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Politik

Der "Held vom Breitscheidplatz"

Slawomir Orlik
22. Dezember 2016

Von Italien nach Berlin und zurück nach Stettin - es sollte seine letzte Fahrt in diesem Jahr werden. Für den polnischen Truckfahrer Łukasz Urban endete sie tödlich - er wurde Opfer des Anschlags. Seine Heimat trauert.

Polen Besitzer des LKW's der bei dem Anschlag verwendet wurde
Das letzte Foto des ermordeten Lkw-Fahrers Łukasz UrbanBild: picture alliance/AP Photo/Str

Am heutigen Tag wollte er wieder zuhause sein und bei der Vorbereitung des Weihnachtsfests helfen. In dem kleinen Ort Rożnowo, rund 40 Kilometer südlich von Stettin trauern die Ehefrau und sein 17-jähriger Sohn um Łukasz Urban - der Fahrer des entführten Lkws, den Terroristen am Montagabend als Waffe einsetzten.  

"Er gehörte zu den Zuverlässigsten", beschreiben ihn seine Kollegen und auch  Ariel Żurawski, der Firmeninhaber des Speditionsbetriebs, stimmt ihnen zu. Żurawski ist auch ein Cousin von Urban. Den großen, stämmigen Kollegen nannten sie auf der Arbeit scherzhaft "Inspektor". "Łukasz war sehr genau und ordnungsliebend", sagt sein Cousin. "Bei ihm konnte ich mich immer darauf verlassen, dass alle Fahrzeiten, Gesetze und Verkehrsregel hundertprozentig eingehalten werden. Solche wie ihn, gibt es heute gar nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt". Er sei ein guter Mensch gewesen, sagen auch die schockierten Kollegen.

"Schlechtes Omen"

Ariel Zurawski: "Łukasz war sehr zuverlässig"Bild: picture alliance/AP Photo/Str

Als Żurawski am Montagnachmittag das GPS-Signal des Lkws sah, ahnte er sofort, dass irgendetwas nicht stimmt. "Das Auto sollte vor dem Lager von Thyssenkrupp am Friedrich-Krause-Ufer auf das Abladen warten", so der Firmenchef. Stattdessen kurvte der mit 25 Tonnen Stahl beladene Lkw plötzlich über den Tiergarten und den Berliner Westen. "Das war ein sehr schlechtes Omen", so der Spediteur.

Wenige Stunden später sah er seinen Wagen im Fernsehen. "Ich war von Anfang an total sicher, dass das nicht von Łukasz verursacht worden ist. Wir kennen uns seit der Kindheit, unsere Mütter sind Schwester. Ich wusste, dass ich für ihn meine Hand ins Feuer legen kann. Wir sind alle hier zutiefst schockiert", so Ariel Żurawski.

Ein Kämpfer

Das Bild, das die Kollegen von Łukasz Urban zeichnen, deckt sich mit dem dramatischen Szenario, das eine deutsche Boulevardzeitung zwei Tage nach dem Attentat skizzierte. Darin sind die letzten Sekunden in der Trucker-Kabine auf Grundlage von Polizeiberichten rekonstruiert. Demnach soll der polnische Lkw-Fahrer bis zum Schluss versucht haben, die Tragödie abzuwenden. Vielleicht habe der Pole damit ein noch größeres Drama vermieden, vielleicht wären sonst noch mehr Menschen unter die Räder des Riesenwagens gekommen? So lauten die Spekulationen in einigen deutschen Medien.

Dass Łukasz bis zum Schluss gekämpft haben soll - davon ist sein Cousin Ariel Żurawski überzeugt. Die Polizei legte ihm Bilder zur Identifikation vor. "Auf den Bildern, die mir die Polizei zeigte, war klar zu sehen, dass er Schläge- und Schnittwunden hatte. Er muss sich gewehrt und gekämpft haben", sagt der Firmenchef. Und das wundert in Rożnowo keinen: "Das passt zu seinem Charakter", sind auch die Arbeitskollegen überzeugt.

Gemeinde unter Schock

In dem knapp 200-Seelen-Dorf mit seinen Einfamilienhäusern und ein paar kleinen Plattenbauten sitzt der Schock tief. Die Nachbarn sind fassungslos, der Vater des jungen Fahrers erlitt noch am Montagabend einen Zusammenbruch, als er die Bilder im Fernsehen sah. Er musste sofort ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Als Waffe missbraucht - Łukasz Orbans Lkw Bild: Reuters/P. Kopczynski

"Ich habe es nachts erfahren, als mich eine Nachbarin anrief", erzählt Alina Mikołajczak, eine Dorfbewohnerin, die die Familie Urban gut kennt. "Łukasz und mein Sohn waren Freunde, wir kennen ihn seit vielen Jahren - ein Familienmensch, immer höflich, er wohnte im gleichen Haus wie seine Eltern und kümmerte sich um sie".

Die Dorfbewohner sprechen in diesem Tagen über nichts anderes. Bei Treffen im Lebensmittelgeschäft oder in der Kirche spenden sie sich gegenseitig Trost. Das Sprechen hilft der Gemeinde, um mit dem Schock umzugehen. Sie sprechen und beten gemeinsam für den Seelenfrieden ihres 37-jährigen Helden und seiner Angehörigen. "Unsere Gedanken sind derzeit mit der Familie von Łukasz", sagt Teresa Niewiadomska, die Gemeindesprecherin von Rożnowo. "Dieses Unglück stellt ihr ganzes Leben auf den Kopf."

Zur falschen Zeit am falschen Ort

Mit der Presse wollen aber nur die wenigsten sprechen - man wolle die Familie in Ruhe lassen, heißt es. Das Familienzentrum der Gemeinde und ein Psychologe kümmern sich derzeit um die Angehörigen. "Wir müssen die Verzweiflung und die Trauer der Angehörigen respektieren. Wenn es sein muss, hilft das ganze Dorf", sagt Niewiadomska.

Ein polnisches Dorf trauert um Terror-Opfer

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Noch will keiner richtig glauben, dass Łukasz Urban nicht mehr zurückkommt.  Auch seinem Cousin Ariel Żurawski fällt es schwer, Abschied zu nehmen. "Er wollte unbedingt am Donnerstag zurück in Rożnowo sein und endlich ein Geschenk für seine Frau kaufen", erzählt er - wegen der vielen Arbeit vor Weihnachten habe er es bisher nicht geschafft.

"Und dann war er einfach zur falschen Zeit am falschen Ort", sagt Żurawski. Sein Tod ist für die gesamte Speditionsbranche ein Schock. Die Tragödie hat eine Diskussion über die Sicherheit der polnischen Lkw-Fahrer losgetreten. Jeder vierte Fernfahrer in Europa ist ein Pole. Am Tag nach dem Drama haben polnische Trucker mit einer lauten "Hupe-Minute" an Łukasz Urban erinnert. Im Zentrum von Szczecin wurde eine Tafel aufgestellt, die an die Opfer des Attentats von Berlin erinnern soll. Alle Stadt- und Regionalvertreter, sowie der Bürgermeister haben Kränze niedergelegt. 

 

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