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Politik

Der Impfstoff-Krieg

Barbara Wesel
28. Januar 2021

Belgien hat Inspekteure in die AstraZeneca Produktionsstätte in Seneffe geschickt. Die EU will herausfinden, ob es wirklich Produktionsprobleme gibt. Unterdessen verschärft sich der Streit zwischen Brüssel und London.

Coronavirus | Impfstoff und Impfzentren
Bild: Martin Wagner/imago images

Das belgische Gesundheitsministerium hat am Donnerstag Pharmaexperten in den Ort Seneffe geschickt, wo in einer Fabrik des französischen Pharmaherstellers Novasep COVID-19-Impfstoff im Auftrag von AstraZeneca produziert wird. Sie entnahmen Proben, sicherten Daten und versprechen einen Ergebnisbericht in wenigen Tagen.

Die Untersuchung soll klären, ob es in Seneffe tatsächlich die Produktionsprobleme gibt, die AstraZeneca als Begründung nutzt, um die Liefermenge in Europa um drei Viertel zu kürzen. Die belgischen Fachleute arbeiten bei der Auswertung mit Experten aus den Niederlanden, Italien und Spanien zusammen. Man habe auf Bitten der EU-Kommission gehandelt, sagte ein Ministeriumssprecher in Brüssel dazu.

AstraZeneca hat Glaubwürdigkeit verloren

Die Inspektion bei dem belgischen Pharmahersteller macht deutlich, dass die EU-Kommission AstraZeneca nicht mehr glaubt. Seit dem Interview von CEO Pascal Soriot mit mehreren europäischen Tageszeitungen, in dem er vertragliche Lieferpflichten gegenüber der EU leugnete, wird der Ton immer schärfer. Der Streit geht darum, ob Impfstoff aus EU-Fabriken auf die britische Insel geliefert wurde oder ob die Dosen für Großbritannien gekürzt werden müssten, um Europa gleichrangig zu beliefern.

AstraZeneca solle die vereinbarten Liefermengen einhalten - fordert die EUBild: Leon Neal/Getty Images

In London lehnte Kabinettsminister Michael Gove im Interview mit der BBC diese Möglichkeit ausdrücklich ab: "Nein, wir müssen sicherstellen, dass der vereinbarte Zeitplan, auf dem unser Impfprogramm basiert, wie geplant umgesetzt wird." Impfstoff könne nicht weitergeleitet werden und man müsse damit warten, anderen Ländern zu helfen. Die Boulevardpresse wiederum sieht die Sache eindeutig: "Nein, die EU kann unsere Impfungen nicht haben", schreibt die Daily Mail. Und im Daily Express heißt es: "Wartet bis ihr dran seid! Egoistische EU will unseren Impfstoff."

Beide Seiten gehen offensichtlich von unterschiedlichen Tatsachen aus. Die britische Regierung behauptet, sie habe eine Art Erst-Lieferungsrecht, weil sie den Vertrag mit AstraZeneca früher als die EU abgeschlossen hat. Brüssel wiederum erklärt, in ihrem Vertrag mit dem Pharmakonzern seien klare Liefermengen und Daten enthalten. Diese Verpflichtungen müssen eingehalten werden, unabhängig davon, was das Unternehmen Dritten zugesagt hat.

Die Deutungsprobleme ließen sich leicht aufklären, wenn endlich der Vertrag zwischen AstraZeneca und der EU veröffentlicht würde. Man habe den Konzern dazu aufgefordert, sagte Kommissionsprecher Eric Mamer heute: "Unsere Absicht ist, ihn zu veröffentlichen." Die Frage ist, warum die Behörde es nicht einfach tut, denn CEO Pascal Soriot hat bereits seinerseits die Vertraulichkeitsvereinbarungen gebrochen.

Mehr Transparenz

Gleichzeitig soll schon morgen durch die EU-Mitgliedsländer ein neuer Transparenzmechanismus beschlossen werden, eine Art Exportkontrolle für Impfstoff. "Wir kommentieren nicht, ob Impfstoff aus der EU nach Großbritannien geliefert wurde. Wir installieren einen (Kontroll-) Mechanismus und niemand sollte bezweifeln, dass wir diese Informationen bekommen können", erklärte Mamer.

Zunächst soll beobachtet werden, ob Impfstoff exportiert wird. Angesichts der Situation auch mit Nachbarländern brauche man Klarheit, erklärten EU-Beamte. Der Mechanismus enthält kein generelles Exportverbot, eröffnet aber der Kommission wie auch den Mitgliedsländern die Möglichkeit dazu. Man schulde den Steuerzahlern in Europa Transparenz, weil die EU massiv in die Vorkaufsvereinbarungen investiert habe. Wenn ein Unternehmen mehrere Verträge parallel unterschrieben habe, gehe es nicht darum, wer zuerst bedient werde. Es sei vielmehr Aufgabe des Konzerns, alle Lieferungen zu erfüllen.

Druck auf die Kommission steigt

Unterdessen wächst der Druck auf die EU-Kommission: Bundesinnenminister Horst Seehofer erklärte jetzt, die Bestellung von Impfstoff hätte "offensiver und in größerem Umfang" geschehen sollen. Und sein Kollege, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, kündigt einen gesonderten Impfgipfel der deutschen Regierung mit Vertretern der Pharmaindustrie an. Zur Situation mit AstraZeneca und dem Streit mit Großbritannien sagt er: "Es kann auch in der Produktion Rückschläge geben", aber Probleme würden entstehen, wenn der Eindruck da sei, dass nicht alle (Abnehmer) gleichzeitig betroffen sind.

Bei der Impfstoffherstellung zusammenarbeiten hält WHO-Impfstoffexperte, Siddharta Datta, für den richtigen WegBild: Owen Humphreys/Pa Wire/dpa/picture alliance

Was die Produktion angeht, so bekommt Brüssel Schützenhilfe von der Weltgesundheitsorganisation. Der Impfstoffexperte der WHO für Europa erklärt, dass es immer "Anfangsprobleme bei Impfstoffproduktion und Impfkampagnen" gebe. Siddhartha Datta fügt hinzu: "Niemand kann den gesamten Impfstoff in dieser Größenordnung allein herstellen." Und der europäische Leiter der WHO, Dr. Hans Kluge, berichtet von heiß laufenden Telefonleitungen. Er habe mit dem EU-Ratspräsidenten und der Gesundheitskommissarin gesprochen, aber "die Realität ist, dass es für eine längere Zeit einen Mangel an Impfstoff geben wird".

Der liberale MEP Andreas Glück wiederum fordert Einsicht in die Verträge: "Wenn die EU-Kommission womöglich etwas verschlafen hat, dann müssen wir dem nachgehen." Er sei nicht gegen die gemeinsame Beschaffung von Impfstoff, sondern wolle feststellen können, "ob die EU-Kommission schlecht verhandelt hat oder AstraZeneca seiner Zusage nicht nachkommt."

EU droht Pharmaindustrie

EU Ratspräsident Charles Michel veröffentlichte jetzt einen Brief an eine Reihe von Mitgliedsländern, der handfeste Drohungen gegenüber der Pharmaindustrie enthält: Wenn die Konflikte nicht durch Verhandlungen gelöst werden könnten, werde die EU "alle rechtlichen Schritte und Maßnahmen zur Durchsetzung ergreifen, die ihr nach dem Krisenmechanismus der EU-Verträge zur Verfügung stehen". Dadurch würden die Mitgliedsstaaten die rechtliche Möglichkeit erhalten, durch Notmaßnahmen die effektive Impfstoffproduktion und die Versorgung ihrer Bürger zu sichern.

EU Ratspräsident Charles Michel droht mit Notmaßnahmen der EUBild: European Union/Xinhua/picture alliance

Das scheint auf die Erteilung von Zwangslizenzen zu deuten, ein Weg, den eine Reihe von EU-Abgeordneten zunehmend unterstützen. Der belgische Abgeordnete Marc Botenga sieht dafür zwei Wege. Zum einen könne man die Weitergabe der Rechte über die Weltgesundheitsorganisation beantragen, zum anderen über die Welthandelsorganisation. Dort liege bereits ein entsprechender Antrag von Südafrika und Indien vor. Wenn die EU mit beiden Ländern eine Koalition eingehen würde, könnte ein solcher Antrag politisches Gewicht bekommen.

Es sei die konservative Idee von der Unantastbarkeit geistigen Eigentums, die die Kommission bisher von solchen Schritten abgehalten hätte, so Botenga. "In einer solchen Krise wie dieser Pandemie muss man unkonventionell denken", plädiert er. Schließlich habe die EU durch ihre finanzielle Unterstützung das Risiko für die Entwicklung der Impfstoffe weitgehend übernommen und damit die Pharmakonzerne entlastet. Deswegen sei es nur richtig, wenn sie jetzt die Rechte teilten.

Würden solche Lizenzen erteilt, könnten weitere Impfstoffhersteller in die Produktion einbezogen und die Herstellung international beschleunigt werden. Und schließlich solle die EU die Rechte am geistigen Eigentum nicht dauerhaft aushebeln. "Die Pandemie ist eine Ausnahme." Und wenn sich genug große Mitgliedsländer verbündeten, ließen sich die gegenwärtigen Probleme lösen.

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