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Der Hass nach dem Brexit

Samira Shackle / cr29. Juni 2016

Nach dem Brexit-Votum erlebt Großbritannien einen starken Anstieg an Hasskriminalität gegen Ausländer. Experten warnen vor einer Spaltung der Gesellschaft durch das Referendum. Samira Shackle berichtet aus London.

Protest gegen Rassismus in London (Foto: DPA)
Bild: picture-alliance/Photoshot/H. Yan

Vor einigen Tagen erlebten die Mitarbeiter der Polish Social and Cultural Association (POSK) im Londoner Stadtteil Hammersmith eine böse Überraschung: Auf den Eingang des Gebäudes hatten Unbekannte rassistische Sprüche geschmiert. Kein Einzelfall: In Huntington, in der Grafschaft Cambridgeshire wurden an einer Schule Karten mit der Aufschrift: "Raus aus der EU" und "Kein polnisches Ungeziefer" gefunden. Ein 11-jähriger polnischer Schüler sagte Reportern, die Flugbätter hätten ihn "wirklich traurig" gemacht. In der Gegend hatten die Menschen ähnliche Flyer vor ihrer Haustür gefunden.

"Als Osteuropäerin bin ich besorgt", sagt Ana Petrov aus Bulgarien. Sie lebt seit drei Jahren in Südengland. "Ich habe mir hier eine Heimat aufgebaut. Aber wenn ich jetzt mit jemandem am Telefon bulgarisch spreche, frage ich mich, ob wohl einer gleich schreit, ich solle abhauen. Oder Schlimmeres."

Erste Zahlen der Polizei zeigen eine steile Zunahme von Hasskriminalität seit dem EU-Referendum vergangene Woche. Zwischen Donnerstag und Sonntag stieg die Anzahl der angezeigten Fälle demnach um 57 Prozent, verglichen mit dem gleichen Zeitraum vier Wochen zuvor. Zusätzlich zu den angezeigten Taten kursieren in den Sozialen Netzwerken zahlreiche Berichte über Beschimpfungen und Beleidigungen von Ausländern. "Ich fühle mich plötzlich viel weiter von Zuhause entfernt", sagt die Deutsche Karolin Weber, die in London arbeitet, gegenüber der DW.

Agression gegen EU-Ausländer und Nicht-Weiße

Ein Großteil der Aggression richtet sich gegen Menschen aus EU-Staaten, doch auch nicht-weiße Briten sind betroffen. Die BBC-Journalistin Sima Kotchena wurde als "Paki" beschimpft, während sie über die Reaktionen auf das Brexit-Votum in ihrer Heimatstadt Basingstoke berichtete. Ciaran Jenkins, Reporter für Channel 4 News hörte innerhalb von fünf Minuten drei Menschen rufen: "Schickt sie nach Hause", während er aus der nordenglischen Stadt Barnsley berichtete.

"Die Attacken betreffen hauptächlich Osteuropäer - aber nicht nur", sagt Liz Fekete, Direktorin am Institute of Race Relations. "Wir stellen fest, dass auch muslimische Frauen Ziel sind und auch viele Kinder. Da wird viel Schaden im sozialen Zusammenhalt angerichtet. Es wird viel Zeit und Arbeit brauchen, um das wieder zu reparieren."

Rassistische Schmierereien am Eingang der Polish Social and Cultural Association (POSK) in LondonBild: Reuters

Resultat des Wahlkampfes

Für viele sind diese Ereignisse das natürliche Resultat des polarisierenden und hasserfüllten Wahlkampfes, der besonders auf das Thema Einwanderung fokussiert war. In den letzten Wochen vor dem Referendum zeigte ein Poster der Anti-EU-Partei UKIP Flüchtlinge an der österreichischen Grenze, darüber der Slogan "Breaking Point". Auf Werbetafeln im ganzen Land hieß es: "Halt ze German advance: Vote Leave" (Stoppt den deutschen Vormarsch: Wählt den Austritt).

Diese polarisierende Rhetorik geht weiter. Am Montag lautete die Schlagzeile der Sun: "Wie der Brex gewonnen wurde: Straßen voll polnischer Läden, Kinder, die kein Englisch sprechen… Aber nun weht der Union Jack wieder hoch".

Analysten betonen, dass die Debatte über den Brexit die Fremdenfeindlichkeit vergrößert und ein Anti-Einwanderungs-Klima geschaffen hat. "Für mich ist klar, dass der Wahlkampf vor dem Referendum den Rassismus angeheizt hat", sagt Daniel Trilling, Redakteur des Magazins "New Humanist" und Autor von Büchern über die Rechte in Großbritannien. "Aber es ist auch wichtig zu erkennen, dass dieser Rassismus in Großbritannien auch schon vorher existierte."

Zugleich versuchten rechte Gruppen von dieser generellen Stimmung zu profitieren. Überlicherweise führen sie die Debatte nicht an", sagt Trilling gegenüber der DW. "Es wäre ein Fehler der Menschen, die für den EU-Verbleib gestimmt haben, die Schuld nur bei den Anderen zu suchen. Die Brexit-Befürworter haben ihren Wahlkampf klar auf eine ganze Reihe von rassistischen Mythen fokussiert, etwa den angeblichen EU-Beitritt der Türkei oder die Flüchtlingswelle aus dem Nahen Osten." Aber die Brexit-Gegner hätten auch einwanderungsfeindliche Positionen vertreten. "Es war David Camerons Regierung, die kürzlich das Einwanderungsgesetz verabschiedet hat und Cameron selbst hat von einem "Schwarm" an Flüchtlingen in Calais gesprochen."

Politiker zeigen sich besorgt

Unterdessen hat der britische Premierminister David Cameron Maßnahmen gegen rassistische Übergriffe angekündigt. "Wir werden alles tun, was wir können, um diese widerwärtigen Hassverbrechen aus unserem Land zu verbannen", sagte Cameron im Parlament in London. Die Regierung werde einen Aktionsplan vorlegen, um dem Problem zu begegnen. Auch Londons Bürgermeister Sadiq Khan hatte sich angesichts der Berichte über rassistische Übergriffe besorgt gezeigt. Er rief Scotland Yard dazu auf, besonders wachsam zu sein.

Auch Brexit-Befürworter Boris Johnson lehnt die jüngsten Hassatacken ab: "Diese Taten einer engstirnigen Minderheit werden nicht toleriert werden."

Wunden in der Gesellschaft

"Uns muss klar sein: Solch ein Hass ist abscheulich und falsch. Egal welche Richtung unser Land nun wählt, ein Weg der Intoleranz und der Teilung ist im Interesse von niemandem", sagt Nick Lowles, Direktor der Anti-Rassismus-Organisation "Hope Not Hate". "Es ist an der Zeit, dass wir alle unsere Anstrengungen verdoppeln und uns auf das konzentrieren, was uns vereint und nicht was uns trennt. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Gesellschaft formen wollen und realisiseren, dass wir zusammenhalten müssen, egal was am Donnerstag passiert ist" so Lowles gegenüber der DW.

Nach dem Mord an der Labour-Abgeordneten Jo Cox kurz vor dem Referendum hatte der offenbar rechtsradikale Täter vor Gericht auf die Frage nach seinem Namen geantwortet: "Tod den Verrätern, Freiheit für Britannien". Es bleibt die Frage, wie diese tiefen Wunden in der Gesellschaft geheilt werden können.

"Rassismus ist durch diesen Wahlkampf salonfähig geworden", sagt Fekete. "Wir brauchen eine effektive Antwort der Polizei. Auch Politiker müssen dies klar entlegitimieren, mit Gassenrhetorik erschaffen sie ein Klima für Rassismus. Die Politiker der Leave-Kampagne haben eine besondere Verantwortung und müssen dies klar verurteilen."

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