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Politik

Der Gruevski-Krimi

26. November 2018

Recherchen der Deutschen Welle deuten darauf hin, dass Ungarn Nikola Gruevski half, aus Mazedonien zu fliehen. Ein Dilemma für Skopje, denn das könnte die euroatlantische Integration des Landes gefährden.

EU fordert Ungarn auf Asyl für ehem. mazedonische Ministerpräsident zu erklären
Steht buchstäblich hinter ihm: Orban (re.) und sein Asylant Gruevski Bild: Reuters/O. Teofilovski

Die Flucht des mazedonischen Ex-Premiers aus seiner Heimat nach Ungarn gleicht einem Politthriller. Sogar Nikola Gruevskis erklärter Schutzpatron Viktor Orbán nennt sie mit einer gewissen Nonchalance inzwischen eine "interessante Geschichte, aufregend wie alle Krimis".

Die meisten Einzelheiten dieses Krimis sind bekannt und offiziell bestätigt: Gruevski ist wegen Korruption rechtskräftig zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, weitere vier Verfahren laufen. Statt zum Haftantritt in Skopje erschien er am 10. November in der ungarischen Botschaft in Tirana. Tags darauf wurde er von ungarischen Diplomaten in Botschaftsfahrzeugen über Montenegro und Serbien bis nach Ungarn begleitet, wo er am Morgen des 12. November ankam.

Ungeklärt ist jedoch, wie Gruevski aus Mazedonien nach Albanien floh. Die mazedonische Regierung tut sich schwer mit einer Antwort. Kein Wunder: Egal, wie sie ausfällt - sie wirft ein schlechtes Licht auf das Reformkabinett unter Premier Zoran Zaev. Entweder war seine Regierung nicht kompetent genug, Gruevski trotz dessen bekannter Fluchtabsichten zu überwachen oder aber sie ließ den verurteilten Straftäter stillschweigend entkommen. Besonders unangenehm: An diesem Donnerstag diskutiert das Europaparlament über die Lage in Mazedonien - dabei wird auch der Fall Gruevski zur Sprache kommen.

April 2017 - Anhänger des ehemaligen Premiers Gruevski stürmen das Parlament in SkopjeBild: picture-alliance/dpa/B. Grdanoski

Gruevskis vier Wohnungen: Zwei als Tarn-Adressen?

Ein Rechercheteam der Deutschen Welle hat nun Einzelheiten zur Flucht des Ex-Premiers aus Mazedonien nach Albanien zusammengetragen. Demnach hat der mazedonische Ex-Premier in seinem persönlichen Umfeld den Eindruck erweckt, als bereite er sich auf den Haftantritt vor, während er in Wirklichkeit seine Flucht nach Ungarn via Albanien plante. Dabei, so ergeben die Recherchen, könnten ihm auch ungarische Diplomaten geholfen haben. Reporter der Deutschen Welle sprachen mit Nachbarn Gruevskis, Mitarbeitern des Hotels Marriot in Skopje, in dem Gruevski zuletzt gesehen wurde, Mitarbeitern aus der Abteilung Personenschutz des Innenministeriums, die auch für Gruevski verantwortlich waren, sowie Beamten von Finanz- und Justizbehörden.

Nach Informationen der Deutschen Welle nutzte Gruevski in seinem Wohnhaus im Zentrum von Skopje insgesamt vier Wohnungen, obwohl ihm offiziell nur zwei gehören. Die beiden anderen könnte er vor Fluchtbeginn benutzt haben, um seinen Aufenthalt zu verschleiern. In den Tagen vor seiner Flucht soll Gruevski seinen sechs Leibwächtern zahlreiche Fragen zur Logistik mazedonischer Gefängnisse gestellt und sie angewiesen haben, ihm gefängnisgerechte Kleidung zu kaufen. Sie hatten daher den Eindruck, er wolle seine Haft antreten. Kontakt mit ihnen hatte er zuletzt am Abend des 8. November. Zugleich soll Gruevski in den Tagen vor seiner Flucht insgesamt rund 100.000 Euro von seinen mazedonischen Bankkonten abgehoben haben.

Zuletzt will ein Zeuge, den die Deutsche Welle befragte, Gruevski am Abend des 8. November gesehen haben, als er das Hotel Marriott in Skopje verließ, das seinem Cousin Saso Mijalkov gehört, dem früheren gefürchteten Geheimdienstchef Mazedoniens. Mijalkov wohnte bis zu seiner Verhaftung am 21. November in dem Hotel. Mehrere Quellen bestätigten der Deutschen Welle, dass sich in den letzten drei Wochen in der Tiefgarage des Marriot mehrmals Fahrzeuge der diplomatischen Vertretung Ungarns in Belgrad befunden hätten. Das könnte darauf hindeuten, dass ungarische Diplomaten Gruevski bei der Fluchtplanung halfen.

Flucht ohne Hilfe kaum denkbar

Auf Anfrage der Deutschen Welle wollte ein Sprecher der ungarischen Regierung sich nicht zu diesen Informationen äußern. Er verwies auf frühere Aussagen, denen zufolge die ungarische Regierung nicht an der Flucht Gruevskis aus Mazedonien nach Albanien beteiligt gewesen sei. Der Politologe und Außenpolitik-Experte András Rácz vom Budapester Institut Political Capital hält das jedoch für unwahrscheinlich. "Gruevskis Weg von der Botschaft in Tirana über Montenegro und Serbien bis nach Ungarn wirkt äußerst gründlich organisiert", so Rácz. "Angesichts dessen wäre es nach meiner Ansicht merkwürdig, wenn die ungarische Regierung Gruevski nicht auch bei der Flucht aus Mazedonien geholfen hat oder jedenfalls in die Details eingeweiht war."

Schon lange beste Freunde: Gruevski 2012 zu Besuch bei Orban in Budapest Bild: picture alliance / dpa

So sieht es auch die Oppositionspolitikerin und unabhängige Parlamentsabgeordnete Bernadett Szél. "Im Mosaik der Informationen erscheint die Behauptung der Regierung, sie habe mit Gruevskis Flucht aus Mazedonien nichts zu tun, fragwürdig", sagt Szél. Vergangene Woche erkundigte sich Szél in der ungarischen Asylbehörde BMH nach Einzelheiten von Gruevskis Asylverfahren - als Abgeordnete hat sie das Recht dazu. Ihr Fazit: "Eine Rechtsgrundlage für Gruevskis Transfer durch drei Westbalkan-Länder und die Einreise nach Ungarn gibt es nicht. Dazu bedurfte es politischer Entscheidungen und einer rechtzeitigen und sorgfältigen Organisation der Flucht in möglichst allen Abschnitten."

Mazedoniens Problem mit der NATO

Die Regierungen beider Länder, besonders allerdings die mazedonische, geraten durch die neuen Informationen zunehmend in ein Dilemma. Für Mazedonien steht im kommenden Jahr die NATO-Aufnahme und der Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen an. Die Befürchtung Mazedoniens: Ungarn könnte beides blockieren, wenn die Regierung Zaev in der Causa Gruevski zuviel öffentlichen Druck ausübt. "Griechenland hat die euroatlantischen Bestrebungen Mazedoniens zwei Jahrzehnte lang blockiert", beschreibt der mazedonische Publizist Saso Ordanoski die Lage. "Noch ein Griechenland kann Mazedonien nicht gebrauchen, und Orbán weiß das."

Der Politologe András Rácz glaubt jedoch derzeit nicht, dass Ungarn an einer Eskalation interessiert sei. "Bisher war Ungarns Balkan-Politik kohärent und pragmatisch", sagt Rácz. "Eine Blockade gegenüber Mazedonien würde Ungarn in der EU sehr schaden und im Fall der NATO auch die USA provozieren. Deshalb versucht die Orbán-Regierung den Fall herunterzuspielen und alles auf eine rechtliche Angelegenheit zu reduzieren."

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