass es keine Demokratie gibt ohne freie Medien und professionelle Journalisten. Wir brauchen sie auch hier in Serbien“, meinte dazu Dragan Đilas, der frühere Bürgermeister von Belgrad, der heute das stärkste Oppositionsbündnis anführt. Das Gespräch mit der DW habe gezeigt, dass die Regierung keine politische Perspektive habe.

Retterin vor dem Staatssbankrott?

Eine Nachrecherche einiger Aussagen der serbischen Ministerpräsidentin durch DW-Serbisch lassen Zweifel an ihrer sachlichen Darstellung aufkommen. Beispielsweise lobte Brnabic ihre Regierung und die Fortschrittspartei dafür, das Land vor einem Bankrott gerettet zu haben. Serbien sei heute Weltmeister im Anwerben ausländischer Investoren. Solche Interpretationen kursieren nahezu täglich in Serbien - und sind meistens frei erfunden.

Der Fakten-Check ergibt ein ganz anderes Bild: 2012 war das Land noch mit 17,6 Milliarden Euro verschuldet - heute sind es sechs Milliarden mehr. Und die Weltbank listet über 50 Länder auf, die im letzten Jahr mehr ausländische Investitionen angelockt haben als Serbien: darunter Ghana, Äthiopien und Peru.

Die Verdrehung von Tatsachen gilt unter kritischen politischen Beobachtern in Serbien als "Königsdisziplin" des starken Mannes in Belgrad, Aleksandar Vučić. Mit ihrem DW-Interview bei "Conflict Zone" lieferte Ana Brnabić allerdings eine Bewerbung um Platz zwei in dieser Disziplin, twitterte eine Kritikerin. "Sie ist nicht mehr nur Mitläuferin, sondern auch Täterin."

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