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Der Geschmack der Worte

20. Januar 2010

Die Japanerin Yoko Tawada lebt seit den 1980er Jahren in Deutschland. Sie gilt unter den Chamisso-Preisträgern als außergewöhnliche Sprachakrobatin und wandelt literarisch zwischen dem Deutschen und Japanischen.

Die Schriftstellerin Yoko Tawada (Foto: Aygül Cizmecioglu)
Yoko TawadaBild: DW

Eine weiße Schneedecke liegt an diesem Wintertag über dem Bahnhof Zoo. Menschengewusel, Bratwurststände und knallbunte Leuchtreklamen beherrschen den einst wichtigsten Verkehrsknotenpunkt Berlins. Mittendrin eine kleine zierliche Frau, eingehüllt in einen dicken Steppmantel. Die pechschwarzen Haare sind bedeckt mit Schneeflocken. Yoko Tawada eilt mit schnellen Schritten in die S-Bahn. Die Hektik um sie herum nimmt sie inzwischen kaum wahr.

Vor rund 30 Jahren war das noch ganz anders. Dieser heute etwas heruntergekommene, schmuddelige Ort, war ihre erste Begegnung mit Deutschland. "Ich kam 1979 mit dem Zug hier an", erinnert sie sich. "Alles glänzte hier, war voller Pracht. Eine Art Schaufenster des Westens."

Staunen über die Welt

Dieser erste Eindruck von Orten, der überraschende Blick auf Dinge – all das ist für Yoko Tawada immer noch wichtig. Die 49-Jährige webt ihr Staunen auf die Welt in ihre Literatur ein. Die Tochter eines Buchhändlers kopierte und verteilte schon mit zwölf Jahren ihren ersten Roman. Deutsch lernte sie in der Schule und brach mit 19 aus der Enge der japanischen Gesellschaft aus. Nach einer Odyssee durch die halbe Welt landete sie in Deutschland.

Inzwischen schreibt sie sowohl in ihrer Muttersprache Japanisch als auch auf Deutsch. "Im Deutschen kann ich mich noch genau erinnern, wann ich die Wörter das erste Mal gehört habe", sagt Yoko Tawada. Diese Begeisterung des Anfängers versuche sie heute für ihr Schreiben zu nutzen. "Deutsche Wörter sind wie fremde Gegenstände für mich. Ich lege sie auf den Tisch und spiele mit ihnen."

Literatur als Spiel

Lust an der Form: Yoko Tawadas aktueller Roman "Schwager in Bordeaux"Bild: DW

Genau dieses Spielerische prägt die Literatur von Yoko Tawada, und dafür wurde sie auch 1996 mit dem Adelbert von Chamisso-Preis ausgezeichnet. In ihren Büchern benutzt sie oft die westliche Kultur als Steinbruch für ihre Geschichten. So verwandelte sie in "Opium für Ovid" die Figuren aus den "Metamorphosen" in heutige Frauenfiguren, benutzte in "Das nackte Auge" Filmklassiker als Folie für einen halluzinatorischen Trip. Die Grenzen zwischen Phantasie und Realität verwischen in ihren Texten. Selbst die Worte bekommen einen Körper, verändern ihren Geschmack wie in ihrem letzten Buch "Schwager in Bordeaux":

Yuna war hungrig, wollte wieder an einer neuen Sprache knabbern. […] Sie aß sogar Wörterbücher Seite für Seite auf, um Vokabeln zu lernen. Daher wusste sie, dass einige Verlage knuspriges Papier benutzten, andere faseriges oder mehliges. Beim Erlernen der Sprachen verwandelte sich ihr Schreibtisch in einen Esstisch und ihr Bleistift in ein Stäbchen.

Schönheit der Buchstaben

Die Geschichte einer Japanerin, die für einen Sprachkurs nach Frankreich reist, hat Yoko Tawada als Verwirrspiel konzipiert. Rückblenden, Momentaufnahmen reihen sich assoziativ aneinander. Wie so oft ist der Inhalt ihrer Bücher schwer nachzuerzählen, dafür besticht das Grafische, Plastische der Sprache umso mehr. Vielleicht weil Yoko Tawada in Japan aufwuchs, in einer Kultur, die die Schönheit der Schriftzeichen genauso schätzt wie ihre Bedeutung.

Als sie anfing Deutsch zu lernen, war sie begeistert von den Gedichten Paul Celans und Ingeborg Bachmanns. "Ich verstand zwar kein Wort, konnte mich aber nicht satt sehen an den Buchstaben", gesteht sie. Die Lust an der Form spiegelt sich auch in Yoko Tawadas aktuellem Roman "Schwager in Bordeaux" wider. Jedem Abschnitt hat sie ein japanisches Schriftzeichen vorangestellt.

"Es ist nicht wichtig, ob meine Leser die Bedeutung verstehen oder nicht", meint sie. "Für mich sind die Schriftzeichen eine Art Stolperstein. Damit einem beim Lesen bewusst wird, dass in der Literatur immer etwas unaufgelöst bleibt."

Geschichten des Transits

Yoko Tawada in BerlinBild: DW

Das Unbekannte, nicht Vorhersehbare ist die Antriebsfeder von Yoko Tawadas Literatur. Gerade deswegen schickt sie viele ihrer Figuren auf Reisen - nach Marseille, Berlin, an die Nordseeküste. Geschichten des Transits, Schwebezustände zwischen Ankunft und Abfahrt. So wie ihr eigenes Leben, getaktet nach Lesungen, Stipendien im Ausland.

"Fremdheit ist für mich dennoch ein schwieriger Begriff", wirft Yoko Tawada ein. "Ich habe das Wort erst in Deutschland kennengelernt und weiß immer noch nicht genau, was es beschreibt." Sie fühle sich vertraut zu ihren Freunden hier. Doch wenn Fremdheit Distanz bedeutet, von außen auf Dinge zu schauen, "ja dann fühle ich mich hier fremd", meint sie. So könne sie vieles klarer sehen.

Deswegen ist ein Leben zwischen Kulturen und Sprachen für Yoko Tawada kein Problem. Multikulturalität ist für sie längst Wirklichkeit und essentiell für ihr Schreiben. Sie hat sich ein literarisches Universum erschaffen, in dem Wörter und Welten sich permanent verändern. Denn das Eigene allein sei viel zu langweilig.

Autorin: Aygül Cizmecioglu
Redaktion: Gabriela Schaaf


Yoko Tawada: Schwager in Bordeaux. Roman. Konkursbuch Verlag 2008. 120 Seiten, 12,90 Euro.