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Politik

Der Gipfel der Uneinigkeit

Barbara Wesel
21. Juni 2019

Keine Mehrheit für einen neuen EU-Kommissionspräsidenten - das Personalpoker für die Topjobs bei der EU geht weiter. Auch bei den Klimazielen für 2050 konnten sich die EU-Staats- und Regierungschefs nicht einigen.

EU-Gipfel in Brüssel | Angela Merkel, Bundeskanzlerin
Bild: Reuters/Y. Herman

Ein doppeltes Scheitern stand am Ende dieses EU-Gipfeltages. Das Bekenntnis zur Klimaneutralität bis 2050 fand sich auf der Tagesordnung, aber die nötige Einstimmigkeit bei den Staats- und Regierungschefs wurde verfehlt. Und bei der Neubesetzung der Spitzenposten in der Europäischen Union wird das Scheitern Angela Merkel und Emmanuel Macron angelastet: Sie hätten sich nicht auf eine gemeinsame Personallösung einigen können. Schon in zehn Tagen wird es einen weiteren Gipfel und zweiten Versuch geben, um die komplexe Machtbalance in den europäischen Führungsetagen herzustellen.

Der Kampf um die Topjobs

"Es gab keine Mehrheit für einen der Spitzenkandidaten", erklärte Angela Merkel nach dem Treffen lapidar. Damit sind die drei Kandidaten aus der Europawahl, der Deutsche Manfred Weber für die konservative Europäische Volkspartei, die Dänin Margrethe Vestager für die Liberalen und der Niederländer Frans Timmermans für die Sozialdemokraten, aus dem Spiel. Keiner von ihnen verfügt über eine Mehrheit im Parlament - und die Regierungschefs haben klar gemacht, dass ihnen auch im Rat die Zustimmung fehlt.  

Gesucht wird in diesem großen Personalkarussell, das in der EU alle fünf Jahre ansteht, ein neuer Präsident für die EU-Kommission, denn Amtsinhaber Jean-Claude Juncker tritt nicht mehr an. Gleichzeitig wählen Parlament und Rat der Regierungen neue Präsidenten. Darüber hinaus muss der Posten des EU-Außenbeauftragten neu besetzt werden und zum Ende des Jahres - vielleicht wichtigster Job von allen - der Chefsessel bei der Europäischen Zentralbank.

Manfred Weber wäre nach dem Spitzenkandidaten-Prinzip eigentlich erste Wahl für das Amt des EU-KommissionspräsidentenBild: picture-alliance/ZUMAPRESS/Le Pictorium Agency/N. Landemard

Seit Wochen kursieren in der Presse die Namen von Kandidaten, wobei Manfred Weber, als Vorsitzender der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, den stärksten Anspruch geltend machte. Geht es nach dem Willen des Rates, sollen allerdings nach Jahrzehnten der Männerdominanz endlich auch zwei Frauen für die europäischen Topjobs benannt werden. Darauf hatten die Staats- und Regierungschefs sich vorab festgelegt. Außerdem müssen osteuropäische Länder in dem Personaltableau vorkommen, neben der EVP auch Sozialdemokraten und Liberale zufrieden gestellt sowie Nord und Süd berücksichtigt werden.

Und es gibt zwangsläufige Konsequenzen aus verschiedenen Konstellationen. Wenn Deutschland nach dem Absturz der Kandidatur von Manfred Weber keinen der Spitzenposten bekommt, dürfte auch Frankreich leer ausgehen. Ratspräsident Donald Tusk sagte am Ende der Sitzung nach Mitternacht: "Wir brauchen ein (Personal-)Paket, dass die Verschiedenheiten in der EU reflektiert." Idealbesetzung wäre also wegen des internen Gleichgewichts eine Frau aus einem osteuropäischen Land für die EU-Kommission. Genannt wird da vor allem die Weltbank-Direktorin und frühere EU-Kommissarin Kristalina Georgieva aus Bulgarien.

Was wird aus der Idee der Spitzenkandidaten?

Was der freihändigen Ämterverteilung durch die Staats- und Regierungschefs im Wege steht, ist darüber hinaus der seit der vergangenen Europawahl entstandene Anspruch des Parlaments, durch seine sogenannten Spitzenkandidaten den Mitgliedsländern einen Bewerber quasi vorzuschreiben. Obwohl nach den Europäischen Verträgen der Rat über den Kommissionspräsidenten entscheidet, muss er sich mit dem Parlament dabei abstimmen.

Besonders intensiv hat die EVP diesen Plan betrieben und ihren Vorsitzenden Manfred Weber schon vor Weihnachten vergangenen Jahres als Kandidaten nominiert. Seitdem tourte der Bayer unermüdlich durch die Hauptstädte und zuletzt im Wahlkampf auch durch die EU-Mitgliedsländer, um Unterstützung zu suchen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich dabei immer wieder zum Spitzenkandidaten-Prozess und zu ihrem Parteifreund Weber bekannt. Allerdings fanden Beobachter häufig, ihre Unterstützung wirke etwas halbherzig. Und sie nahm jetzt auch umgehend Abstand.  

Wie kam es zum Aus für Manfred Weber ?

Die Bundeskanzlerin weiß längst, dass Frankreichs Präsident den deutschen Kandidaten nicht will. Nicht weil er ein Konservativer, sondern weil er zu unerfahren sei, erklärte Emmanuel Macron. Weber hatte noch nie ein Regierungsamt inne, er aber wolle jemanden, mit dem er "auf Augenhöhe" verhandeln könne. Und die Ablehnungsfront gegen den Bayern ist mit Spanien, Portugal, den Niederlanden, Belgien und anderen hinreichend groß, um seinen Erfolg im Rat unmöglich zu machen.

Außerdem fehlt ihm eine Mehrheit im Europaparlament. Die EVP hat bei der Europawahl Sitze verloren. Sie ist zwar noch stärkste Fraktion, aber der Anspruch auf den Posten des Kommissionspräsidenten ist nicht mehr zwingend. Und die durch Macrons En-Marche-Partei gestärkten Liberalen wie auch die Sozialdemokraten haben ihm die Unterstützung verweigert.  

Wegen dieser Pattsituation im Parlament ging der Ball zurück ins Feld der Regierungen. Sie müssen die Blockade auflösen und ein Personalpaket vorschlagen, das wiederum für das Parlament zustimmungsfähig ist. In diesem Machtkampf zwischen Rat und EP haben die Parlamentarier die erste Runde verloren. Für den Spitzenkandidaten-Prozess gibt es eine neue Chance vielleicht bei der nächsten Europawahl.

Klimaziel als Fußnote

Nicht nur bei der Personalfrage gab es keine Einigung, auch bei dem Thema Klimaziel bewegte sich nichts. Zuletzt hatte noch Berlin eingelenkt und es gab die Hoffnung, dass die EU Geschlossenheit zeigen und sich auf die "Klimaneutralität bis 2050" verpflichten könnte. Damit niemand überfordert würde, war dieses Ziel ziemlich verwässert worden: Nationale Umstände und der nationale Energiemix sollten dabei berücksichtigt werden. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte noch beim Beginnen des Treffens beschworen, es werde einen wachsenden Konsens dafür geben, ehrgeizige Beschlüsse zu fassen.

Emmanuel Macron (l.), Donald Tusk und Angela MerkelBild: Getty Images/AFP/K. Tribouillard

Nach mehrstündigen Beratungen aber reichte es nicht zu einer Einigung. Die Europäische Union musste das Klimaziel 2050 in die Fußnote des gemeinsamen Beschlusses verschieben. Im Text gibt es einen Verweis auf das "Pariser Abkommen" und unten auf der Seite wird angemerkt, dass die meisten EU-Länder dies als Klimaneutralität bis 2050 verstehen würden.

Grund für den Fehlschlag war vor allem der Widerstand der polnischen Regierung, die von Ungarn und Tschechien unterstützt wurde – die Visegrad-Front ohne Slowakei. Klimaschutz-Organisationen kritisieren dieses Ergebnis scharf: "Die EU muss das auf dem nächsten Treffen vor dem UN-Gipfel im September reparieren. Sonst wird sie von einem Anführer in Klimafragen zu einem Verlierer", schrieb CAN, das europäische Klima-Aktions-Netzwerk. Auch Greenpeace reagiert enttäuscht: "Merkel und Macron haben es nicht geschafft, Polen zu überzeugen und die anderen an Bord zu bringen." Und Ska Keller, Grünen-Fraktionschefin im Europaparlament, nennt es eine Schande, dass es den Staats- und Regierungschefs nicht einmal gelungen sei, sich auf dieses Fernziel zu einigen. 

Die NGO "Friends of the Earth" kritisiert darüber hinaus, dass der Klimaschutz auch im Fünf-Jahres-Plan und im nächsten Haushalt der EU zu schwach vertreten sei. Zwar werde anerkannt, dass Europa handeln müsse, aber die Staats- und Regierungschefs müssten mehr Führungskraft zeigen, um innerhalb der nächsten Jahre gegen den Zusammenbruch des Klimas und des Ökosystems vorzugehen.

Einziger Verhandlungserfolg bei diesem Treffen: Man konnte sich darauf einigen, die Sanktionen gegen Russland wegen der Annexion der Krim und der Situation in der Ost-Ukraine erneut um ein halbes Jahr zu verlängern.

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