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Der Gipfel der großen Worte

Barbara Wesel, Brüssel24. September 2015

Die EU-Innenminister hatten sich noch gestritten - die Regierungschefs setzen jetzt auf versöhnliche Töne. Mit Geld und großen Plänen wollen sie die Ursachen der Flüchtlingskrise bekämpfen. Aus Brüssel: Barbara Wesel.

Flüchtlinge / EU-Gipfel / Brüssel / Merkel
Bild: picture-alliance/AA

Sieben Stunden haben die EU-Regierungschefs über die Flüchtlingskrise gesprochen - sieben Stunden, ohne dass der grundsätzliche Streit etwa zwischen ost- und westeuropäischen Ländern über die Flüchtlingsverteilung ausgeräumt wurde.

Das gelang ganz einfach dadurch, dass man den Streit ausklammerte - über die Verteilung von Flüchtlingen in Europa wurde nicht mehr gesprochen. "Das Klima war konstruktiv", betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel, man sei sich einig, dass man die Herausforderungen nur gemeinsam bewältigen könne. Und dreimal wiederholte sie dabei, wie wichtig und produktiv das Gipfeltreffen mit ihren europäischen Kollegen gewesen sei – kein Wunder, sie hatte schließlich auf dessen Einberufung gedrungen.

Wenig Einigkeit, viel Geld

Beeindruckend sind die konkreten Ergebnisse aber allenfalls finanziell: Zwei Milliarden Euro wollen die EU-Staaten aufbringen, um die Versorgung der vorwiegend syrischen Flüchtlinge in den Nachbarländern zu verbessern. Die Hälfte soll dabei an das Welternährungsprogramm und das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen gezahlt werden, die beide seit Monaten über akute Finanznot klagen. Die zweite Milliarde ist vor allem für die Türkei gedacht, weitere Millionensummen sollen für Libanon und Jordanien aufgebracht werden - in diesen Nachbarländern Syriens leben mehr als vier Millionen syrische Flüchtlinge in grenznahen Lagern.

Um sie geht es: Flüchtlinge, hier in der Türkei und auf dem Weg nach WestenBild: Reuters/O. Orsal

Man müsse deren Lage verbessern, erklärte die Bundeskanzlerin, damit sie nicht den Weg nach Europa antreten. Die Türkei sei überhaupt ein ganz wichtiger Partner, auch was die Sicherung der Außengrenzen angehe. Schon Anfang Oktober gibt es ein Treffen mit dem türkischen Ministerpräsidenten in Brüssel. Da wollen die Spitzen der EU wohl auf ihn einwirken, mehr gegen die Massenflucht von türkischem Boden aus zu unternehmen. Die Frage ist nur, warum er den Europäern diesen Gefallen tun sollte.

Kaum konkrete Lösungsansätze

Was die EU nun für die inzwischen von allen geforderte Sicherung ihrer Außengrenzen tun will, das blieb offen. Die EU-Kommission will noch bis Ende des Jahres einen Vorschlag vorlegen, wie ein gemeinsamer Grenzschutz aussehen könnte. Das aber ist ein sehr heikles Thema, weil es einen Eingriff in die Souveränitätsrechte etwa von Italien und Griechenland bedeuten würde. Beide Länder sind mit der Sicherung ihrer Seegrenzen überfordert, aus erkennbaren Gründen aber wären massive Militäreinsatze im Mittelmeer zur Abwehr von Flüchtlingen keine Lösung dieses Problems. Die Frage bleibt also weiter offen.

Hatte auf den Gipfel gedrungen: Bundeskanzlerin MerkelBild: Reuters

Stattdessen zaubern die Regierungschefs an diesem Punkt der Debatte wieder einmal die magischen "Hotspots" aus dem Hut, über die schon seit Jahren diskutiert wird. Das sollen Sammelzentren in den Ankunftsländern in Südeuropa werden, wo Flüchtlinge nach einer ersten Prüfung sofort in Schutzbedürftige und vermutliche Wirtschaftsmigranten unterteilt werden.

Hotspots? Bisher nur Grundstücke und Ideen

Letztere sollen dann umgehend auf die Rückreise gehen. Schon ab November sollen solche "Hotspots" die Arbeit aufnehmen, betonte die Bundeskanzlerin. Das ist jedoch kaum machbar: Nur im sizilianischen Catania gibt es bisher überhaupt ein Beratungsbüro der Grenzschutzagentur Frontex, das den italienischen Behörden bei der Registrierung von Flüchtlingen hilft. In der griechischen Hauptstadt existiert im Hafen von Piräus bislang nur ein leeres Grundstück, erste Gespräche über die Einrichtung eines Zentrums haben begonnen. Bulgarien hat jetzt bekundet, es wolle sich auch am System beteiligen.

Bisher allerdings sind in den Gedankenspielen keine riesigen Lager vorgesehen, in denen Flüchtlinge auf ihre Weiterverteilung in Europa oder auf ihre Rückführung warten sollen. Wie das funktionieren solle, wurde auch Frankreichs Präsident François Hollande gefragt: Ob man die Flüchtlinge denn dort internieren und bewachen wolle? Darauf hatte auch er keine Antwort - es sei wichtig dass die Rückführung abgelehnter Bewerber schnell gehe. Die Sache mit den Hotspots ist erkennbar noch nicht ausgegoren.

Wie schlimm es in Jordaniens Flüchtlingslagern ist, das kann Merkel von ihrem Vizekanzler erfahren - er war gerade dortBild: picture-alliance/dpa/B.v. Jutrczenka

EU will Frieden schaffen im Nahen Osten

"Wenn wir die Flucht-Ursachen nicht bekämpfen, wollen die Leute weg", fasste die Bundeskanzlerin die außenpolitische Debatte bei diesem Gipfel zusammen. Die EU müsse jetzt noch intensiver an der Einsetzung einer Einheitsregierung in Libyen arbeiten - ein Ziel das sie seit einem Jahr erfolglos verfolgt.

Und was Syrien angeht, wo die Europäer sich für eine neue Friedensinitiative stark machen wollen, kennt Angela Merkel keine Berührungsängste mehr: "Man muss mit vielen Akteuren sprechen, mit dem Iran, den Saudis, Assad, Putin und anderen regionalen Kräften." Der französische Präsident, dessen politische Nähe die Bundeskanzlerin derzeit wieder sucht, äußerte sich da deutlich skeptischer zur möglichen Rolle von Assad bei einem Friedensprozess.

Am Ende räumte auch die Bundeskanzlerin ein, dass das Treffen nur "einer der vielen notwendigen Schritte" zur Lösung der Krise gewesen sei. Zumindest gab es wohl eine gewisse Klimaverbesserung unter den Gesprächspartnern nach dem Streit der vergangenen Wochen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nannte die Stimmung sogar "exzellent". So oft wie an diesem Abend die Gemeinsamkeit und die Verantwortung der Europäer beschworen wurden, so sehr hatte die Aufgabe wohl vor allem darin bestanden, aufgerissene Gräben wieder halbwegs zuzuschütten.

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